Süddeutsche Zeitung

Verkaufsstart des iPhone 5:Wie wichtig Apple wirklich für die US-Wirtschaft ist

Apple ist zum Stolz der US-Ökonomie geworden. Das neue iPhone, das von heute an zum Verkauf steht, kann Präsident Obama sogar die Wiederwahl sichern, glauben manche. Dabei schafft das Unternehmen kaum Arbeitsplätze im Land, verspricht große Reichtümer nur für einige wenige. Wer nach Indizien für das fragwürdige Geschäftsgebaren des Konzerns sucht, braucht nur einen Blick hinter die Designer-Kulissen der Apple-Stores werfen.

Moritz Koch, New York

Smartphones sind die Schweizer Taschenmesser des Informationszeitalters. Man kann mit ihnen Mails schreiben, Videos drehen, den Check-in am Flughafen beschleunigen und vieles mehr. So viel ist bekannt. Doch erst jetzt verbreitet sich die Kunde, dass die mobilen Alleskönner auch Wunder wirken können. Jedenfalls dann, wenn sie aus dem Hause Apple stammen. Glaubt man den Berichten der vergangenen Tage, soll die sechste Version des iPhones, seltsamerweise genannt iPhone 5, unter anderem die Konjunktur anschieben und das Rennen um das Weiße Haus entscheiden können.

Die Erwartungen könnten also kaum größer sein. An diesem Freitag kommt das neue Gerät in die Regale - und wird nach ein paar Stunden schon wieder ausverkauft sein. Wer sich nicht in den frühen Morgenstunden vor einem Apple-Store anstellen will, um ein Exemplar aus dem Ladenkontingent zu erwischen, wird sich wochenlang gedulden müssen. Wegen millionenfacher Vorbestellungen ist die erste Produktionslinie praktisch schon vergriffen. Analysten rechnen damit, dass Apple am Montag Verkaufszahlen zwischen sechs bis zehn Millionen melden wird.

Der Hype um das neue Handy hält auch die Wall Street in Atem. Die Apple-Aktie eilt von Rekord zu Rekord, am Dienstag stieg sie erstmals über die Marke von 700 Dollar. Das Technologieunternehmen lässt mit einem Firmenwert von 660 Milliarden Dollar selbst Weltkonzerne wie Exxon Mobil und General Electric hinter sich. Apple - das ist der größte Stolz der amerikanischen Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren so viele Enttäuschungen produzierte.

Insofern ist es kein Wunder, dass sich selbst die sonst so nüchterne Zunft der Konjunkturforscher der Kultmarke annimmt. Michael Feroli, Chefvolkswirt der Großbank JP Morgan, hält das iPhone für ein Konjunkturprogramm. Er rechnet damit, dass Apple auch noch im vierten Jahresquartal acht Millionen neue iPhones verkaufen wird, woraus sich eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums um 0,33 Prozentpunkte ergebe.

Einige Kommentatoren stellen schon die These auf, Apple könne Obama die Wiederwahl sichern: Sollte das iPhone tatsächlich die Wirtschaftslage aufhellen, würden die Chancen seines Herausforderers Mitt Romney schwinden.

Das ist natürlich maßlos übertrieben. Selbst wenn man Ferolis implizite Annahme akzeptiert, dass der iPhone-Absatz die Verkaufszahlen anderer Hersteller nicht negativ beeinflusst, bleibt die grundsätzliche Feststellung: Gemessen an anderen Faktoren, die auf die amerikanische Konjunktur einwirken, ist der iPhone-Effekt nicht einmal ein Rundungsfehler. Das kostspielige Öl, die schleppende Erholung der Immobilienpreise, die Sorgen um die Haushaltspolitik in Washington - diese Einflüsse sind es, die über das Wohl der US-Wirtschaft entscheiden.

Doch dass über das iPhone überhaupt diskutiert wird wie über einen Heilsbringer, zeigt die Bedeutung, die Apple für Amerika hat. Kaum ein anderes Unternehmen versteht es, die Chancen der Globalisierung so geschickt zu nutzen wie der Konzern aus Kalifornien. Nur der Prozessor und das Schutzglas des iPhones werden noch in den USA gefertigt, die restlichen Komponenten stammen aus aller Welt, vor allem aus Asien.

