Versandhandel:Schick's langsam

UPS Paketauslieferung in München, 2017

71 Prozent der Deutschen hätten nichts dagegen, wenn ihre Bestellungen gebündelt ausgeliefert würden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele Onlinekäufer wären bereit, auch mal etwas länger auf ihre Pakete zu warten. Das gilt aber nur dann, wenn die Umwelt etwas davon hätte - oder sie selbst.

Von Michael Kläsgen

Vor nicht einmal drei Jahren wunderte sich ein Amazon-Manager noch über diese deutschen Onlinekunden. Die Lieferung könne für sie gar nicht schnell genug kommen, Tempo sei das Allerwichtigste. Das Schlagwort Same-Day-Delivery, also Zulieferung am gleichen Tag, machte damals die Runde. Noch heute gilt die Sofort-Zustellung als das Nonplusultra unter allen denkbaren Lieferarten.

Doch drei Jahre sind in der Digitalbranche eine halbe Ewigkeit, wie nun zwei Studien zeigen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Die Kunden, die alles sofort haben müssen, gibt es demnach zwar immer noch, dafür aber auch ziemlich viele Onlinebesteller, die gern ein bisschen warten können - wenn für sie oder die Umwelt etwas dabei herausspringt.

Einer repräsentativen Umfrage der Beratungsfirma Oliver Wyman zufolge würde fast jeder zweite Endverbraucher längere Lieferzeiten in Kauf nehmen, wenn er wüsste, dass damit der Umwelt geholfen wäre. Etwa dadurch, dass das Päckchen nicht noch einmal transportiert werden muss. Ebenfalls jeder Zweite würde eine Paketstation oder einen Shop aufsuchen, wenn sich dadurch eine erneute Lieferung vermeiden ließe. Sogar 71 Prozent der Befragten hätten nichts dagegen, wenn einzelne Bestellungen von ihnen gebündelt und gemeinsam ausgeliefert würden. Mit anderen Worten: Relativ viele Onlinekunden wären bereit, für die Umwelt auf ein Stück Bequemlichkeit, nämlich die Vor-die-Haustür-Lieferung, zu verzichten.

Das deckt sich mit dem Ergebnis einer Umfrage der Universität Bamberg unter mehreren Hundert Studierenden, wonach diese bereit wären, Liefergeschwindigkeit für eine größere Nachhaltigkeit aufzugeben. Etwa 70 Prozent der Befragten sagten, sie würden eine langsamere Lieferoption akzeptieren, wenn diese nachweislich ökologischer ist. Den Endverbrauchern geht es demnach nicht nur ums Tempo. "Kundenbedürfnisse sind vielschichtig", sagt Björn Asdecker, neben Jonas Wiese, Leiter der Studie. Neben Geschwindigkeit zählten auch Nachhaltigkeit, Termintreue und Kosten zu den Auswahlkriterien der Verbraucher. "Es gibt Kundensegmente, die eine langsamere Belieferung vorziehen, wenn diese günstiger, umweltschonender oder wirklich pünktlich ist", lautet das Ergebnis der Studie. Das Bemerkenswerte daran ist für Branchenkenner: Diese Kunden sind jung und akademisch gebildet. Bisher hatte es stets geheißen, vor allem den Jungen könne es nicht schnell genug gehen. Das hatte vergangenes Jahr eine Studie der Beratungsfirma PwC ergeben.

Der Bamberger Wissenschaftler Jonas Wiese hat für das neue Phänomen den Begriff "Slow Logistics" erfunden. Slow nicht im Sinn von Schneckenpost, sondern eher positiv besetzt wie "Slow Food", also in Abgrenzung zum Fast Food. Ziel ist ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht auf Kosten der Gesundheit, der Umwelt oder der Mitarbeiter geht. Mitautor Asdecker gibt allerdings zu bedenken, dass hier "das Problem der sozialen Erwünschtheit" eine Rolle spielen könnte: Die Befragten antworten, was in der Öffentlichkeit von ihnen erwartet wird, handeln aber unter Umständen anders. Der Bamberger Umfrage zufolge sind 97 Prozent der Befragten bereit, drei bis fünf Tage auf ihre Lieferung zu warten, wenn sie dafür einen Rabatt oder Gutschein erhalten. Weit weniger wollen sich hingegen gedulden, wenn der Anreiz fürs Warten ist, dass automatisch an eine Umweltorganisation gespendet wird.

Die beiden Umfragen sind für Logistikunternehmen dennoch aufschlussreich. "Slow Logistics" ist in Deutschland noch ein Fremdwort, aber es könnte schnell Schule machen. "Es wäre für die Verbraucher und die Lieferdienste die beste Lösung. Die einen hätten mehr Flexibilität, die anderen würden Kosten sparen", sagt Cornelius Herzog, Logistik-Experte bei Oliver Wyman. Mehr noch: Sie können sich mit der Wahloption eines umweltfreundlichen Lieferservice von Konkurrenten abheben. Bisher gilt bei allen noch das Motto: Tempo, Tempo.

Bei allen? Nun ja, Amazon wäre wohl nicht der erfolgreichste Onlinehändler der Welt, hätte er nicht auch schon in die andere Richtung gedacht. In Großbritannien wirbt der US-Konzern bereits mit Rabatten für Kunden, wenn sie die Option "No-Rush-Shipping" wählen, also das Ohne-Eile-Angebot. Normalerweise probiert Amazon erst einmal in einem Land aus, was der Händler später anderswo ebenfalls einführt. Es ist insofern vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis die "Mach-mal-langsam-Option" auch in Deutschland buchbar sein wird.

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