Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts sind eine ziemlich nüchterne Angelegenheit. Aber zum Auftakt erlauben die Richter "einleitende Stellungnahmen". Das ist die Stunde der Fensterreden, weshalb es völlig in Ordnung war, dass Gregor Gysi - als Vertreter der klagenden Linken-Abgeordneten - erst einmal erklärte: "Die autoritär-neoliberale Krisenpolitik ist gescheitert."
Vor dem Zweiten Senat des Karlsruher Gerichts ging es freilich an diesem Dienstag im Wesentlichen nur um einen Baustein dieser Politik, um die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom vergangenen September, Staatsanleihen aus Krisenländern zu kaufen, falls und soweit notwendig. Und gescheitert war diese Maßnahme - ob nun autoritär oder neoliberal - keineswegs, sie hat sich vielmehr als höchst erfolgreich erwiesen: Allein das Wort des EZB-Chefs Mario Draghi genügte, um die Märkte zu beruhigen und die Zinsen für die maroden Euro-Staaten zu senken.
Thema der Verhandlung war freilich nicht der Erfolg der Euro-Rettung. Das hatte Präsident Andreas Voßkuhle gleich zu Beginn deutlich gemacht. Für die Verfassungsmäßigkeit der zu prüfenden Maßnahmen spiele es keine Rolle, "ob diese bisher im weitesten Sinne erfolgreich waren. Andernfalls würde der Zweck allein die Mittel rechtfertigen". Der demokratische Verfassungsstaat dürfe "die Einhaltung der Grundregeln unseres Gemeinwesens nicht von tagespolitischen Einschätzungen der jeweils handelnden Akteure abhängig machen".
Kern der höchstrichterlichen Prüfung ist vielmehr folgende Frage: Hält sich die EZB mit dem angekündigten Ankaufprogramm - unter Fachleuten als "Outright Monetary Transactions", kurz OMT, bekannt - im Rahmen ihrer Befugnisse? Oder hat sie den Pfad des Rechts verlassen, weil sie nicht mehr Geldpolitik, sondern indirekte Staatsfinanzierung betreibt, was nicht ihre Aufgabe wäre? Davon sind die Kläger überzeugt: "Das OMT-Programm ist ein Programm zur Vergemeinschaftung von Staatsschulden", sagte der Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, Vertreter des klagenden CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler.
Bundesbank und EZB hatten sich schon zuvor kontrovers darüber ausgetauscht, wie die Anleihekäufe zu qualifizieren sind. Dementsprechend präsentierten Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktor Jörg Asmussen gegensätzliche Einschätzungen. Asmussen bezeichnete das Ankaufprogramm als notwendig, effektiv und mandatsgemäß. Weidmann äußerte sich skeptisch gegenüber dem Programm der EZB, deren Mandat er lieber eng auslegen wollte.
Damit lag er erkennbar auf der Linie der Richter. So zielten einige ihrer Fragen auf die Risiken der Anleihenkäufe durch die EZB sowie auf eine mögliche Kollision mit dem Verbot der Staatsfinanzierung durch die EZB. Für diese betonte Asmussen, dass auch die Anleihekäufe der Preisstabilität dienten, der sich die EZB verpflichtet sehe. Weidmann wiederum warnte vor Verlusten für den Bundeshaushalt und sagte, es könne nicht Aufgabe der Geldpolitik sein, Zeit für Maßnahmen der Fiskalpolitik zu kaufen.
Hinter der diffizilen Grenzziehung zwischen Geld- und Fiskalpolitik tut sich indes das Oberthema des Verfahrens auf. "Es geht um nicht weniger als um die Demokratie in Europa", sagte Murswiek. Und um die Aufmerksamkeit der Richter zusätzlich zu schärfen, sagte er, es gehe auch darum, "ob das Bundesverfassungsgericht bei der weiteren Entwicklung der Demokratie in Europa noch eine Rolle spielen wird". Denn die Zeit der "Ja-aber"-Urteile, mit denen Karlsruhe die Euro-Rettung einigermaßen schonend begleitet hatte, sei vorbei. Diesmal müsse ein klares Nein her.
Tatsächlich steht das Gericht vor dem Problem, dass die Dynamik der Euro-Rettung die europäischen Institutionen gleichsam von Karlsruhe weggetrieben hat. Die Kontrolle der EZB durch das höchste deutsche Gericht hat sich gleich mit zwei Hindernissen auseinanderzusetzen: Die EZB ist europäisch, und die EZB ist unabhängig. Beides erschwert den Zugriff des deutschen Gerichts auf die europäische Institution.
So befasste sich der Zweite Senat zwei Stunden lang mit der Frage, ob die Verfassungsbeschwerden überhaupt zulässig seien. Daran hatten sowohl Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als auch Christian Callies, juristischer Bevollmächtigter des Bundestags, erhebliche Zweifel geäußert. Auch in den Reihen der Richter war Skepsis zu hören. Gertrude Lübbe-Wolff sinnierte, ob die Klage nicht dem Versuch gleiche, der Elbe zu befehlen, sie möge nicht über die Ufer treten. Eine Vorlage, die Klägervertreter Christoph Degenhart gleich zu einem Konter nutzte: "Wie die Elbe die Landschaft flutet, ohne sich von Sandsäcken stoppen zu lassen, flutet die EZB die Landschaft mit Geld, ohne sich von kompetenziellen Dämmen aufhalten zu lassen."
Peter Michael Huber, zuständiger Berichterstatter im Senat, ließ indes anklingen, die Unabhängigkeit der EZB gelte nur im Rahmen ihres in den europäischen Verträgen niedergelegten Mandats, "nicht bei der Definition des Mandats". Auch für Voßkuhle schien außer Frage zu stehen, dass der einzelne Bürger eine Möglichkeit zum wirkungsvollen Rechtsschutz haben müsse. Denn eine unabhängige Institution wie die EZB könne "große Verschiebungen" vornehmen und sich damit neue Befugnisse verschaffen.
Als unabhängige Instanz sei die EZB nun mal nicht an die nationalen Parlamente rückgekoppelt - weshalb sich das Gericht überlegen müsse, ob deshalb die verfassungsrechtliche Kontrolle gestärkt werden müsse. Genau dies, so bekräftigte Murswiek, müsse beim OMT-Programm geschehen: "Es wird deutlich, dass die EZB dauerhaft Kompetenzen für sich in Anspruch nimmt."