Verkehr - Wiesbaden:Ausweitung von Videoeinsatz gegen Rettungsgassen-Verstöße

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Wiesbaden/Fulda (dpa/lhe) - Bei Unfällen auf der Autobahn kann eine Rettungsgasse für Einsatzfahrzeuge über Leben und Tod entscheiden. Immer häufiger gehen die Behörden in Hessen gegen Verstöße vor, wie aus Antworten des Innenministeriums in Wiesbaden auf eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion hervorgeht. Im Jahr 2017 registrierte die zentrale Bußgeldstelle des Landes in Kassel 38 Verfahren hessenweit, im vergangenen Jahr waren es 131. Im ersten Halbjahr 2019 wurden bereits 103 Verfahren gezählt.

Mithilfe von Videotechnik will die Polizei nach Auskunft des Ministeriums noch gezielter gegen Regelbrecher, die Retter behindern, vorgehen. Verstärkt ins Visier genommen werden sollen dabei auch Gaffer, die durch langsames Vorbeifahren an Unfallstellen den Verkehrsfluss bremsen.

Nach Einschätzung des ADAC-Sprechers Cornelius Blanke in Frankfurt klappt das Bilden der Rettungsgasse auf den Autobahnen trotz verstärkter Aufklärungsarbeit immer noch nicht wie gewünscht: "Es ist etwas besser geworden. Aber da ist noch viel Luft nach oben." Pendler hätten das Thema bereits besser verinnerlicht, doch bei nicht routinierten Autobahn-Nutzern komme es immer wieder zu Fehlern. "Wenn 100 Fahrzeuge die Rettungsgasse korrekt bilden und nur ein, zwei Autos nicht mitmachen, führt es schon dazu, dass ein Rettungswagen nicht zum Unfallort durchkommt."

Weil Rettungswege häufig nicht korrekt freigemacht werden, werden seit dem 19. Oktober 2017 die Vergehen strenger geahndet. Es drohen mittlerweile Bußgelder ab 200 Euro und im schwersten Fall bis zu 320 Euro, verbunden mit zwei Punkten und einem Monat Fahrverbot. Der Frankfurter Verkehrssoziologe Alfred Fuhr sagt aber: "Höhere Strafen sorgen nicht für Abschreckung." Seine Erklärung des Problems: Viele Autofahrer seien schlichtweg zu unaufmerksam unterwegs und unfähig, die eigene Trägheit aufzubrechen. Hinzu komme eine gewisse Reizüberflutung in einem immer komplexeren Verkehr.

Und zuweilen spielt auch Dreistigkeit eine Rolle. So klemmte sich ein Autofahrer im September hinter einen Abschleppwagen. Fünf Kilometer fuhr der Autofahrer auf der Autobahn 5 nahe dem mittelhessischen Friedberg in der Rettungsgasse hinter dem Abschlepper her, bis er von einer Zivilstreife gestoppt wurde.

Doch nicht nur die fehlende Rettungsgasse sorgt bei Einsatzkräften immer wieder für Aufregung. "Die schamlose Übersteigerung von Neugier, die unter dem Schlagwort "Gaffer" diskutiert wird, ist eine der aktuellen Herausforderungen für die hessische Polizei", erklärte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU). Gaffer verzögerten und behinderten Rettungsmaßnahmen. "Sie vermehren das Leid von Opfern und Angehörigen durch ihre Zudringlichkeit und durch öffentliche Bloßstellung der Opfer." Sie gefährdeten auch Gesundheit und Leben von Opfern und Rettern wie auch von sich selbst. "Dieses in hohem Maße sozialschädliche Verhalten wird nicht toleriert", betonte Beuth.

Dass Gaffer langsam an Unfallorten vorbeifahren, um zu schauen, zu fotografieren oder gar zu filmen, erlebt ADAC-Sprecher Blanke immer wieder. "Das Problem besteht nach wie vor. Die Gaffer sollten sich fragen, wie sie darüber denken würden, wenn sie oder ein Beifahrer in Not sind und jemand macht Fotos davon - absolut fehl am Platz, solch eine Reaktion." Verkehrssoziologe Fuhr glaubt: "Das Thema Gaffer im Straßenverkehr wird uns die nächsten Jahre begleiten. Fast jeder hat sein Smartphone schnell zur Hand."

Rettungsgassen-Sünder und Gaffer sollen künftig noch stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Das Pilotprojekt "Videostreife BAB" stehe unmittelbar vor Einführung in den Regelbetrieb des Polizei-Alltags in Hessen. Für das Projekt wurden Streifenwagen der Polizei-Autobahnstationen mit Digital-Videokameras ausgestattet. Damit können die Beamten die Kennzeichen und Autofahrer filmen und die Vergehen dokumentieren.

Nach dem Abschluss des Pilotprojekts werden zunächst 16 Streifenwagen mit der Videotechnik ausgestattet, wie das Innenministerium in Wiesbaden mitteilte. "Damit wird hessenweit ein realistisches Entdeckungsrisiko für solche Verkehrsteilnehmer bestehen, die gegen die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse verstoßen", sagte Beuth.

Auch die Polizei in Osthessen hat schon "sehr gute Erfahrungen" mit der Videotechnik gemacht, wie Patrick Bug von der Pressestelle in Fulda sagte. "Durch den Einsatz von Videotechnik können Verstöße bei der Anfahrt zur Einsatzstelle beweisgesichert dokumentiert, später ausgewertet und entsprechende qualifizierte Anzeigen gefertigt werden." Der Videobeweis mache es der Polizei einfacher, später die Fahrer zu identifizieren. Die Anzahl der Verfahren mit Erlass eines Bußgeldbescheides seien dadurch "deutlich gestiegen".

Mit der Videotechnik können aber auch andere Vergehen gefilmt werden, etwa Handy-, Gurt-, Abstands und Überhol-Verstöße. Aufgezeichnet werden sie mit hochauflösenden Kameras, die jeweils am oberen Ende der Windschutz- oder Heckscheibe angebracht sind. "Die Aufnahmefunktion wird aber nur im Bedarfsfall ausgelöst. Es wird nicht fortwährend gefilmt", erklärte der Fuldaer Polizeisprecher Dominik Möller.

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