Vergrätzte Kunden:Bitte nicht ärgern!

Wer schon einmal umsonst versucht hat, an einem Automaten eine Fahrkarte zu ziehen, dem mag der Hamburger Unternehmer Tim Bosenick wie vom Himmel gerufen erscheinen: Er findet heraus, was Kunden nervt.

Meite Thiede

Auf dem S-Bahnsteig am Münchner Flughafen kann Tim Bosenick sich das Grinsen manchmal kaum verkneifen: Jeden Tag stehen dort ratlose Menschen vor Fahrkartenautomaten und versuchen herauszubekommen, wie sie an einen Fahrschein für die Strecke in die Innenstadt kommen.

"So was ist einfach hanebüchen", sagt der 36 Jahre alte Hamburger Unternehmer, der sein Geld damit verdient, dass Kunden eben nicht so hilflos oder verärgert dastehen wie an einem Münchner Fahrkartenautomaten.

"Ein gutes Produkt", sagt Bosenick, "muss nicht nur funktionieren, sondern es soll auch tauglich sein, gut aussehen und Vertrauen wecken." Viele Unternehmen erfüllen diese Anforderungen in der Realität aber nicht, und nach Bosenicks Erfahrung gibt es vor allem hierzulande viel zu tun.

Von der Ingenieurs-Mentalität beherrscht

"Die Deutschen sind beherrscht von der Ingenieurs-Mentalität und glauben, wenn etwas technisch brillant ist, dann ist es auch gut für den Benutzer."

Vor sieben Jahren hat Bosenick die Firma Sirvaluse Consulting gegründet, die sich heute "Europas größter Produkt-Tester" nennen kann. Am Firmensitz in Hamburg-Wandsbek gibt es mit Kameras und Mikrofonen ausgestattete Räume, durch die jeden Monat 200 bis 300 Testpersonen geschleust werden.

Die versuchen Handys zu programmieren, einen DVD-Recorder anzuschließen oder eine Fahrkarte zu lösen und spüren dabei jene Schwachstellen auf, die Konsumenten zur Verzweiflung bringen.

Es gibt Produkte, sagt Bosenick, da finde sich trotz intensiven Suchens schon der Einschaltknopf nicht. Seine Labors haben eine verspiegelte Trennwand zu einem Nebenzimmer, aus dem man in den Testraum hineinschauen kann.

Im Nebenzimmer sitzen häufig Bosenicks Kunden und können beobachten, wie die Vertreter ihrer Zielgruppe mit ihren neuesten Produkten zurechtkommen. "Da hat sich schon mancher die Haare gerauft, wenn er das mit ansehen musste", sagt Bosenick.

"Erdende Wirkung"

"Aber solche Erlebnisse haben eine ziemlich erdende Wirkung." Denn am Ende gehe es darum, wie eine Firma vermeiden kann, "dass Kunden sich ärgern, dass sie anrufen, dass sie - im schlimmsten Fall - ein Produkt zurückschicken".

Schon eine sperrige Verpackung könne einen Kunden nerven. Das aber sei bereits ein negatives Gefühl, und die "Benutzererfahrung" entscheide mit darüber, ob jemand zum zweiten Mal zu einer Marke greift.

Bitte nicht ärgern!

Talent fürs Organisieren hat Bosenick schon als Teenager bei den Pfadfindern gezeigt. Ihn interessierte die Arbeit als Funktionär mehr als die Frage, wie man im Wald ohne Streichhölzer ein Feuer machen kann.

Später bildete er Gruppenleiter aus, die lernen sollten, wie man Camps mit 400 Teilnehmern auf einer Wiese in Schweden organisiert. In diesem "geschützten Bereich" habe er eine Menge ausprobieren können, was ihm später, als Unternehmer, zugute kam, sagt Bosenick.

Auf Umwegen zum Unternehmer

Doch zum Unternehmer wurde er erst auf Umwegen. An der Uni war er überhaupt nicht zielstrebig, hatte zunächst vier Jahre lang Biochemie und Physik studiert und war schließlich zu den Soziologen gestoßen, wo er auch ein Diplom machte.

Dort lernte er "das Durchwurschteln", sagt er, aber bei seinen Nebenjobs - zum Beispiel brachte er Managern einer Privatbank Excel bei - stellte er auch fest, dass Arbeiten ihm mehr gefiel als Studieren.

Er konnte sich nur nicht entscheiden, ob er Politikberater oder Marktforscher werden wollte. Schließlich entschied er sich für die Marktforschung und gründete 2000, mitten in der Rezession, seine Firma, die für ihren ersten Kunden, Beiersdorf, den Internetauftritt für Nivea testete.

Zukunft im Internet

Die Zukunft von Sirvaluse sieht Bosenick ohnehin im Internet. "Alle Marktforschung krankt daran, dass der Laborbetrieb nicht der Realität entspricht", sagt er.

"Unser Traum ist, in der Realität mitzukriegen, wenn ein Kunde sich gerade ärgert." Und da glaubt Bosenick sich jetzt einen großen Schritt weiter. Er hat zusammen mit einem hannoverschen Unternehmen für 800.000 Euro eine Software entwickelt, die Kunden auf Schritt und Tritt beobachtet - jedenfalls, wenn sie sich im Internet bewegen und vorher zugestimmt haben.

Für diese Software names "Leo" hat er weltweit das Patent beantragt. "Der Vertrieb macht richtig Spaß, denn meistens brauche ich nur fünf Minuten Überzeugungsarbeit zu leisten", freut sich der Unternehmer.

Nun macht er sich an die internationale Expansion seiner Firma Sirvaluse. Im wichtigen Zukunftsmarkt China hat er gerade zusammen mit einem amerikanischen Unternehmen ein Joint Venture gegründet.

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