Süddeutsche Zeitung

Vernetzt:Wenn das Fahrzeug mit der Ampel chattet

Autoindustrie und Wissenschaft testen, wie eine neue Mobilfunk-Technik den Straßenverkehr sicherer machen soll. Eines Tages werden fast alle Fahrzeuge mit der Außenwelt kommunizieren können.

Von Benedikt Müller, Aldenhoven

Wer häufig mit dem Auto über Land fährt, kennt dieses Zögern: Da fährt ein langsamer Kastenwagen vorneweg und versperrt die Sicht, sodass man sich nicht traut zu überholen. Doch im digitalen Zeitalter tüfteln Ingenieure an Lösungen für solche Probleme, wie die Fahrt in einem Testauto beweist: Auf den Bildschirm zwischen Fahrer- und Beifahrersitz wird das Bild der Frontkamera des Kastenwagens übertragen. Wo das Mobilfunknetz es zulässt, sieht der Fahrer der Limousine dann ohne erkennbaren Zeitverzug, was vor dem Kastenwagen ist - und kann besser entscheiden, ob er überholt oder nicht.

An einer Teststrecke in Aldenhoven bei Aachen erforschen Autoindustrie und Wissenschaft fortan, wie moderne Mobilfunknetze den Verkehr sicherer machen können. Dazu rüstet der Konzern Vodafone die Strecke mit neuester Netztechnik aus. "In Deutschland sind mehr als 60 Millionen Autos, Lkw und Busse unterwegs", sagt Hannes Ametsreiter, Deutschland-Chef von Vodafone, "also wird es in Zukunft auch mehr als 60 Millionen Sim-Karten geben". Von 2018 an müssen gemäß einer EU-Vorschrift alle Autohersteller Neuwagen inklusive Sim-Karte verkaufen; bereits jetzt haben immer mehr Autos einen integrierten SOS-Knopf. Netzbetreiber wie Vodafone und die Deutsche Telekom konkurrieren um die dahinterliegenden Telefonverträge, die der Autohersteller abschließt und in den Kaufpreis einkalkuliert.

Auf einer Kreuzung der Teststrecke in Aldenhoven führen die Hersteller vor, was schon möglich ist: Da fahren zwei mobilfunkende Fahrzeuge aufeinander zu und übersehen sich; also leitet das System eine Notbremsung bei dem Auto ein, das schneller anhalten kann - selbst wenn der Fahrer noch Gas gibt. Das funktioniert aber nur mit einer Mobilfunktechnik mit Verzögerungen von wenigen Millisekunden. Deshalb will Vodafone in Aldenhoven ein Test-Netz mit 5G-Technik aufbauen. Dieser Nachfolger von 3G und 4G ermöglicht eine schnelle Übermittlung der vielen Daten, die im Zeitalter smarter Autos, smarter Haustechnik und smarter Fabrikmaschinen versendet werden. Bis zur Einführung werden noch einige Jahre vergehen.

Eines Tages werden fast alle Fahrzeuge mit der Außenwelt kommunizieren können

Auf der Straße sind es denn Fußgänger, Radfahrer und Ampeln, mit denen Autos künftig kommunizieren dürften. Vodafone präsentiert in Aldenhoven einen Rettungswagen, der - mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs - in die Ampelschaltung eingreift und sich per Funk eine grüne Welle organisiert. Oder ein Auto, das automatisch bremst, sobald ein Fußgänger zwischen zwei Lastern am Straßenrand aufkreuzt - und im schlimmsten Fall noch auf sein Handy schaut statt auf den Verkehr.

Zur Eröffnung am Mittwoch reist eigens Armin Laschet an, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Land, Bund und Europäische Union förderten den Bau der Teststrecke Aldenhoven, sie liegt am Standort einer einstigen Steinkohle-Zeche. "Das ist der Strukturwandel, den wir uns in Nordrhein-Westfalen zum Ziel gesetzt haben", sagt der CDU-Politiker. Laschet will, dass sein Bundesland vom Wandel hin zu elektrischen, vernetzten und autonomen Fahrzeugen profitiert. Die E-Mobile der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und der Post-Tochter Streetscooter machen dem Ministerpräsidenten Mut. Wichtig sei gleichwohl, dass die vernetzten Fahrzeuge vor Hacker-Angriffen geschützt seien.

Um einer weiteren Gefahr auf Landstraßen zu begegnen, stellen die Unternehmen in Aldenhoven Drohnen vor, die über gefährlichen Bergkuppen fliegen - und ihr Bild an vorbeifahrende Autos übertragen. Dann kann der Fahrer sehen, was bei der Abfahrt auf ihn zukommt. Vodafone-Chef Ametsreiter bezeichnet diese Idee am Mittwoch als "intelligente Bergkuppe".

Ein paar Jahre wird es noch dauern, bis eine hinreichende Anzahl von Fahrzeugen derart mit ihrer Umwelt kommuniziert, da sind sich selbst Enthusiasten in Aldenhoven sicher. Doch dass schon bald fast alle Autos funken werden, daran zweifelt niemand mehr.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2017
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