Verkehrswende:Grün Gas geben

Boris Johnson Launches London's First Cycle Superhighway

Londons damaliger Bürgermeister Boris Johnson hat vor einem Jahr einen überdimensionalen Radweg eingeweiht. Die Metropole will den Autoverkehr einschränken.

(Foto: Ben Pruchnie / Getty Images)

Eine neue Denkfabrik forciert die Verkehrswende in Deutschland. Der Autobranche droht ein harter Gegner.

Von Markus Balser, Berlin

Seine persönliche Verkehrswende hat Achim Steiner schon auf die Straße gebracht. Als der langjährige Chef der UN-Umweltbehörde Unep in Nairobi im September zurück nach Europa kam und seinen neuen Job als Direktor der Martin School im britischen Oxford antrat, musste für Steiners Familie ein Auto her. Steiner, lange selbst oberster Klimaschützer der UN entschloss sich zum Umstieg von Benzin auf Strom. Für 90 Prozent der Fahrten genüge die Reichweite von Elektroautos heute völlig, sagt Steiner. Überhaupt passe das Avantgarde-Auto zu seiner neuen Heimat. An den Universitäten von Oxford sei schließlich fast jeder irgendwie mit Zukunftsfragen beschäftigt.

Jetzt soll Steiner die Wende in ganz anderer Größenordnung schaffen. Diesmal in Berlin. An diesem Mittwoch startete in der Hauptstadt offiziell ein Projekt, das für Deutschlands Autobranche zur ernsten Bedrohung werden dürfte. Die neue Denkfabrik Agora Verkehrswende nimmt ihre Arbeit auf und hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Die Mobilität der Zukunft in absehbarer Zeit auf deutsche Straßen bringen und dabei schon im nächsten Bundestags-Wahlkampf 2017 eine entscheidende Rolle zu spielen.

"Wir müssen die Dekarbonisierung des Verkehrs in 25 bis 30 Jahren schaffen."

Steiner ist der prominente Kopf der Denkfabrik. Am Dienstag erst wurden die großräumigen Büros am Hackeschen Markt im Zentrum Berlins eröffnet. Am Mittwoch nahm ein Rat des Thinktanks unter Steiners Führung seine Arbeit auf, zusammengesetzt aus Staatssekretären wichtiger Bundesministerien wie Wirtschaft, Umwelt und Verkehr, aus Landesministern, Kommunalpolitikern, Mitgliedern der Europäischen Kommission und Wissenschaftlern. Steiners Ziel: "Wir müssen die Dekarbonisierung des Verkehrs in 25 bis 30 Jahren schaffen. Im Kampf gegen den Klimawandel ist das zentral, denn der Verkehrssektor ist nach der Energiebranche der zweitgrößte Emittent von Klimagasen", sagt Steiner der Süddeutschen Zeitung. Erfolge bislang: Fehlanzeige. Während der Treibhausgas-Ausstoß seit 1990 in Deutschland insgesamt um 30 Prozent zurückging, waren es im Bereich Mobilität nur zwei Prozent.

Die deutsche Wirtschaft beunruhigt, dass da mit viel Geld im Rücken ein einflussreiches Organ entsteht. Denn ambitionierte Klimaziele sind Autoherstellern nach wie vor ein Dorn im Auge. Doch um CO₂ schon nach 2040 aus dem Straßenverkehr zu verbannen, haben sich internationale Geldgeber zusammengeschlossen. Die European Climate Foundation, hinter der mehrere Stiftungen stehen, darunter die Stiftungen der Familien Hewlett und Packard, die allein 2015 mehrere hundert Millionen Euro ausschüttete. Zu den Finanzierern gehört auch die Mercator-Stiftung, die Anteilseigner des Handelskonzerns Metro ins Leben gerufen haben, die verschwiegene Familie Schmidt-Ruthenbeck. Das Stiftungsvermögen der Mercator-Stiftung liegt bei mehr als 100 Millionen Euro.

Die Kollegen der Energiebranche können ein Lied davon singen, was eine schlagkräftige Denkfabrik ausrichten kann. Schon 2012 startete die Schwesterorganisation "Agora Energiewende" als Gemeinschaftsprojekt der gleichen Stifter. Keine andere Denkfabrik hat den Umbau der Energiebranche so stark vorangetrieben und beeinflusst. Rainer Baake, heute Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und einer der Köpfe der Energiewende, stand zuvor an der Spitze des Politlabors Agora - zusammen mit Ex-Umweltminister und Steiners Uno-Vorgänger Klaus Töpfer. Manager der Energiebranche sehen die Denkfabrik mit gemischten Gefühlen. Die Konzernzentralen der Energieversorger machen auch die aggressive Rolle der Denkfabrik für den Verlust von Jobs und Geschäftsfeldern verantwortlich.

Wie in der Energiebranche will Agora die Nähe zur Politik aufbrechen. Über viele Jahre konnten sich Automanager stets auf die schützende Hand der Politik verlassen. Ob unter Gerhard Schröder (SPD) oder Angela Merkel (CDU): Gab es Ärger, genügte eine Protestnote aus den Konzernen im Kanzleramt. Und so bleibt ausgerechnet der umweltschädliche Diesel milde besteuert, die Pendlerpauschale hoch. Und wenn sich in Brüssel zu strenge Grenzwerte anbahnten, kam schon mal ein Veto aus Berlin. Für die Denkfabrik ist klar: So geht es nicht weiter. "Mobilität ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Menschen haben die Technik so weit entwickelt, dass heute fast jeder ein Auto benutzen kann", sagt Steiner. Das bedeutete für viele Menschen Freiheit, für die Autoindustrie ein tolles Jahrhundert. "Für das Klima bedeutet es eine harte Probe."

Die Bürgermeisterin von Paris träumt von einer dieselfreien Kapitale

Das Ziel der Denkfabrik: Ein Stimmungsumschwung. Es gehe auch darum, Investoren und Verbrauchern zu zeigen, dass emissionsfreie Autos und alternative Antriebe nicht zwangsläufig teuer und kompliziert seien, sagt Christian Hochfeld, Geschäftsführer von Agora Verkehrswende. Sie werden sich schneller durchsetzen, als viele das erwarten. "In zehn Jahren werden wir nicht mehr darüber reden, wann Elektroautos kommen, sondern wie wir mit den verbleibenden Oldtimern auf deutschen Straßen umgehen wollen", erwartet auch Rats-Chef Steiner.

In vielen europäischen Metropolen ist die Stimmung längst gekippt. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, träumt von einer dieselfreien Kapitale und hat die ersten Straßen für den Autoverkehr gesperrt. London will die Einfahrt von Autos mit Verbrennungsmotoren deutlich erschweren. Auch in Städten wie Kopenhagen, Oslo, Amsterdam und Helsinki arbeiten die Stadtverwaltungen bereits an der nachhaltigen Verkehrswende.

Schon im nächsten Jahr, so hofft man bei Agora Verkehrswende, könnte die Denkfabrik auch in Deutschland zählbar Einfluss nehmen. Nach der Bundestagswahl im Herbst werde eine neue Regierung die Weichen für die Verkehrswende stellen müssen, glaubt Hochfeld - und damit auch die Verkehrspolitik der nächsten Jahre festschreiben. "Unser Ziel ist es, dass sich im Regierungsprogramm Elemente unserer Arbeit wiederfinden", sagt Hochfeld.

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