Paul Krugman bestellt Burger. Der Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger hat einen jungen Ökonomen zum Mittagessen nach New York eingeladen: Gabriel Zucman, 27, französischer Juniorprofessor an der renommierten London School of Economics. Krugman interessieren dessen Studien zur Vermögensverteilung in den USA. Zucmans Zahlen zeigen, wie vor allem die reichsten 0,1 Prozent immer reicher werden. Nun isst er einen Salat und plaudert mit dem Nobelpreisträger über seine Ungleichheitsforschung. Nebenbei erwähnt er, dass er noch ein anderes Thema bearbeitet: Steueroasen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht wirklich bekannt ist, wie viel Kapital von Vermögenden in Steueroasen geparkt ist. Das Bankgeheimnis lässt nicht nur Finanzämter abprallen, auch Statistiker rätseln: Welchen Schaden richtet das Schwarzgeld an?
Ökonom Zucman wertete internationale Kapitalströme aus, um den Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. Eigentlich müssten die Kapitalausfuhren aller Länder genauso groß sein wie die weltweiten Kapitaleinfuhren - so wie ein Betrag bei jeder Überweisung auf zwei Konten auftaucht, einmal als Eingang und einmal als Abbuchung. Doch die offiziellen Kapitalstatistiken sind falsch, sie weisen zu wenig Vermögen aus. Geld verschwindet, ohne irgendwo anzukommen. Das sind die Milliarden, die in Steueroasen angelegt werden.
Deutsche lagern rund 360 Milliarden Euro illegal in Steueroasen
Nach dem Mittagessen mailt Zucman eine PDF-Datei an Krugman. Der schreibt nach der Lektüre einen euphorischen Eintrag über Zucmans Arbeit in seinem Blog. "Das erzählt uns etwas darüber, wie die Welt wirklich funktioniert." Zucmans Weltsicht, die Krugman so beeindruckt hat, geht so: Einige Staaten - allen voran die Schweiz - stehlen anderen Ländern Geld, mithilfe von kriminellen Bankern. Der Forscher nennt aktuelle Daten, auch für Deutschland, nachzulesen in seinem Buch "Steueroasen", das jetzt auf Deutsch erscheint, bei Suhrkamp. Demnach liegen bei Schweizer Banken derzeit 1000 Milliarden Euro, deren Eigentümer europäische Kunden sind. Der größte Teil, ein Fünftel, gehört Deutschen. Eine ebenso große Summe liegt auf Konten in Singapur, Hongkong, Luxemburg und anderen Steueroasen. Die Frage ist nun: Welche Menge wird an die heimischen Finanzämter gemeldet?
SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quelle: Gabriel Zucman
Geld im Ausland verwalten zu lassen, ist grundsätzlich nicht illegal. Das wird es erst, wenn das Sparkonto verheimlicht wird. Zucman geht davon aus, dass 80 Prozent des Offshore-Vermögens nicht deklariert werden. Das leitet er aus einer Statistik der Schweizer Banken ab. 80 Prozent klingt nach viel, doch die Größenordnung könnte realistisch sein, wie der Fall der Großbank Credit Suisse zeigt. Ermittlungen des US-Senats gegen Credit Suisse hatten ergeben, dass um die 90 Prozent der amerikanischen Konten nicht freiwillig angegeben wurden. Auf Deutschland übertragen kommt Zucman so auf ein illegales Offshore-Vermögen von 360 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant, dieses Jahr 300 Milliarden Euro auszugeben.