Verfassungsklage:Kommunen kämpfen um ihre Energieversorgung

Stromverteilung in Wendlingen

Blick in eine Stromnetz-Leitstelle von EnBW: Energieversorgungsunternehmen haben derzeit wieder Oberwasser.

(Foto: Bernd Weissbrod/dpa)
  • Immer mehr Städte und Gemeinden machen die Privatisierung der Strom- und Gasversorgung rückgängig und steigen auch selbst in die Stromproduktion ein.
  • Dabei stoßen sie auf massive juristische Probleme. Kartellbehörden und Gerichte erachten den freien Wettbewerb für wichtiger als kommunale Selbstverwaltung.
  • Eine Stadt klagt nun in Karlsruhe - und führt damit einen Musterprozess.

Von Heribert Prantl

Kommunen wollen ihren Strom wieder selbst produzieren

Es gibt eine neue Gründerzeit in Deutschland; vor etwa zehn Jahren hat sie begonnen: Unter dem Motto "Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge" werden Stadtwerke neu- und wiedergegründet. Die Städte und Gemeinden machen die Privatisierung der Strom- und Gasversorgung rückgängig. Sie holen sich, so sie sich das finanziell irgendwie leisten können, die Strom- und Gasverteilungsnetze von den großen Energieversorgungskonzernen zurück. Sie steigen auch wieder selber in die Stromerzeugung ein, sie installieren Solarparks und Windräder, sie verstromen Biomasse. Immer mehr Kommunen produzieren den Strom selbst: Das ist neu, das gab es bis vor zehn Jahren kaum noch.

Der Aufstieg der Stromkonzerne, der Aufstieg von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW war mit dem Niedergang der Stadtwerke verbunden, die nur noch Weiterverteiler waren. Dieser Prozess kehrt sich seit zehn Jahren um. 72 Stadtwerke wurden (Stand 2013) seit 2005 in Deutschland neu gegründet, dazu fast tausend Energiegenossenschaften. Das ist ein epochaler Prozess, das ist Teil der Energiewende.

Warum die Rekommunalisierung stockt

Und weil bis zum Jahr 2016 über zweitausend Konzessionen für private Strom- und Gasversorger auslaufen, müsste der Trend zur Rekommunalisierung eigentlich noch einmal einen kräftigen Schub erhalten - eigentlich. Immer mehr Gemeinden wollen die Strom- und Gasverteilungsnetze, die Rohre und Leitungen, die unter ihren Straßen verbuddelt sind, wieder selber übernehmen, wollen also nicht mehr Konzessionen dafür an die Energiekonzerne vergeben. Die Gemeinden proklamieren das "Stromnetz in Bürgerhand" - und sehen den Betrieb der Strom- und Gasnetze in eigener Verantwortung als Kern der kommunalen Selbstverwaltung, als Teil einer bürgernahen und basisdemokratischen Verwaltung.

Aber die Altkonzessionäre, die großen Energieversorger, wehren sich - und haben neuerdings Erfolg. Die Rekommunalisierung der Netze stockt. Grund dafür sind massive juristische Bremsklötze: Kartellbehörden und Gerichte interpretieren nämlich seit Kurzem die Gesetzeslage, das Energiewirtschaftsgesetz, anders als bisher - obwohl sich der Wortlaut nicht geändert hat.

Es wird den Gemeinden von den Kartellbehörden und den Gerichten unendlich schwer gemacht, die Netze wieder selber zu übernehmen; die Gemeinden müssen das Netz nicht nur öffentlich ausschreiben und sich im Rahmen der Ausschreibung dann bei sich selbst um das Netz bewerben; sie dürfen dabei auch kommunale Belange als Ausschreibungskriterien nicht mehr berücksichtigen. Das heißt: Der freie Wettbewerb wird für wichtiger erachtet als die kommunale Selbstverwaltung.

Wie sich Städte und Gemeinden wehren

Der Zorn der Städte und Gemeinden über dieses "kartellrechtliche Regime" ist groß. An die Spitze der zornigen Bewegung hat sich soeben die Schwarzwald-Gemeinde Titisee-Neustadt gestellt, gelegen im äußersten Südwesten der Republik. Bürgermeister Armin Hinterseh (CDU) hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Kommunalverfassungsbeschwerde eingelegt.

Der Bürgermeister will nicht einsehen, dass "wichtige Kriterien wie Bürgerbeteiligung, Bürgernähe, ökologische örtliche Energieversorgung, Schaffung von Arbeitsplätzen oder regionale Wertschöpfung" nicht berücksichtigt werden dürfen. "Tun wir es dennoch", klagt er, sei die Vergabe der Konzession an die Gemeinde nichtig "und die Gemeinde sowie die Gemeinderäte werden mit Bußgeld in Millionenhöhe bedroht".

Wenn eine Kommune aber die kommunalen Kriterien beiseiteschiebe - wie das Kartellamt es verlange - habe sie im Wettbewerb mit den großen Energiekonzernen kaum eine Chance, die Netze selber zu betreiben. Der Bürgermeister hat deshalb von der Freiburger Rechtsanwaltskanzlei Wurster, Weiß und Kupfer eine 139-Seiten dicke Kommunalverfassungsbeschwerde ausarbeiten lassen: Der Wert, der Rang und die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung soll vom höchsten deutschen Gericht wieder ins Recht gesetzt werden. "Kartellrechtliche Vorgaben", so glaubt der Bürgermeister, dürfen doch nicht "die grundgesetzlich verbrieften Rechte der Gemeinden am Parlament vorbei praktisch außer Kraft setzen".

