Süddeutsche Zeitung

Verkaufstricks:Vorsicht, Schräge

Karstadt führt Einkaufswagen ein? Klingt komisch, hat aber handfeste Gründe. Denn die Wagen haben es in sich. Das liegt vor allem am Boden.

Von Michael Kläsgen

Karstadt, das klingt erst mal nach Krise. Jetzt will Karstadt die Plastiktüten abschaffen, beziehungsweise Geld dafür verlangen und somit den Verbrauch reduzieren. Das klingt zumindest in den Ohren umweltbewusster Menschen modern und irgendwie öko. Begriffe, die man mit Karstadt bisher eher nicht in Verbindung brachte. Neu ist auch, dass es demnächst Einkaufswagen und Rollkörbe bei Karstadt geben wird. Das klingt erst mal komisch (wie soll das gehen?) oder blöd (die versperren doch den Weg) oder lustig (ist doch kein Supermarkt).

Und wie hängt das alles zusammen? Einkaufswagen statt Plastiktüten? Wo ist da der ökonomische Substituierungseffekt? Doch es gibt ihn: Bei Karstadt gibt es demnächst nur noch Zentralkassen. Man erhält nun nicht mehr in jeder Etage eine Tüte, sondern fährt mit dem Wagen zur Zentralkasse. Aber auch die andere Gleichung stimmt: Einkaufswagen statt Krise. Karstadt will mithilfe der vierrädrigen Vehikel tatsächlich den Umsatz und auch den Gewinn steigern. Aber geht das? Nicht ausgeschlossen. Der Einkaufswagen kommt vielleicht von seiner Gesamtanmutung eher gittrig und kantig daher, hat es aber in sich. Sein schräger Boden bewirkt, rein physikalisch, dass die Dinge nach unten rutschen.

Psychologisch betrachtet erzeugt er damit Kaufdruck. Denn der Wagen sieht, wenn man ihn durch die Gänge schiebt, irgendwie immer leer aus, es sei denn, man hat ihn rappelvoll gemacht. Und das soll man ja aus Sicht des Händlers, sprich: Karstadt, auch tun. Unsinn? Nein, ist alles wissenschaftlich bewiesen.

Der Einkaufswagen steht der Backluft, die in die Fußgängerzone geblasen wird, und der Entspannungsmusik im Takt des Ruhepulses, die sicher auch bald bei Karstadt dudelt, in nichts nach. Er ist einer von vielen Verkaufstricks, die sich Einzelhändler haben einfallen lassen. Sie wissen: Nur 30 Prozent unserer Kaufentscheidungen sind rational.

Beim nächsten Karstadt-Besuch also Einkaufszettel mitnehmen, Ohrenstöpsel rein, Nase zuhalten und Kleingeld für die Plastiktüte mitnehmen. Und keinesfalls irgendeinen Einkaufswagen anfassen. Wer weiß, was passiert, wenn Karstadt erst Big-Data-Einkaufswagen einsetzt, wie sie die Industrie angeblich plant: Wagen, die besser als der Kunde wissen, was ihm gefällt und ihn so durch die Regale steuert. Karstadt wäre die Krise womöglich bald los, aber die Kunden kriegten sie.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2016
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