Vermisster Tengelmann-Chef Haub:Unerbittlicher Kämpfer auf der Jagd nach Anerkennung

Pk Unternehmensgruppe Tengelmann

Karl-Erivan Haub im Jahr 2015

(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Der Milliardär Karl-Erivan Haub war allein in den Walliser Alpen unterwegs. Seit Samstag ist er unauffindbar. Warum begab sich der Familienunternehmer in solche Gefahr?

Von Charlotte Theile, Zürich, und Michael Kläsgen

Wenn am 17. April der Startschuss für das härteste Skitourenrennen der Welt fällt, die Patrouille des Glaciers im Schweizer Kanton Wallis, wird einer der prominentesten Teilnehmer nicht dabei sein. Karl-Erivan Haub, Milliardär und Eigentümer eines Handelsimperiums bestehend aus den Marken Obi, Kik, Takko und mehr als 70 Firmenbeteiligungen, wird seit vergangenem Samstag vermisst.

An jenem Samstag trainierte Haub für das 53 Kilometer lange Extremsportevent, das alle zwei Jahre von der schweizerischen Armee ausgerichtet wird. Am Klein Matterhorn stieg der 58-Jährige aus einer Seilbahn, von dort verliert sich seine Spur. Das letzte Signal seines Mobiltelefons wurde am Samstagabend aufgezeichnet. Haub war allein unterwegs.

Haubs Bruder schreibt von "längerer Abwesenheit"

"Mund abwischen und weiter", so beschreibt ihn einer, der ihn gut kennt. Haub gilt als zäher Brocken, körperlich, charakterlich. Ein Kämpfer, unerbittlich. Vor allem gegen sich selbst. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er Ende 2016 nach langem Ringen die Supermärkte Kaiser's Tengelmann verkaufte. Ausgerechnet jene Kette, die in den Neunzigerjahren zum größten Lebensmittelhändler Deutschlands herangewachsen war. Das Lebenswerk seines Vaters Erivan Haub, der erst vor einem Monat, Mitte März mit 85 Jahren verstorben war.

Nun also der nächste Schock für die Familie. Karl-Erivans Bruder Christian verschickte am Dienstag einen Brief an die Mitarbeiter der Unternehmensgruppe Tengelmann. Christian schreibt, man werde sich auf eine "längere Abwesenheit" seines Bruders einstellen müssen. So als würde er es seinem Bruder zutrauen, nach fünf, sechs oder mehr Tagen aus den Lawinen aufzutauchen, sich den Mund abzuwischen und weiterzumachen. Dass einem, der so zäh ist wie sein Bruder etwas zustoßen kann? Unvorstellbar.

20 Menschen wurden im Wallis seit Dezember verschüttet, 16 von ihnen starben

Auf dem Höhepunkt des Pokers zwischen den Rivalen Edeka und Rewe um die Supermärkte, so geht eine andere Anekdote, flog Haub in die USA. Dort ist er geboren, Haub hat auch die US-Staatsangehörigkeit. Beim Bergsteigen in einem Nationalpark stürzte er im Sommer 2016 und brach sich ein Bein. Der Bruch war kompliziert und muss sehr schmerzhaft gewesen sein. Haub aber schaffte es, trotz größter medialer Beobachtung, dass kaum einer etwas von seiner Verletzung bemerkte, geschweige denn von der langwierigen Genesung. So entstehen Legenden. Erzählungen, in denen Haub unbesiegbar erscheint.

Und diesmal? Haub ist nicht der erste Skitourenfahrer, der in diesem Winter in Gefahr geraten ist. Besonders im Kanton Wallis ist die Lage in diesem Jahr gefährlich. 20 Menschen wurden hier seit Dezember 2017 verschüttet, 16 von ihnen starben. Kritisch ist oft der Übergang von Winter zu Frühling, wenn wärmere Temperaturen auf alte Schneemassen treffen. In diesem Jahr gab es zwei bis dreimal mehr Schnee als üblich, die Zahl der Todesopfer ist hoch.

