Versandkonzern in fremden Händen:Bei Otto endet eine Ära

Weil der Sohn nicht in seine Fußstapfen treten will, muss Michael Otto erstmals Familienfremden die Führung des Hamburger Versandkonzerns anvertrauen.

Meite Thiede

Mit keinem Wort lässt Michael Otto sich die Enttäuschung darüber anmerken, dass sein Sohn vorerst nicht die Führung des Konzerns übernehmen wird.

Versandkonzern in fremden Händen: Michael Otto wechselt in den Aufsichtsrat der Otto Group.

Michael Otto wechselt in den Aufsichtsrat der Otto Group.

(Foto: Foto: AP)

Natürlich hätte der 63 Jahre alte Otto es am liebsten gehabt, wenn bei dem bodenständigen Versandhaus, das inzwischen weltmännisch Otto Group heißt, auch die Stabübergabe traditionell abliefe.

Michael Otto selbst war 28, als er ins Unternehmen eintrat, und 38, als er von seinem Vater Werner die Leitung des Handelsimperiums übernahm.

Eigene Firma in Berlin

Doch sein eigener Sohn Benjamin, 31, steht nicht zur Verfügung - jedenfalls noch nicht. Er hat in Berlin eine eigene Firma und beschäftigt sich mit Dingen, die dem nüchternen Vater recht exotisch erscheinen müssen. Der Junior entwickelt erfolgreich intelligente Haustechnik für Hotels und Wohnungen.

Deshalb steht der Hamburger Familienkonzern jetzt an einem heiklen Punkt in seiner Geschichte: Erstmals übernehmen Manager, die nicht zur Familie gehören, die Führung.

Der 50 Jahre alte Hans-Otto Schrader wird zum 1. Oktober Vorstandsvorsitzender, und der ebenso alte Rainer Hillebrand wird sein Stellvertreter. Diese Position des Zweiten gab es bisher in dem Gremium nicht. Otto wird im Herbst in den Aufsichtsrat wechseln und dort den Vorsitz übernehmen.

Keine leichte Wahl

Leicht ist ihm die personelle Auswahl nicht gefallen. Mit Schrader und Hillebrand hätten zwei gleichwertige Kandidaten für seine Nachfolge zur Verfügung gestanden, sagte er am Dienstag der dpa.

Das Rennen machte schließlich der Dienstältere, der zudem als Personalvorstand einen guten Draht zu den Arbeitnehmern hat. Denn die, sagt Otto, ,,müssen immer mitgenommen werden''.

Schrader ist schon vor 30 Jahren, gleich nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre, ins Unternehmen eingetreten. Zwei Jahre lang sammelte er Auslandserfahrung in Hongkong, später wurde er Import- und 1993 Einkaufsdirektor. Dem Vorstand gehört Schrader seit 1999 an.

Der künftige Stellvertreter Hillebrand ist ,,erst'' 17 Jahre an Bord. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler fing als Chef der Strategieentwicklung an und ist seit zwei Jahren im Vorstand für Vertrieb, Marketing und E-Commerce verantwortlich.

Ausgeprägtes soziales und ökologisches Engagement

Künftig will Otto mehr Zeit mit Dingen verbringen, denen er schon immer ein großes Gewicht in seinem Leben gegeben hat. Sein ausgeprägtes soziales und ökologisches Engagement hat dem immerzu freundlich und fast ein wenig schüchtern wirkenden Unternehmer gelegentlich den Titel ,,Hamburger Gutmensch'' eingebracht.

Otto fördert Kultur, Wissenschaft und Sport. Die im Zentrum stehende Otto Stiftung für Umweltschutz setzt sich vor allem für die Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen ein.

Bei Otto endet eine Ära

Dabei hat der Konzernchef sich immer auch als Vorbild verstanden: Wer bei Otto etwas werden will, muss es ihm gleichtun und in seiner Freizeit ebenfalls soziales oder ökologisches Engagement zeigen.

Vorbild aus Tradition

Die Haltung hat Tradition: In den Büros in Hamburg-Wandsbek wurde der Müll schon getrennt, als es den Grünen Punkt noch gar nicht gab.

In den Katalogen wird man politisch unkorrekte Produkte wie zum Beispiel Pelze nicht finden. Lieferanten und Produzenten des Hauses werden schon lange ständig auf ihre Umweltbilanz hin abgeklopft.

Sicher liegt es auch an seinen bodenständigen Wurzeln und einer recht bewegten Kindheit, dass dem Milliardär Michael Otto weder Ruhm noch Geld zu Kopf gestiegen sind.

In bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen

Otto wurde 1943 im heutigen Polen geboren. Die Familie flüchtete und landete im Auffanglager Bad Segeberg, wo die Kinder in beengten und bescheidenen Verhältnissen aufwuchsen.

Aus Restposten einer wenig erfolgreichen Schuhfabrik bastelte Vater Werner Otto 1949 einen kleinen Katalog und gründete damit, so die Legende, das Versandhaus.

Das Geschäft boomte in den fünfziger Jahren, als Versandkataloge zur liebsten Lektüre der Deutschen wurden. Michael Otto machte eine Banklehre, studierte Volkswirtschaftslehre und promovierte, bevor er in die Familienfirma einstieg.

Weltweit zweitgrößter Online-Händler für Endverbraucher

Sein Vater, heißt es gerne, habe Deutschland erobert, der Sohn die Welt. Schließlich ist die Otto Group mit einem Jahresumsatz von 14,6 Milliarden Euro und 55.000 Mitarbeitern heute eine weltweit agierende Handels- und Dienstleistungsgruppe und nach Amazon International zweitgrößter Online-Händler mit Endverbrauchern.

Zum Konzern gehören die Versandhäuser Schwab und Baur, der Großhändler Actebis, eine Bank, der Logistiker Hermes und die Einzelhändler Sport-Scheck und Zara.

Schönheitsfehler

Doch einmal hat Ottos Image als Vorzeige-Unternehmer empfindlich gelitten. 2004 hatte ihn die amerikanische Börsenaufsicht SEC im Visier. Er hatte, so der Vorwurf, Banken und Investoren vorsätzlich über den schlechten Zustand seines amerikanischen Versandhauses Spiegel, von dem elf Prozent an der Börse waren, im Unklaren gelassen.

Faule Konsumentenkredite brachten die Gruppe in Schwierigkeiten. Otto, als Familienunternehmer an selektive Informationspolitik gewöhnt, hatte die Schieflage lange für sich behalten. Am Ende hatte er Glück: Er kam mit einer Strafe von 100.000 Dollar davon und dem Makel, sich als ziemlich naiver Deutscher präsentiert zu haben.

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