Die Weltbank hat es massiv versäumt, die Menschen innerhalb ihrer Projekte zu schützen. 3,4 Millionen Menschen haben in den vergangenen zehn Jahren ihr Land oder ihre Lebensgrundlage verloren, es gab Zwangsumsiedlungen, es gab sogar Morde. Fest steht: Die Schutzmaßnahmen der Bank werden missachtet. Wer leidet? Menschen in den ärmsten Ländern der Welt. Knud Vöcking von der Menschenrechtsorganisation Urgewald beschäftigt sich seit 13 Jahren mit der Weltbank. Gemeinsam mit mehr als 300 Organisationen setzt er sich dafür ein, dass die Schutzmaßnahmen der Bank, die derzeit überarbeitet werden, in Zukunft besser greifen.
SZ.de: Die Weltbank hat Schutzmaßnahmen, trotzdem verlieren Millionen Menschen ihr Zuhause, Tausende werden gewaltsam vertrieben. Wie kann das sein?
Knud Vöcking: Die Weltbank hat eigentlich gute Umsiedlungsstandards. Aber, was nützen schöne Pläne, wenn man sie nicht umsetzt? Es finden kaum eigene Kontrollen vor Ort statt. Die Bank überlässt dem Kreditnehmer die Verantwortung, die Maßnahmen in den Projekten einzuhalten. Sie begnügt sich damit Berichte zu lesen, einen Haken dran zu machen und sie abzuheften. Bei der Weltbanktochter IFC weiß die Bank oft nicht einmal, wohin das Geld fließt. IFC füttert einfach einen Fond, der dann in irgendwelche Projekte investiert. Die Weltbank vergisst ihren Entwicklungsauftrag.
Wie sehen diese Schutzmaßnahmen konkret aus, die missachtet werden?
Wenn zum Beispiel ein Staudamm gebaut wird, müssen nach den geltenden Regeln die Betroffenen vorher konsultiert werden, egal ob es sich um Indigene oder andere Bewohner der Gegend handelt. Gemeinsam mit ihnen sollte über den Entwurf für die Umwelt- und Sozialverträglichkeit des Vorhabens beraten werden. Bei einer Umsiedlung muss ein separater Umsiedlungsplan erarbeitet werden - der wiederum mit den Betroffenen abgesprochen werden muss. Darin soll vorrangig eine Land-für-Land-Kompensation festgeschrieben sein. Ziel ist es, dass die Lebensgrundlage der Betroffenen wiederhergestellt und möglichst verbessert wird. Verlieren sie Besitz, müssen sie dafür adäquat entschädigt werden.
Wie könnte das aussehen?
Werden zum Beispiel Ölpalmen gefällt, muss dem Bauern der Ausfall bis zur ersten möglichen Ernte entschädigt werden. In diesem Fall wäre das der Verdienst von fünf Jahren. Das neue Land muss einen Nutzwert haben, der dem Ertrag des alten Landes entspricht. Die Praxis sieht leider meistens anders aus.
Warum kontrolliert die Weltbank nicht strenger?
Schon in einem Weltbankreport von 1992 war die Rede von "pressure to lend". Das Geld muss schnell abfließen. Die Mitarbeiter der Bank werden nicht danach bewertet, wie gut die Projekte sind, sondern wie schnell sie möglichst viel Geld aus dem Haus schaffen. Die Frage nach dem Entwicklungseffekt und der Nachhaltigkeit wird nicht belohnt. Und die Konkurrenz verschärft diesen Konflikt. Es gibt jetzt die Entwicklungsbank der BRICS-Staaten, die Brasilianische Entwicklungsbank und die in der Gründung befindliche Asian Infrastructure Investment Bank. Die haben weniger Auflagen und sind damit attraktiver für Kreditnehmer.
Im März hat Weltbankpräsident Kim schwere Fehler eingestanden. Man wolle Projekte in Zukunft strenger überwachen, sagt er. Glauben Sie ihm?
Kein Wort. Nicht, wenn die Schutzmaßnahmen, die gerade von der Bank überarbeitet werden, so bleiben wie im jetzigen Entwurf. Die Rechte indigener Völker können umgangen werden, der Arbeitsschutz ist unzureichend, die Bank kann Projekte genehmigen und erst im Verlauf schauen, welche Maßnahmen sie ergreift. Man stelle sich das mal in Deutschland vor! Also nehmen wir an: Wir bauen eine Autobahn von Hamburg nach Bremen und gucken dann, wenn die Bagger schon rollen, wo wir eigentlich langfahren wollen.
Deutschland ist viertgrößter Geldgeber der Bank. Mit welchem Einfluss?
Deutschland ist der viertgrößte Anteilseigner und hat eine Stimme in dem Verwaltungsrat, der über sämtliche Kreditvergaben abstimmt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das den deutschen Vertreter entsendet, könnte durchaus mal sagen: Folgendes Projekt entspricht nicht den Qualitätsstandards, die wir haben wollen. Wir machen da nicht mit. Wir sagen nein. Das wäre ein Zeichen.
Seit Ende 2013 hat Deutschland nur einmal "nein" gesagt.
Das liegt an dem System. Der Verwaltungsrat ist politisiert. Da verhandeln Staaten, da geht es um Diplomatie, man will niemanden verärgern. Dieser Gentlemen's Club beruht auf einem Konsensprinzip, das heißt, es wird so lange beraten, bis alle müde sind und einen faulen Kompromiss eingehen.
Drückt sich Deutschland vor seiner Verantwortung?
Deutschland hat unzählige Menschenrechts- und Umweltabkommen unterzeichnet und müsste da anders agieren. Aber das gilt für fast alle Staaten, die über Weltbank-Projekte abstimmen. Die müssten ihre völkerrechtlichen Versprechen ernst nehmen. Nicht nur auf dem Papier.
Was muss sich ändern?
Man muss die Leute vor Ort mehr mit einbeziehen. Es geht schließlich um deren Bedürfnisse, und nicht um das, was sich die Leute in den Hauptstädten vorstellen. Die Bank sollte die Projekte kleinteiliger gestalten, die lokale Wirtschaft mehr einbeziehen, anstatt Megaprojekte anzustoßen, die zwar großen Unternehmen wie Rio Tinto, Halliburton und Shell nützen, aber nicht den Leuten vor Ort. Die Weltbank glaubt, dass mit Großinvestitionen genügend Einnahmen generiert werden, die dann irgendwann auch mal bei den Armen landen. Das ist diese neoliberale Ideologie: Wenn es den Reichen gutgeht, wird es den Armen auch mal irgendwann gutgehen. Ein netter Gedanke, der in der Realität aber nicht funktioniert. Der kleine Mann geht leer aus.