An dem Samstag, an dem Haub das letzte Mal gesehen wurde, war die Lawinengefahr in Zermatt nicht außergewöhnlich, heißt es vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung. Doch wer allein im Tiefschnee unterwegs ist, setzt sich auch anderen Gefahren aus. Er kann zum Beispiel in eine Gletscherspalte stürzen.

Warum begab sich Haub in so große Gefahr?

Wie groß sind die Überlebenschancen des Tengelmann-Chefs? Markus Rieder, Sprecher der Walliser Kantonspolizei, sagt: "Das Gebiet, in dem sich der Vermisste befinden kann, ist etwa hunderttausend Hektar groß." Zudem sei davon auszugehen, dass Haub in einem alpinen Gebiet verunfallt sei, sich also in großer Höhe befinde und mit wenig Sauerstoff und niedrigen Temperaturen umgehen müsse. Bei diesen Bedingungen sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit mit jeder Stunde.

Warum begab sich Haub in so große Gefahr? "Keine Ahnung, was den antreibt", sagt ein langjähriger Weggefährte. Das Bedürfnis nach dem Kick, der ultimativen Herausforderung oszilliere zwischen der Suche nach persönlicher Anerkennung durch andere und Rückversicherung, etwas Eigenes, Großes geleistet zu haben.

Gier nach Anerkennung soll auch Tengelmann-Verkauf in die Länge gezogen haben

Einmal im Jahr fährt Haub mit seinen Top-Managern ins Silicon Valley, um dort das Grundrauschen der neuen Zeit aufzusaugen. Und obwohl er, der Multimilliardär und Erbe eines 150 Jahre alten Unternehmens es im Grunde nicht nötig hätte, freut er sich überschäumend darüber, wenn ihm auf der Besuchstour jemand aus der zweiten Reihe des Managements von Uber die Hand drückt.

Ein Beobachter sagt, die Gier nach Anerkennung habe auch den Verkauf der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann unnötig in die Länge gezogen. Haub habe immer wieder aus persönlichem Antrieb dort etwas regeln und korrigieren wollen, wo es nichts mehr zu regeln und korrigieren gab. Als Milliardenerbe hätte Haub es eigentlich nicht nötig gehabt, sich immer wieder in diesen Kampf zu bewegen.

Bei Haub ist normalerweise alles geregelt

Er tat es trotzdem. Immer wieder. Er lief lief Marathon in entlegenen Gegenden der Welt, in 3800 Metern Höhe am Titicacasee in Südamerika oder mitternachts im norwegischen Tromsö. Er führte auch den Tengelmann-Marathon ein, was den Mitarbeitern großen Respekt einflößte. Er absolvierte Triathlons und extreme Bergtouren.

In einem Interview sagte er mal, dabei kämen ihm die besten Ideen: "In meinem Büro ist das schon gefürchtet." Was nun in dem Büro passieren wird? Bruder Christian schreibt, es sei alles geregelt, man müsse sich keine Sorgen machen. Das entspräche dem Charakter von Karl-Erivan Haub. Als in Deutschland die Angst vor der Schweinepest grassierte, ließ er von den angesehensten Seuchenhygienikern einen Notfallplan für die Unternehmensgruppe erstellen. Alles war geregelt.

Das legt die Vermutung nahe, dass auch für den Fall seines Ablebens alles vorbereitet ist. Nur was? Sein Sohn, Anfang 20, hielt zwar auf der 150-Jahr-Feier im vorigen Jahr eine launig-originelle Rede, aber zur Unternehmensführung wirkt er noch zu jung. Auch seine beiden Brüder haben bisher wenig Ambitionen gezeigt. Die Verantwortung für das Familienerbe und seine Zehntausende Mitarbeiter lag bei dem Mann, der sich am Samstag allein auf den Weg zu einer weiteren, unerbittlichen Bergtour machte.

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