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Urteil über Rettungsschirm:Europas Krise - ein Fall für Karlsruhe

Dieses Urteil wird Politik und Finanzmärkte bewegen: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet an diesem Mittwoch, ob Deutschlands Beteiligung am Euro-Rettungsschirm dem Grundgesetz entspricht. Wie argumentieren die Kläger? Und welche Folgen könnte das Urteil haben? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Frederik Obermaier

Es wird ein entscheidender Tag für Kanzlerin Angela Merkel und ihre Politik. Im Frühjahr 2010 boxte die schwarz-gelbe Regierung Milliardenhilfen für Griechenland durch. Kritiker waren empört. Sie sahen die künftige Handlungsfähigkeit Deutschlands in Gefahr, zudem verstoße der Euro-Rettungsschirm gegen EU-Recht. Es hagelte Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Für zwei der 50 Klagen fällen Deutschlands oberste Richter am Mittwoch das Urteil. Es entscheidet mit über die Lösung der Schuldenkrise - und wird die Finanzmärkte bewegen.

Wer sind die Kläger?

Geklagt hat zum Einen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Er ist einer der hartnäckigsten Euro-Kritiker in der Union und wird von dem Freiburger Jura-Professor Dietrich Murswiek vertreten. Sein Argument: "Den Euro zu retten, indem man die Fundamentalnormen der Währungsverfassung zerstört, das ist so, als wolle man einen Wasserschaden beheben, indem man das Haus in die Luft sprengt."

Die zweite Klage hatte eine Gruppe um die emeritierten Universitätsprofessoren Karl Albrecht Schachtschneider, Joachim Starbatty und Wilhelm Hankel sowie den früheren Zentralbanker Wilhelm Nölling eingereicht. 1998 hatten die vier bereits gegen die Einführung des Euro geklagt - und verloren. Nun wollen sie die D-Mark zusammen mit dem früheren Thyssen-Chef Dieter Spethmann auf Umwegen zurückholen - das passende Buch präsentierten sie am Montag in Berlin: Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, lautet der Titel. Die aktuelle Krise kann nach Meinung der Klägergruppe nur durch einen radikalen Umbau der Euro-Zone und eine Reduzierung auf maximal sieben "starke Länder" gelöst werden.

Warum zogen die Kritiker vor Gericht?

Stein des Anstoßes war 2010 das Eingeständnis der griechischen Regierung, völlig überschuldet zu sein. Kredite bekam das Land nur noch zu horrenden Zinsen. Die EU-Staaten beschlossen daraufhin ein Kreditpaket im Volumen von 80 Milliarden Euro. 22,4 Milliarden kamen aus Deutschland. Insgesamt bürgt die Bundesrepublik für bis zu 147,6 Milliarden Euro des Euro-Rettungsschirms EFSF für hochverschuldete Länder. Die Kläger fordern, dass der Rettungsschirm geschlossen wird. Ihre Begründung: Die Finanzhilfen verstießen gegen die Nichtbeistandsklausel des EU-Vertrags. Die sogenannte No-Bail-out-Klausel verbietet der EU, für die Schulden eines Landes einzustehen. Genau das sei mit den Griechenlandhilfen jedoch geschehen, kritisieren die Kläger.

Zudem sehen sie das Haushaltsrecht des Bundestags verletzt. Durch die enorme Haftungssumme von 147 Milliarden Euro - das ist fast die Hälfte des Bundeshaushalts von 2009 - würden im Krisenfall die Haushaltsplanungen des Bundestags extrem belastet. Nach Ansicht der Beschwerdeführer würde das Wahlrecht ausgehebelt: Die gewählten Volksvertreter im Parlament wären ihres Rechts beraubt, über jährliche Haushaltsdebatten und Mittelbewilligungen Politik mitzugestalten, wenn kaum noch Geld zum Verteilen vorhanden sei.

Wie verliefen die Verhandlungen bislang?

Das Bundesverfassungsgericht hatte gleich zu Beginn, im Mai und Juni 2010, zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Kläger wollten der Regierung damit bis zum Urteil weitere Finanzhilfen untersagen. Der zweite Gerichtssenat wies diese Forderung jedoch zurück: Die Richter begründeten die Entscheidung damit, dass der Allgemeinheit schwere Nachteile drohten, wenn die einstweilige Verfügung ergehen würde und sich die Finanztransfers später doch als verfassungsrechtlich zulässig erweisen würden.

