Verkehr:Manhattan bekommt eine Maut

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Im New Yorker Stadtteil Manhatten stehen Autos oft eher, als dass sie fahren. (Foto: Carlo Allegri/Reuters)
  • In New York gibt es auf den Straßen kein Vorankommen.
  • Von 2021 führt die Stadt und der Bundesstaat New York für das Gebiet zwischen Central Park und Wall Street eine Maut ein.
  • Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo orientieren sich dabei an Vorbildern wie London, Singapur und Stockholm.

Von Björn Finke und Claus Hulverscheidt, New York/London

Unter den Anfängerfehlern, die Zugezogenen in New York gerne passieren, gehört dieser zu den am meisten verbreiteten: wichtiger Termin, die U-Bahn kommt nicht, rein ins Taxi - gefangen. Vor allem auf den Straßen im Herzen Manhattans geht vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein oft gar nichts mehr. Das Durchschnittstempo, mit dem sich Autofahrer durch die Stadt schleppen, liegt angeblich bei gerade einmal sieben Stundenkilometern. Jeder Jogger ist schneller.

Um dem Chaos Herr zu werden, wollen die Stadt New York und der gleichnamige Bundesstaat ab 2021 eine Citymaut erheben, die südlich der 60. Straße gelten soll - vereinfacht gesagt also für das Gebiet zwischen Central Park und Wall Street. Die Metropole am Hudson River wäre damit die erste US-Stadt, die diesen Weg geht. Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo orientieren sich dabei an Vorbildern wie London, Singapur und Stockholm, die teils seit Jahrzehnten eine Innenstadtabgabe kassieren.

Viele Details, darunter die Mauthöhe, sind noch offen. Experten erwarten, dass Autofahrer, die während der Stoßzeiten in die Zone hineinfahren, umgerechnet zwischen 10,50 und 12,50 Euro werden bezahlen müssen. Für Nutzfahrzeuge könnten rund 22 Euro fällig werden. Nachts und am Wochenende soll die Abgabe niedriger ausfallen, auch Anwohner, Geringverdiener und Menschen, die zum Arzt müssen, könnten Nachlässe erhalten.

Ziel ist es, pro Jahr umgerechnet mindestens 900 Millionen Euro zu erlösen, die vor allem in die Sanierung der maroden Verkehrswege fließen sollen. Allein die U-Bahn benötigt Investitionen von mehr als 50 Milliarden Euro. Das Kuriose ist, dass nirgendwo in New York so wenige Anwohner ein Auto besitzen wie in der künftigen Mautzone - nicht einmal jeder fünfte. Laut Stadtverwaltung fahren aber jeden Tag fast 720 000 Pkw und Lkw in das Gebiet hinein, das kleiner ist als München-Bogenhausen. In den vergangenen Jahren hat diese Zahl noch einmal kräftig zugenommen, was insbesondere mit der Gründung von Fahrdiensten wie Uber und Lyft, aber auch mit dem rasanten Aufstieg des Onlinehandels zu tun hat: All die Pakete, die bestellt werden, wollen schließlich auch ausgeliefert werden.

Ein Großteil der Fahrten in "Midtown" und "Downtown" sind so oder so geschäftlicher Natur, was die Frage aufwirft, ob sich der Verkehr einfach zurückdrängen lässt - oder ob etwa Taxi- und Paketbestellungen einfach nur teurer werden. Auch lassen sich die New Yorker von Straßenbenutzungsgebühren nicht abschrecken, schließlich sind schon heute fast alle Brücken und Tunnel, die die Insel Manhattan mit dem Festland verbinden, mautpflichtig. Auch technisch sind die Menschen auf die Cityabgabe vorbereitet, denn diese soll über die in vielen Autos längst vorhandene elektronische Box EZ Pass (sprich: Easy Pass) erhoben werden, mit der Bürger heute Brücken- und Autobahngebühren bezahlen.

Entsprechend misstrauisch fragen manche, ob es Cuomo und de Blasio tatsächlich um weniger Staus oder nicht doch allein um die Erschließung neuer Geldquellen geht. Schon dass die demokratischen Partei-"Freunde" überhaupt zusammenarbeiten, lässt aufhorchen, denn man muss sich Gouverneur und Bürgermeister vorstellen wie weiland Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine: hier der Mitte-Rechts-Sozialdemokrat mit Herz für die Wirtschaft, dort der linke Volkstribun, der seine Wähler unter anderem mit der Idee einer Millionärssteuer köderte. Beide sind sich spinnefeind, weshalb de Blasio auch Cuomos Idee einer Citymaut stets vehement abgelehnt hatte. Erst als klar wurde, dass er für seine Reichensteuer keine Mehrheiten finden würde, entdeckte der Bürgermeister plötzlich den Verkehrspolitiker in sich.

Hinzu kommt: Es sind in Manhattan mitnichten nur die Autos, die Probleme machen, vielmehr drängeln sich einfach zu viele Verkehrsteilnehmer auf einer zu kleinen Fläche. Pkw verstopfen die Kreuzungen, Touristenmassen überqueren die Straßen bei Rot, für Fahrrad- und Skateboard-Fahrer scheinen gar keine Regeln zu gelten. Dazwischen Busse, Lkw und Lieferfahrzeuge, die in den engen Hochhausschluchten ganze Fahrspuren zustellen.

Ein Blick nach London zeigt, dass dort heute tatsächlich weniger Wagen die Innenstadt ansteuern als vor Einführung der Maut 2003. Viel schneller unterwegs aber sind sie deshalb noch lange nicht, es gibt vielmehr weiterhin ständig Staus. Laut Verkehrsbehörde wäre ohne Maut aber alles noch schlimmer. Die Londoner zahlen derzeit umgerechnet 13,50 Euro pro Tag. Kameras filmen den Verkehr, eine Software erkennt die Nummernschilder und prüft, ob Geld überwiesen wurde - die Technik stammt von Siemens. Steht ein Nummernschild nicht auf der Liste, bekommt der Halter Post: ein Strafmandat. Die Maut ist nur werktags fällig, zwischen sieben Uhr morgens und sechs Uhr abends. Die Einnahmen investiert die Stadt in Straßen, Busse und Bahnen. Befreit sind besonders umweltfreundliche Fahrzeuge, also Modelle mit Elektro- oder Hybridmotor.

Von nächster Woche an wird es für Besitzer von Diesel-Pkw, die vor 2015 zugelassen wurden, noch deutlich teurer: Sie müssen zusätzlich 14 Euro pro Tag berappen - sogar am Sonntag. Betroffen sind auch Benziner, die vor 2006 registriert wurden. Mit der Verschärfung will Bürgermeister Sadiq Khan, selbst Asthmatiker, die notorisch schlechte Luft in der Stadt verbessern.

Nach einer Umfrage des Autofahrer-Verbands AA von 2013 ist eine Hälfte der Londoner für, die andere gegen die Citymaut. In Stockholm, wo die Verwaltung begleitet von viel Skepsis zunächst ein Pilotprojekt gestartet hatte, änderte sich die öffentliche Meinung, nachdem Stauzeiten und Luftverschmutzung tatsächlich spürbar gesunken waren. 2007 stimmten die Bürger dafür, die Abgabe dauerhaft einzuführen. München dagegen, wo Staus ja auch nicht gänzlich unbekannt sind, wird vorerst mautfrei bleiben: "Die Möglichkeit, in die Stadt zu fahren", so hat Oberbürgermeister Dieter Reiter erst wieder jüngst erklärt, "sollte nicht vom Geldbeutel abhängen."

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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