Vermögen in Steueroasen:Den Milliarden auf der Spur

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Traumlandschaft nicht nur für Urlauber: die Cayman Islands in der Karibik.

(Foto: David Rogers/Getty Images)

Welchen Schaden richtet Schwarzgeld an? Der junge Ökonom Gabriel Zucman rechnet vor, was Steueroasen kosten - und präsentiert radikale Lösungen: Er fordert ein Grundbuch für Vermögen und Strafzölle gegen die Schweiz.

Von Bastian Brinkmann

Paul Krugman bestellt Burger. Der Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger hat einen jungen Ökonomen zum Mittagessen nach New York eingeladen: Gabriel Zucman, 27, französischer Juniorprofessor an der renommierten London School of Economics. Krugman interessieren dessen Studien zur Vermögensverteilung in den USA. Zucmans Zahlen zeigen, wie vor allem die reichsten 0,1 Prozent immer reicher werden. Nun isst er einen Salat und plaudert mit dem Nobelpreisträger über seine Ungleichheitsforschung. Nebenbei erwähnt er, dass er noch ein anderes Thema bearbeitet: Steueroasen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht wirklich bekannt ist, wie viel Kapital von Vermögenden in Steueroasen geparkt ist. Das Bankgeheimnis lässt nicht nur Finanzämter abprallen, auch Statistiker rätseln: Welchen Schaden richtet das Schwarzgeld an?

Ökonom Zucman wertete internationale Kapitalströme aus, um den Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. Eigentlich müssten die Kapitalausfuhren aller Länder genauso groß sein wie die weltweiten Kapitaleinfuhren - so wie ein Betrag bei jeder Überweisung auf zwei Konten auftaucht, einmal als Eingang und einmal als Abbuchung. Doch die offiziellen Kapitalstatistiken sind falsch, sie weisen zu wenig Vermögen aus. Geld verschwindet, ohne irgendwo anzukommen. Das sind die Milliarden, die in Steueroasen angelegt werden.

Deutsche lagern rund 360 Milliarden Euro illegal in Steueroasen

Nach dem Mittagessen mailt Zucman eine PDF-Datei an Krugman. Der schreibt nach der Lektüre einen euphorischen Eintrag über Zucmans Arbeit in seinem Blog. "Das erzählt uns etwas darüber, wie die Welt wirklich funktioniert." Zucmans Weltsicht, die Krugman so beeindruckt hat, geht so: Einige Staaten - allen voran die Schweiz - stehlen anderen Ländern Geld, mithilfe von kriminellen Bankern. Der Forscher nennt aktuelle Daten, auch für Deutschland, nachzulesen in seinem Buch "Steueroasen", das jetzt auf Deutsch erscheint, bei Suhrkamp. Demnach liegen bei Schweizer Banken derzeit 1000 Milliarden Euro, deren Eigentümer europäische Kunden sind. Der größte Teil, ein Fünftel, gehört Deutschen. Eine ebenso große Summe liegt auf Konten in Singapur, Hongkong, Luxemburg und anderen Steueroasen. Die Frage ist nun: Welche Menge wird an die heimischen Finanzämter gemeldet?

Vermögen in Steueroasen: SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quelle: Gabriel Zucman

SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quelle: Gabriel Zucman

Geld im Ausland verwalten zu lassen, ist grundsätzlich nicht illegal. Das wird es erst, wenn das Sparkonto verheimlicht wird. Zucman geht davon aus, dass 80 Prozent des Offshore-Vermögens nicht deklariert werden. Das leitet er aus einer Statistik der Schweizer Banken ab. 80 Prozent klingt nach viel, doch die Größenordnung könnte realistisch sein, wie der Fall der Großbank Credit Suisse zeigt. Ermittlungen des US-Senats gegen Credit Suisse hatten ergeben, dass um die 90 Prozent der amerikanischen Konten nicht freiwillig angegeben wurden. Auf Deutschland übertragen kommt Zucman so auf ein illegales Offshore-Vermögen von 360 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant, dieses Jahr 300 Milliarden Euro auszugeben.

"Warum sollten wir die auch noch belohnen, die kriminell sind?"

