Über die vergangenen Wochen und Monate ist der Konflikt zwischen Lufthansa und der Vereinigung Cockpit (VC) ein wenig vor sich hingedümpelt. Mal hier ein paar Stunden Streik bei Germanwings, dann dort ein Tag bei Lufthansa Cargo, dann nur München, dann nur Frankfurt - das fühlte sich an wie nichts Halbes und nichts Ganzes. Es stellte sich die Frage, wann die Sache wirklich eskaliert.
Die Pilotengewerkschaft scheint sich für eine schrittweise Eskalation entschieden zu haben. Denn der seit Montagmittag laufende Streik ist für die Lufthansa und ihre Passagiere schon deutlich schmerzhafter als alles, was in den vergangenen Wochen stattgefunden hat. Aber es kann, wie der mehrtägige Ausstand im April zeigt, auch noch deutlich schlimmer werden.
Bis Dienstagabend fallen etwa zwei Drittel aller Lufthansa-Flüge aus
Seit Montag, 13 Uhr, und noch bis Dienstagabend fallen voraussichtlich zwei Drittel aller mehr als 2000 geplanten Lufthansa-Flüge aus, mehr als 166 000 Passagiere müssen ihre Reisepläne ändern. In Frankfurt werden am Dienstag so gut wie keine Langstrecken- und nur relativ wenige Europaflüge starten, in München ist etwa die Hälfte aller Verbindungen betroffen. Das zweite Lufthansa-Drehkreuz ist deswegen nicht so stark tangiert, weil dort Töchter wie Air Dolomiti oder Lufthansa CityLine viele Verbindungen im Auftrag fliegen. Auch Germanwings, Austrian und Swiss werden nicht bestreikt.
Auch der neueste Ausstand dürfte weiter keine Bewegung in die verfahrene Situation bringen, denn keine der beiden Seiten will von ihrer Position abrücken. Offiziell geht es bei der Auseinandersetzung um die Übergangsversorgung der Piloten, die bislang üppig abgesichert schon mit 55 in Rente gehen durften. Lufthansa hat den einschlägigen Tarifvertrag gekündigt und will in mehreren Stufen und über mehrere Jahre das frühestmögliche Pensionsalter erhöhen. Allerdings sind die Fristen so generös, dass kein heute beschäftigter Pilot das künftige Mindestalter 60 tatsächlich erreichen muss. Im Durchschnitt hören Lufthansa-Piloten heute mit knapp 59 Jahren auf zu fliegen, die Konkurrenz erlaubt ihren Besatzungen in der Regel, erst mit 60 in den Ruhestand zu gehen.
Ihr Forum:Braucht Deutschland mehr oder weniger Streiks?
Der Streik der Piloten und vor allem der Lokführer bewegt die Gemüter. Bisher zählt Deutschland zu den streikarmen Ländern, aber der Bahnkonflikt hat eine neue Dimension. Brauchen wir eine gemäßigte Streikkultur? Oder sind Streiks heute wichtiger denn je?
Der Konflikt um die Frühpensionierung ist nur vorgeschoben
Doch der Konflikt um die Frühpensionierung ist nur vorgeschoben, die VC nutzt ihn als offiziellen Streikgrund. In Wahrheit geht es um die Spar- und Umbaupläne, die Konzernchef Carsten Spohr im Juli vorgestellt hat und die langsam konkrete Formen annehmen. Spohr will neue Ableger für Billigflüge gründen, die auf Kurzstrecken aber auch auf Interkontinentalverbindungen mit günstigen Preisen Kundenschichten erreichen, die Lufthansa mit ihren Kosten derzeit nicht bedienen kann. Die neuen Ableger, zusammengefasst in dem neuen "Wings"-Konzept, sollen zu 20 bis 40 Prozent niedrigeren Kosten fliegen. Aber auch im Kerngeschäft fordert das Unternehmen Zugeständnisse für einen Teil der Langstreckenjets.
Die VC will sowohl "Wings" als auch die Einsparungen bei Lufthansa selbst unter allen Umständen verhindern. Die Gewerkschaft befürchtet, dass die neuen Ableger die Perspektiven für die Lufthansa-Piloten schmälern und Druck erzeugen, die Tarifbedingungen im Konzern allgemein abzusenken. Doch für diesen Druck sind keine internen Konkurrenten nötig - dafür sorgen schon die Billig-Anbieter und stark wachsende Langstreckenairlines wie Emirates, Etihad und Qatar Airways.
Der Marktanteil der Billigflieger nähert sich im Europaverkehr schnell der 50-Prozent-Marke, ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Bei vielen liegen die Kosten nur ungefähr halb so hoch wie bei Lufthansa, sie können deswegen auch bei viel niedrigeren Ticketpreisen noch Gewinne machen, die für Lufthansa ruinös wären. Und auf den Langstrecken drohen die Anbieter vom Persischen Golf, einen immer größeren Teil des einst lukrativen Asiengeschäfts über die neuen Drehkreuze in Dubai, Abu Dhabi und Doha abzuziehen. Lufthansa war zuletzt gezwungen, immer mehr Asienstrecken einzustellen, und kein Ende ist absehbar.
Spohr, der sein Amt erst im Juni angetreten hat, steht unter enormem Druck, irgendwie eine Trendwende zu schaffen, bevor es zu spät ist. Er macht deswegen bei jeder Gelegenheit deutlich, in der Auseinandersetzung hart bleiben zu wollen. Denn zwar geht es der Lufthansa heute noch relativ gut, aber die verloren gegangenen Marktanteile und sinkenden Gewinne verursachen große Nervosität, zumal das Unternehmen zuletzt hohe Milliardenbeträge in neue Flugzeuge und verbesserte Ausstattung gesteckt hat.
Bei Lufthansa verstärkt sich zudem die Sorge, dass die Streiks die Abwanderung der Passagiere zu Konkurrenten beschleunigen. Weil der nächste Ausstand jederzeit stattfinden kann, sind auch die Vorausbuchungen für die kommenden Wochen schwächer als gewohnt - viele Passagiere wollen kein Risiko eingehen und buchen lieber gleich bei anderen Fluggesellschaften. Der Schaden für die Lufthansa könnte also auch bei den kurzen Streiks auf Dauer viel größer sein, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.