Danach passierte mehrere Monate lang nichts. Die Richter brüteten über den Akten und die Kläger wurden immer ungeduldiger - denn je länger die Karlsruher Entscheidung auf sich warten lässt, desto mehr Geld kann der Bund in den bisherigen Rettungsschirm pumpen.

In der mündlichen Verhandlung im Juli 2011 versuchte der Senatsvorsitzende Andreas Voßkuhle die Erwartungen zu dämpfen: "Über die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise wird in Karlsruhe nicht verhandelt. Das ist Aufgabe der Politik und nicht der Rechtsprechung." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte die Rettungspakete: "Eine gemeinsame Währung kommt nicht ohne Solidarität der Mitglieder aus." Das deutsche Parlament sei bei der Rettung nicht übergangen worden, "in Deutschland wird keine maßgebliche Maßnahme ohne den Bundestag beschlossen".

Die Verfassungsrichter ließen sich in der Verhandlung nicht weiter in die Karten schauen. Beobachter sahen jedoch zumindest Anzeichen, dass das Verfassungsgericht eine stärkere Einbindung des Bundestages bei der Vergabe von Bürgschaften und Krediten fordern könnte.

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

Wenn die Verfassungsrichter die bisherige Rettungspolitik durchwinken - etwa mit dem Hinweis, den Bundestag bei jedem weiteren Schritt neu zustimmen zu lassen -, wäre das für die Bundesregierung zumindest ein kleiner Erfolg. Der bisherige Rettungsschirm wäre dann verfassungsgemäß. Er soll 2013 jedoch durch einen dauerhaften Rettungsschirm, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), ersetzt werden - und dann würden erneut Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht drohen.

Das Gericht könnte am Mittwoch auch für einen Paukenschlag sorgen - und den deutschen Beitrag zum Rettungsschirm für nichtig erklären. Bereits gezahlte Kredite müssten rückabgewickelt werden. Ein solches Urteil halten selbst die Kläger mittlerweile für unwahrscheinlich. Sollte es dennoch so weit kommen, fiele Deutschland als maßgeblicher Zahler und Bürge aus. Der aktuelle Rettungsschirm EFSF sowie der ESM würden nach Einschätzung von Finanzexperten die Bonitätsnote AAA verlieren.

Als eine Art Mittelweg könnten die Verfassungsrichter die Finanzhilfen für nichtig erklären und dem Staat eine Frist setzen. Bis dahin müssten dann die Zahlungen eingestellt werden - oder eine verfassungskonforme Strategie gewählt werden.

Wie reagiert die Politik?

Angespannt blicken viele Politiker nach Karlsruhe. Verlangen die Verfassungsrichter mehr Mitsprache oder gar ein Vetorecht des Bundestags, könnte dies künftige Rettungsmaßnahmen verlangsamen, wenn nicht sogar verhindern.

Haushaltspolitiker der schwarz-gelben Bundesregierung haben ein mögliches Urteil der Richter schon vorweggenommen: Sie beschlossen vor wenigen Tagen, dem Bundestag künftig mehr Rechte einzuräumen. So soll das Parlament künftig alle potentiell haushaltsrelevanten Aktionen des Euro-Rettungsschirms EFSF genehmigen müssen. Fehlt das Okay des Bundestags, müssen Deutschlands Vertreter in den Gremien des Euro-Rettungsfonds also künftig mit Nein stimmen. Den einzelnen Bundesländern geht das jedoch noch nicht weit genug. Sie fordern auch für den Bundesrat ein Mitspracherecht.

Bereits Ende September steht im Bundestag die nächste Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm an: Die Abgeordneten müssen über die Aufstockung der deutschen Garantien für den Euro-Rettungsfonds von 123 Milliarden Euro auf 211 Milliarden Euro abstimmen. Beobachter rechnen mit zahlreichen Gegenstimmen - die schwarz-gelbe Mehrheit wird das Paket voraussichtlich aber durchwinken - auch wenn bei einer Probeabstimmung der Regierungsfraktionen einige Abgeordnete dagegen stimmten.

Es wird ein heißer Herbst für die Bundesregierung. Denn auch die Abstimmung zum dauerhaften Rettungsmechanismus ESM steht noch aus. Gleichzeitig wächst auch bei Union und FDP die Kritik an den bisherigen Maßnahmen zur Euro-Rettung. Erste prominente Politiker von Schwarz-Gelb fordern sogar den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.

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