Süddeutsche Zeitung

Verschmutzungsrechte:Alles heiße Luft

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Der Preis für CO₂-Zertifikate steigt und steigt. Spekulanten reißen sich um die Papiere. Nun könnten ausgerechnet die Börsenzocker das Klima retten. Ein alter Markt ist neu entdeckt.

Von Victor Gojdka, München

Der Mann, der aus heißer Luft eine Menge Geld macht, residiert in der Londoner Davies Street, Nummer 15. Per Lekander heißt jener Mann, den in der Finanzszene gerade alle kennenlernen wollen. Denn Lekander, blonde Haare, braun gebrannter Teint, hat geschafft, was im vergangenen Jahr nur den wenigsten gelungen ist: Er hat das horrible Börsenjahr ohne Verluste abgeschlossen. Im Gegenteil: Er hat mit seinem Hedgefonds eine Menge Geld gemacht. Viele versuchen ihm nun auf die Schliche zu kommen.

Lekander gibt sich klandestin, so wie es im Londoner Stadtteil Mayfair zum guten Ton gehört. Nirgendwo sonst gibt es in Europa so viele Hedgefonds wie hier, zwischen Bond Street und Green Park. Telefonisch? Nein, da sei Lekander nicht zu erreichen, heißt es. Auch Fragen per Mail ließ Lekander unbeantwortet. Zu viel plaudern, das schickt sich nicht in solchen Kreisen. Nur eines ist inzwischen klar: Die Wunderpapiere, mit denen Lekander die großen Gewinne gemacht hat, tragen einen obskuren Namen: ETS EUAs. Im Klartext: Zertifikate, um eine Tonne Kohlendioxid in die Luft zu blasen. Heiße Luft, eben.

Lekander mischt einen Markt auf, der in den Kreisen der Geld-Gilde lange als uninteressant galt: den europäischen Emissionshandel mit CO₂-Zertifikaten. Einst hatte die Europäische Union den Emissionshandel 2005 aus der Taufe gehoben, um das Klima mit den Mitteln des Kapitalismus zu retten, um Ökologie und Ökonomie zu versöhnen. Lange aber kostete es Energieversorger oder Papierfabriken kaum mehr als fünf Euro, eine Tonne CO₂ in die Luft zu pusten. Mit anderen Worten: Peanuts. Im vergangenen Jahr allerdings ist der Preis für die Papiere mächtig gestiegen, von knapp acht auf etwa 25 Euro. Viele Demonstranten auf den freitäglichen Klimademonstrationen müssen sich nun fragen: Retten am Ende ausgerechnet ausgebuffte Börsenzocker das Klima?

Im niederrheinischen Städtchen Kaarst kann Stefan Küster erklären, wie dieser seltsame Nischenmarkt funktioniert, für den sich auf einmal selbst die Londoner Finanz interessiert. Küster beschäftigt sichbei der Firma Energycharts schon seit Jahren mit den CO₂-Zertifikaten. Er weiß, dass Stromkonzerne und Industriebetriebe die virtuellen Scheine kaufen müssen, wenn sie CO₂ in die Luft pusten wollen. Für jede Tonne CO₂ ein Zertifikat. Wollen die Konzerne mehr Dreck machen, müssen sie zukaufen. Und das kostet, weil die Europäische Union die Zahl der Zertifikate deckelt.

Für Küster ist das alles keine abstrakte Angelegenheit. Kaarst liegt am Niederrhein, dort wo zwischen Grevenbroich und Rommerskirchen die Schlote der großen Kraftwerke dampfen. Wo einst der klingende Firmenname Rheinbraun den Ton des Wirtschaftens vorgab. Hier sind die Zertifikate kein abstraktes Gut, das es nicht einmal auf Papier gibt. Hier sind sie Alltag.

Doch lange bekamen die Unternehmen die Finanzpapiere vom Staat hinterhergeworfen. Über Jahre bekamen die Firmen 90 Prozent der Zertifikate geschenkt. Anreize, klimaschonend zu produzieren? Gab es kaum. Dann brach nach der Finanzkrise 2007 auch noch die Wirtschaft ein, die Unternehmen produzierten weniger als gedacht - und häuften als Abfallprodukt einen Berg an ungenutzten Zertifikaten an.

Dass sich die Zeiten geändert haben, wurde spätestens bei der Bilanzvorlage der Deutschen Börse Mitte Februar klar, zu dem das Unternehmen in den holzgetäfelten Ludwig-Erhard-Saal in Frankfurt geladen hatte. Etwas gestelzt las Finanzvorstand Gregor Pottmeyer einen Satz von seinem Redemanuskript ab, der es in sich hatte: "CO₂-Zertifikate sind inzwischen zu einer wichtigen Anlageklasse geworden." Pottmeyer muss es als einer der Börsenoberen ja wissen. Er bestätigt damit, was eine Umfrage des Datendiensts Refinitiv unter Energiehändlern herausfand: Spekulanten seien im vergangenen Jahr der wichtigste Preistreiber am Markt für CO₂ gewesen. Das Handelsvolumen im Markt sei um 50 Prozent angeschwollen. Marktkennern zufolge sollen es Manager von 15 bis 20 Hedgefonds wie Per Lekander an Energiebörsen, Terminmärkten und privaten Handelsplattformen auf die Zertifikate abgesehen haben.

Das lag vor allem an der Europäischen Union, die am Markt für CO₂-Zertifikate seit 2018 strenger durchgreift. Die Obergrenze aller Emissionen sinkt derzeit jedes Jahr um 1,74 Prozent, vom Jahr 2021 an allerdings soll das schneller gehen. Dann soll der CO₂-Deckel jedes Jahr um 2,2 Prozent nach unten gepresst werden - und der Druck im Kessel steigt. Dazu kommt eine weitere gravierende Neuerung, die schon seit diesem Januar greift: Jetzt sollen mehr überschüssige Zertifikate am Markt abgefischt und in einer Art Tiefkühlkammer eingefroren werden, der sogenannten Marktstabilitätsreserve. Statt wie bislang nur zwölf Prozent der überschüssigen Zertifikate dort zu parken, sind es nun 24 Prozent - also gleich doppelt so viele. Beide Ansätze sollen dazu führen, dass die Zertifikate knapper werden und ihr Preis steigt. Prognostiker der Berenberg-Bank halten in diesem Jahr gar einen Preis von 30 Euro für eine Tonne CO₂ für möglich - und im kommenden Jahr sogar 65. Experten sagen: Ab 27 Euro je Tonne denken Firmen verstärkt nach, CO₂ einzusparen. Ab 35 Euro wird es für viele schmerzhaft.

Währenddessen blickt CO₂-Experte Stefan Küster auf seinen Bildschirm, in dem Finanzinformationen einlaufen: "CDU-Chefin bei CO₂-Steuer zurückhaltender als Merkel". "Britische Gaspreise fallen". "Abgeordnete auf der Insel wollen, dass ihr Pensionsfonds aus fossilen Energien aussteigt". So geht das im Minutentakt. Küster muss dieser Tage alles ganz genau lesen, der CO₂-Experte weiß: Die kommenden Tage werden für den Preis der Verschmutzungsrechte entscheidend sein. "Alles basiert auf dem Glauben an die Politik", sagt Küster. Kippt Großbritannien unerwartet schnell aus der Union, könnten die Insulaner aus dem CO₂-Handel aussteigen und ihre Zertifikate den Markt fluten. Gewinnen bei der Europawahl Rechtspopulisten, dürfte niemand mehr an strengere Klimaregeln glauben und der CO₂-Preis sinken. Dann wäre alles nur heiße Luft gewesen.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2019
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