Es sind längst nicht mehr nur die einfachen Montage-Tätigkeiten, die Apple in Übersee erledigen lässt. Auch bei der Entwicklung neuer Technologien, ob hochauflösende Bildschirme oder verbesserte Kameralinsen, verlässt es sich auf seine asiatischen Zulieferer. Apple ist ein Technologiehersteller, der selbst kaum etwas herstellt. Das Unternehmen vergibt Aufträge ins Ausland und verdient seine Margen mit der Macht seiner Marke.

Geblieben ist Amerika die Ideenschmiede des Silicon Valley, ein Biotop des Fortschritts, wie es nirgendwo sonst existiert. Es ist Heimat von Facebook, Google und Co. Und das iPhone hat auch das Silicon Valley verändert. Die App-Economy wird der neue Wirtschaftszweig genannt, mit dem Apple eine neue Gründergeneration inspiriert hat. Apps sind die Miniprogramme, die auf die Rechenleistung der Smartphones und die Bedürfnisse ihrer Nutzer zugeschnitten sind. Sie sind relativ einfach zu programmieren und lassen sich über Apples firmeneigenen App-Store bequem vermarkten.

Der Fotodienst Instagram ist der Star dieser neuen Branche. Im Frühjahr wurde die Firma für eine Milliarde Dollar von Facebook gekauft, obwohl sie noch keinen Cent verdient hatte. Es ist ein Rausch, und er hat globale Dimensionen. Zu Zeiten der New Economy waren Internetanschlüsse noch etwas Besonderes, vor allem in Schwellenländern. Dank der Verbreitung der Smartphones ist heute fast die gesamte Welt vernetzt, die Nachfrage nach den Software-Ideen war nie so groß wie heute. In Berlin, Dublin und London bilden sich Gründerszenen, die das Silicon Valley im kleineren Maßstab kopieren. Die Netzwirtschaft boomt wieder.

Doch Apples Bedeutung geht über die Rolle des Unternehmens als Trendsetter im Technologiesektor hinaus. Der Konzern symbolisiert den Strukturwandel der US-Wirtschaft, den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. In den USA beschäftigt Apple Designer, Ingenieure und Programmierer, vor allem aber Scharen von Verkäufern. Dahinter verbirgt sich ein gesamtwirtschaftlicher Trend.

In der postindustriellen Gesellschaft schafft das produzierende Gewerbe immer weniger Jobs, während sich der Dienstleistungssektor aufbläht. In den Sechzigerjahren hießen die Ikonen der US-Industrie General Motors, Ford und US-Steel. Zusammen beschäftigten sie eine Million Arbeiter und bildeten die Pfeiler, auf denen die amerikanische Mittelschicht ruhte.

Apple hat gerade einmal 43.000 Angestellte in den USA. Bei Google sind es 18.500, bei Facebook sogar nur 4000. Das Silicon Valley verspricht große Reichtümer, jedoch nur einigen wenigen, die den hohen Ansprüchen der Netzwirtschaft genügen. Den Übrigen bleibt ein Job bei WalMart, McDonald's oder Target. Kein Wunder, dass die soziale Statik Amerikas ins Wanken geraten ist.

Immer wieder wird Apple für die miserablen Arbeitsbedingungen kritisiert, die in den Werkshallen seiner Zulieferer herrschen. Dabei genügt ein Blick hinter die Designer-Kulissen der Apple-Stores in den USA und in Europa, um dem fragwürdigen Geschäftsgebaren des Konzerns nachzuspüren. Die Verkäufer haben wenig vom sagenhaften Erfolg des Unternehmens, sie werden mit Niedriglöhnen abgespeist.

Nicht einmal an seine Aktionäre schüttet der Konzern seine Milliardengewinne aus. Er bunkert sie auf seinen Konten. In Frankreich hat das Apple-Personal jetzt genug. Die Verkäufer haben für Freitag einen Streik angekündigt. Ausgerechnet zum Start des neuen iPhones. Doch ohne Erfolg, die Läden in Paris konnten wie geplant öffnen. Auch von der Gewerkschaft lässt sich Apple nicht aufhalten.

Linktipp: Bisher nutzten auch Apple-User Google Maps - im neuen Betriebssystem iOS6 für iPhones, iPads und iPods gibt es erstmals eine eigene Kartenanwendung. Der kommt bei den Nutzern nicht so gut an. Der Blog Boing Boing meldet: "iOS6 maps fail so hard, a Tumblr is born." Hier der Link zum Tumblr, der Negativbeispiele sammelt.

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SZ vom 21.09.2012/bero
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