Viel Geld also, das eigentlich allen Bürgern zusteht. Deswegen hört Zucman nicht mit der Präsentation von Zahlen auf, sondern schlägt Lösungen vor. "Im Kampf gegen die Steueroasen stehen wir erst ganz am Anfang", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Sein Vorgehen, trockene Daten mit politischen Forderungen zu verknüpfen, erinnert an das Auftreten von Thomas Piketty, der sein Doktorvater ist. Piketty stieß im Frühjahr mit seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" eine weltweite Debatte über Ungleichheit an. Er erläutert auf rund 900 Seiten, dass das Vermögen der Reichen schneller wächst als das Einkommen der Mittelklasse - und sich so die gesellschaftlichen Schichten entzweien werden, wenn die Staaten nicht gegensteuern.

Im Vergleich zu Pikettys Monstrum, das seitenweise Romane von Honoré de Balzac zitiert, hat Zucman ein dünnes Büchlein geschrieben, das deutlich verständlicher ist. Seine Forderungen sind allerdings nicht weniger radikal. Er begrüßt Pikettys Idee, mit einer Vermögensteuer gegen die aus seiner Sicht "explosionsartig zunehmende Ungleichheit" vorzugehen. Dem muss allerdings vorausgehen, dass das Geld nicht in Steueroasen versteckt ist - und hier setzt Zucman an. Er fordert ein Grundbuch für Vermögen. Während der Französischen Revolution habe die Nationalversammlung 1791 ein Kataster geschaffen, um den gesamten Immobilienbesitz zu erfassen. So wollten die Revolutionäre die Nicht-Besteuerung von Adel und Klerus unterbinden. Im 21. Jahrhundert müsse dieser Ansatz auf das Kapital übertragen werden, so Zucman. Übernehmen solle diese Aufgabe der Internationale Währungsfonds.

Allerdings werden die Steueroasen freiwillig wohl keine Informationen über ihre Kunden rausrücken. "Das Geschäft mit der Steuerhinterziehung ist sehr lukrativ", sagt Zucman. "Einige Schweizer Banker haben das über Jahrzehnte betrieben und sind damit reich geworden. Wenn ihren illegalen Aktivitäten keine Kosten gegenüberstehen, werden sie nicht damit aufhören." Deswegen schlägt er Strafzölle gegen die Schweiz vor - in ebenjener Höhe, in der die Eidgenossenschaft vom geheimen Offshore-Geld profitiert.

Angemessen wäre, wenn Frankreich, Deutschland und Italien 30 Prozent auf Importe aus der Schweiz aufschlagen würden, erklärt Zucman. Das würde hauptsächlich die Chemieindustrie betreffen, außerdem die Hersteller von Maschinen und Uhren. Eine ähnliche Idee hat bereits Kai A. Konrad vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht vorgelegt, nur unter anderem Vorzeichen. In dessen Modell sollen die Steueroasen nicht zur Aufgabe gezwungen werden, sondern mit einer finanziellen Entschädigung zum Einlenken überredet werden (PDF). Für Zucman ist das keine Option: "Warum sollten wir die auch noch belohnen, die kriminell sind?"

Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA sollte die EU laut Zucman durch Gespräche über die Besteuerung von internationalen Konzernen ergänzen. Wenn sich Steuersparmodelle wie Apple oder Amazon durchsetzten, würden sonst irgendwann nur noch kleine Firmen Steuern zahlen, die auf nationalen Märkte aktiv sind, warnt er. Mit den USA verhandelt die Europäische Kommission - und deren Chef soll ausgerechnet Jean-Claude Juncker werden, der ehemalige Premierminister von Luxemburg, der Steueroase mitten in der Europäischen Union. Die Kommission ermittelt gerade gegen Luxemburg, weil das Land Fiat einen zu günstigen Steuer-Deal angeboten haben könnte. "Junckers Vorgeschichte ist sehr schlecht", sagt Zucman. "Aber geben wir ihm eine Chance."

Linktipp: Zucman stellt die Statistiken und Daten aus seinem Buch auf seiner Internetseite zur Verfügung.

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