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Verschwendung von Lebensmitteln:Volk der Wegwerfer

Die Deutschen sind im Umgang mit Lebensmitteln wenig zimperlich. Im Zweifel gilt: ab in den Müll. Knapp 82 Kilogramm im Wert von einigen hundert Euro wirft jeder Bundesbürger im Schnitt weg. Es reicht schon, wenn das Mindeshaltbarkeitsdatum überschritten ist. Verbraucherschutzministerin Aigner plant eine Aufklärungsinitiative - und fordert ein Umdenken.

In deutschen Privathaushalten landen jedes Jahr rund 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - rund 82 Kilogramm pro Kopf. Weit mehr als die Hälfte davon (65 Prozent) wäre zumindest teilweise noch zu gebrauchen, wie aus einer jetzt vorgestellten Studie für das Verbraucherschutzministerium hervorgeht.

Hochgerechnet werfen deutsche Privathaushalte jährlich demnach größtenteils noch genießbare Speisen im Wert von bis zu 21,6 Milliarden Euro weg. Pro Kopf der Bevölkerung entspricht das einer Summe von 235 Euro pro Jahr.

Die Privathaushalte sind der Untersuchung der Universität Stuttgart zufolge damit zugleich für den mit Abstand größten Teil der insgesamt elf Millionen Tonnen Lebensmittel verantwortlich, die in Deutschland jedes Jahr als Abfall entsorgt werden.

"Leben in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft"

Auf sie entfallen 61 Prozent der Gesamtmenge. Der Rest wird in der Industrie und bei Großverbrauchern wie Restaurants und Kantinen aussortiert (je 17 Prozent) oder fällt im Groß- und Einzelhandel an (etwa fünf Prozent). Gemüse macht mit 26 Prozent den größten Teil der vermeidbaren Abfälle aus. Obst folgt mit 18 Prozent, 15 Prozent sind Backwaren und zwölf Prozent andere Speisereste.

"Wir leben in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. In Deutschland und Europa wird viel zu viel weggeworfen, wertlos gemacht, vernichtet", sagte Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) in Berlin bei der Vorstellung der neuen Studie.

"Jeder von uns kann seinen Beitrag leisten, die Verschwendung wertvoller Ressourcen zu stoppen." Es sei Zeit für einen Bewusstseinswandel und für mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Für den Bewusstseinswandel in Deutschland will Aigner eine Million Euro zur Verfügung stellen. Überdies soll am 27. März mit Herstellern, Gastronomie, Landwirtschaft, Verbraucherschützern und Kirchen über Strategien gegen die Lebensmittelverschwendung beraten werden.

Peter Feller, Cheflobbyist der Ernährungsindustrie, sagt: "Die Studie zeigt, dass ein erhebliches Potential besteht, um den Umfang der Lebensmittelabfälle in Deutschland zu reduzieren." Allerdings gebe es keinen Schalter, den man einfach umlegen könne, um das Verhalten zu ändern. Wichtig sei es daher, festzustellen, in welchen Bereichen die Abfälle vor allem entstünden. Das mache es leichter, sich entsprechend zu positionieren.

Die Studie ist den Angaben ihres Ministeriums nach die erste genaue Untersuchung des Problems. Bisher gab es nur Schätzungen, wie groß die Lebensmittelverschwendung in Deutschland ist.

Insgesamt unterscheiden die Verfasser der Analyse zwischen vermeidbaren, teilweise vermeidbaren und unvermeidbaren Lebensmittelabfällen. Unvermeidbar sind ungenießbare Reste, etwa Bananenschalen oder Knochen.

Teilweise vermeidbar sind Reste, die wegen unterschiedlicher Ernährungsgewohnheiten anfallen - etwa weil ein Restaurantbesucher sein Gericht nicht ganz aufisst. Als vermeidbare Abfälle gelten Lebensmittel, die uneingeschränkt genießbar wären. Der Studie nach sind das in Privathaushalten vor allem Obst und Gemüse. Sie machen fast die Hälfte (44 Prozent) der dort anfallenden vermeidbaren Speiseabfälle aus.

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