Verkauf von Kundendaten:Der gläserne Bürger hat seinen Schrecken verloren

O2 hat will nun doch keine Kundendaten verkaufen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Konzern in die Kritik gerät, weil er das technisch Mögliche mit dem moralisch Zulässigen verwechselt. Die Dramaturgie ist immer dieselbe: Auf große Empörung folgt kleinlaute Entschuldigung. Dann passiert ziemlich wenig.

Varinia Bernau

O2 verkauft doch keine Kundendaten

Kein Schreckensgespenst mehr: der gläserne Bürger.

(Foto: dapd)

Nun wurde die Sache also abgeblasen, ehe sie richtig in Schwung gekommen war. Keine vier Wochen ist es her, dass Telefónica ein Forschungsprojekt vorstellte, das manche frohlocken und andere frösteln ließ. Der Mobilfunkanbieter, hierzulande unter der Marke O2 bekannt, wollte Informationen darüber, welche seiner Kunden wann und wo unterwegs sind, an Händler verkaufen, die sich genau das fragten, um etwa die Aussichten einer neuen Filiale abzuschätzen. Zumindest in Deutschland wird Telefónica solch einen Dienst nun nicht anbieten.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Konzern in die Kritik gerät, weil er das technisch Mögliche mit dem moralisch Zulässigen verwechselt. Die Dramaturgie ist immer dieselbe: Erst große Empörung, dann kleinlaute Entschuldigung - und dann? Tja, dann passiert ziemlich wenig. Die Bereitschaft, aus der allgemeinen Aufregung über gehortete, abgezapfte oder verhökerte Daten etwas zu lernen, ist jedenfalls erstaunlich gering. Und zwar nicht nur bei den Anbieter, sondern auch bei den meisten Kunden.

Was war das etwa für ein Gezeter, als Google damals seine Autos durch deutsche Straßen schickte, um Häuser für den digitalen Bilderatlas Streetview zu fotografieren. Seinen Konkurrenten gab der Internetkonzern damit gleich mal Anschauungsunterricht in der Kategorie "So macht man's besser nicht."

Unternehmen müssen Technik der Zukunft erforschen

Die Debatte um Google Streetview zeigte, wie empfindlich die Deutschen beim Datenschutz sind. Und dass es für Unternehmen eben nicht nur um die Einhaltung von Gesetzen geht, sondern auch darum, bei verunsicherten Verbrauchern Vertrauen zu gewinnen. Dass Apple, Facebook oder nun eben Telefónica die Lektion nicht beherzigen, lässt sich wohl am ehesten mit der ihnen eigenen Mischung aus bedingungsloser Technologiegläubigkeit und unbändiger Arroganz erklären.

Gewiss, diese Unternehmen müssen erforschen, was die Technik der Zukunft möglich macht. Und sie müssen auch die Möglichkeit ausloten, wie sich damit Geld verdienen lässt. Die Ansprüche, die Kunden an ein Mobilfunknetz stellen, sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Ihre Bereitschaft, für guten Empfang und schnelle Datenübertragung auch etwas zu bezahlen, ist hingegen in demselben Maße geschrumpft. Auch deshalb suchen Mobilfunkkonzerne nach neuen Einnahmequellen - und finden sie in dem riesigen Datenschatz, das ihnen die Kunden mit all ihren immer ausgeklügelten Handys liefern.

Tücken der Technik oft nur im Kleingedruckten

Skandalös ist nicht, dass Telefónica diese Daten nutzen wollte. Skandalös ist, dass der Konzern diese Daten schon bei Handelsunternehmen anpreiste, ehe er dies seine Mobilfunkkunden überhaupt wissen ließ.

Natürlich wissen viele Menschen die neuen Annehmlichkeiten der Technik inzwischen zu schätzen. Weil es bequem ist, wenn man per Tastendruck auf dem Smartphone in einer fremden Stadt sofort weiß, wo die nächste U-Bahn-Haltestelle ist - und wann dort der letzte Zug fährt. Wer macht sich schon die Mühe nachzulesen, wo die dafür notwendigen Daten letztlich landen? Die Vorzüge der neuen Dienste stehen ganz groß auf jedem Werbeplakat, die Tücken oft erst im Kleingedruckten.

Der Nutzen leuchtet jedem sofort ein, die Gefahren erscheinen weniger greifbar. Denn längst ist da eine Generation herangewachsen, die, anders als ihre Eltern und Großeltern, nicht mehr erlebt haben, was passieren kann, wenn leichtfertig preisgegebene Informationen in die falschen Hände geraten. Ja, sie kann es sich nicht einmal mehr vorstellen. Sie sind gern bereit, für die neuen Bequemlichkeiten mit persönlichen Daten zu zahlen. Hauptsache kostenlos. Denn im selben Maße wie eine die Vorstellung eines gläsernen Bürgers für sie an Schrecken verliert, gewinnen all die kostenlosen Apps an Reiz. Dass diese Dienste kaum einer allein aus Idealismus anbietet, das ahnen sie wohl. Dass viele Entwickler ihr Geld damit verdienen, dass sie nebenbei abgezapfte Daten verkaufen, das ist den meisten egal.

Die Abwägung, wie viel man bereit ist, über seine Gewohnheiten preiszugeben, um ein paar Euro zu sparen, muss jeder für sich selbst treffen. Das kann mitunter ziemlich anstrengend sein. Weil Mobilfunker, App-Entwickler und Handy-Hersteller so selten die Karten offen legen. Weil die Technologie sich so rasant entwickelt, dass das manche Kunden überfordert. Aber von der Pflicht, sich zu informieren, entbindet sie dies nicht.

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