Welche Konsequenzen drohen

Die Gemeinde Titisee-Neustadt hatte 2011 eine eigene Energieversorgung namens evtn gegründet; sie gehört zu sechzig Prozent der Stadt, zu dreißig Prozent den Elektrizitätswerken Schönau (die aus einer Bürgerinitiative entstanden sind und heute zu den größten unabhängigen Ökostrom- und Gasanbietern zählen) und zu zehn Prozent einer lokalen Bürgergenossenschaft. Sie hat das Versorgungsnetz vom Altkonzessionär gekauft und 2012 den Netzbetrieb und die Versorgung aufgenommen. Das Bundeskartellamt leitete 2012 ein Verfahren gegen die Konzessionsvergabe ein, weil es die Kriterien bei dieser Vergabe für zu kommunalfreundlich hielt.

Das Verfahren schwebt wie ein Damoklesschwert. Es schwebt freilich nicht nur über der kleinen Stadt im Schwarzwald - es schwebt über Städten und Gemeinden im ganzen Bundesgebiet; die Rekommunalisierungs-Probleme der Großstädte sind denen des 12 000-Einwohner-Städtchens sehr ähnlich. Auch die Regierungschefs der großen Städte schauen deshalb mit Spannung darauf, ob das Bundesverfassungsgericht hilft.

Bedrohung für die Selbstständigkeit

Der Bundesgerichtshof hatte das Damoklesschwert vor einem knappen Jahr über der kommunalen Selbstverwaltung aufgehängt: Er entschied am 17. Dezember 2013, dass die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften nach Ablauf der Konzessionen für private Versorger das Netz nicht so ohne weiteres wieder selbst übernehmen dürften. Sie müssten das Netz transparent ausschreiben und zwar auch dann, wenn sie den Netzbetrieb eigentlich einem kommunalen Eigenbetrieb übertragen wollen.

Sie dürften kommerzielle Mitbewerber (also im Zweifel den bisherigen Konzessionär, dessen Vertrag ausgelaufen ist) auch nicht durch spezifisch kommunale Kriterien diskriminieren. Es könne, so der Bundesgerichtshof, keinen Vorrang der kommunalen Selbstverwaltung geben. In dem damals verhandelten Fall scheiterten die Stadt Heiligenhafen und drei Dutzend Kommunen in Schleswig-Holstein, weil sie nach Meinung des Gerichts die Neuvergabe der Netzkonzessionen nicht korrekt ausgeschrieben hatten. Die Richter meinten - ebenso wie zuvor die Kartellbehörden - die "Effizienz" von Bewerbern hätte bei der Vergabe der Konzessionen für das Netz stärker berücksichtigt werden müssen.

Bei diesen Konzessionen geht es quasi um die Bewirtschaftung des öffentlichen Raums, um die Vermarktung der Wegerechte: Konzessionsverträge erlauben es einem Unternehmen, die öffentlichen Straßen, Wege, Plätze und sonstigen Verkehrsflächen, die im Eigentum der Kommune stehen, für die Versorgung mit Energie (Elektrizität, Gas, Fernwärme) oder Wasser zu nutzen.

Die Gemeinde erhält, wenn sie Konzessionen vergibt, im Gegenzug für die Gewährung des Leitungsrechts eine Konzessionsabgabe. Paragraf 46 Absatz 2 des Energiewirtschaftsrechts schreibt den Kommunen vor, dass sie bei der Konzessionsvergabe den Zielen des Paragrafen des Gesetzes verpflichtet sind: Sie müssen also bei der Auswahl des Konzessionärs sowohl auf Versorgungssicherheit als auch auf Preisgünstigkeit, auf Umweltverträglichkeit und Effizienz achten.

Worum es den Kartellbehören geht

Diese Formulierungen haben Kartellbehörden und Gerichte genutzt, um die Rekommunalisierung der Netze zu erschweren. Dabei geht es nicht um den Preis für den Rückerwerb; natürlich müssen die Gemeinden für die von den Altkonzessionären geleisteten Investitionen eine Entschädigung zahlen. Es geht darum, ob und auf welche Weise die Gemeinden die Netze selber betreiben, sich also quasi selber konzessionieren dürfen. Die Kartellbehörden und Gerichte versuchen dies, nachdem es ein paar Jahre lang gut funktioniert hat, wieder einzudämmen.

Die Kommunalverfassungsbeschwerde führt dazu klagend aus: "Will eine Gemeinde das in ihrem Gemeindegebiet gelegene Energieverteilungsnetz selbst betreiben, muss sie sich bei sich selbst um eine Konzession bewerben und darf sich selbst nur dann den Zuschlag erteilen, wenn sie im Vergleich zu allen anderen, ebenfalls am Netzbetrieb interessierten Energieversorgungsunternehmen das beste Angebot abgegeben hat. Dabei sorgt das Verbot, kommunale Interessen zu berücksichtigen, dafür, dass nicht das Angebot das beste Angebot ist, das einen Vorteil für die Gemeinde bietet".

Ist ökonomische Effizienz für sich genommen ein verfassungslegitimes Ziel? Darf das Prinzip Wettbewerb an die Stelle des demokratischen Prinzips gesetzt werden? Welchen Rang hat die kommunale Selbstverwaltung? Um diese Fragen geht es, wenn das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde entscheidet. Es sind fundamentale Fragen. Die Antwort wird über die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland entscheiden.

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