Verfassungsgericht billigt Euro-Hilfen:Wenn, wenn, wenn ...

Karlsruhe hat mit seinem Urteil die Kastration des Bundestags verhindert. Es ist ein Krisen-Urteil, das die Euro-Krise durchstehen lässt. Eine Basis für eine europäische Regierung ist es nicht. Alle Interpretationskunst kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die europäischen Möglichkeiten des alten Grundgesetzes sind restlos ausgeschöpft. Wer noch mehr Europa will, muss noch mehr Europa in die Verfassung schreiben lassen: vom Souverän.

Heribert Prantl

Der Euro ist gerichtet, gerettet ist er noch nicht. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Krisen-Urteil; es taugt, um die Euro-Krise durchzustehen. Das Urteil stellt sich Europa nicht entgegen, es droht auch nicht - wohl auch deshalb, weil die Lage ohnehin bedrohlich genug ist. Das Gericht will dazu beitragen, die Krise zu meistern: Zu diesem Zweck schöpft es die Möglichkeiten des Grundgesetzes aus bis zum letzten Rest.

Die Euro-Rettung war nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Und es war auch nicht seine Aufgabe, darüber zu urteilen, ob die finanzpolitischen Maßnahmen zu seiner Rettung gut und geeignet sind. Die Aufgabe der Richter war allein die Entscheidung darüber, ob der deutsche Milliardenbeitrag an der Hilfe für Griechenland und den Euro verfassungsgemäß ist.

Er ist es, sagt das Gericht - und dann folgen dem Ja nicht viele "Aber", wie man sie sonst bei den Europa-Entscheidungen des Gerichts kennt. Es folgt eine Kaskade von "Wenns": Solche Hilfen sind verfassungsgemäß, wenn der Haushaltsausschuss jeder einzelnen Zahlung zustimmt, wenn es also keinen Automatismus für Zahlungen gibt, wenn das Parlament der Herr des deutschen Zahlungsverfahrens bleibt, wenn die Parlamentarier also die Möglichkeiten zur Kontrolle, also nicht nur zum Jasagen, sondern auch zum verbindlichen Neinsagen behalten. Das höchste Gericht hat mit seiner Wenn-Kaskade die Kastration des Bundestags fürs Erste verhindert. Nur deshalb und nur dann sind die Milliardenhilfen verfassungsgemäß.

Das Karlsruher Urteil stellt penible Regeln dafür auf, wie durch eine intensive Beteiligung des Bundestages Rettungsschirme und andere Gerätschaften, die den Regierungen der EU-Staaten notwendig erscheinen, gerade noch grundgesetzkonform zustande kommen können. Es sind dies eigentlich verzweifelte Regeln, die da aufgestellt werden, aber die Richter lassen diese Verzweiflung nicht spüren. Die Richter leisten Nothilfe in europäischer Not, sie holen aus dem deutschen Grundgesetz heraus, was noch irgend geht. Das haben sie angeblich schon ein paar Mal gemacht, bei der Entscheidung zum Maastricht-Vertrag 1993 zum Beispiel, und dann zuletzt beim Urteil zum Lissabon-Vertrag 2009. Immer haben sie gesagt: Bis hierher und nicht weiter. Das hatte aber bisweilen einen recht vaterländischen Gestus, manchmal auch etwas auftrumpfend Herrisches, etwas Rechthaberisches. Diesmal nicht: Das Urteil ist eher elegisch.

Wer noch mehr Europa will, der muss Europa in die Verfassung schreiben

Das Karlsruher Krisen-Urteil ist ein Grundsatzurteil für die Krise, kein Grundsatzurteil für Europa. Es kann die deutsche EU-Politik durch die Krise führen, aber nicht darüber hinaus. Eine Basis für die weitere europäische Einigung ist es nicht. Die Kraft des Grundgesetzes geht jetzt in dem Maß zur Neige, wie aus dem Staatenverbund Europa ein Bundesstaat wird. Das ist der tiefere Gehalt dieses Urteils zum Euro und zur Griechenland-Hilfe.

Es ist, darüber kann alle Interpretationskunst nicht hinwegtäuschen, so: Die europäischen Möglichkeiten des alten Grundgesetzes sind ausgeschöpft. Wenn mehr Europa notwendig ist, wenn eine europäische Regierung geschaffen wird - ob man sie nun "Wirtschaftsregierung" nennt oder anders -, dann reicht es nicht mehr, das Parlament noch mehr zu beteiligen, dann braucht es dafür eine neue Verfassungsgrundlage, dann muss das Grundgesetz grundlegend geändert werden, dann muss das Volk abstimmen.

Dafür ist es aber momentan schon deswegen zu früh, weil angesichts des Aktionismus auf europäischer Ebene derzeit nicht klar ist, worüber eigentlich abgestimmt werden sollte. Wer noch mehr Europa will, der muss noch mehr Europa in die Verfassung schreiben. Das muss der Souverän entscheiden, alsbald nach der Krise.

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