Vereinigte Staaten:Viel reicher als gedacht

In Zeiten der Krise sind das eigentlich gute Nachrichten: Amerikas Wirtschaft steht plötzlich prächtig da. Schade nur, dass es vor allem Änderungen in der Statistik sind, die die Zahlen aufhübschen. Von jetzt an werden etwa Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht mehr als "Kosten", sondern als "Investitionen" verbucht.

Von Nikolaus Piper, New York

Die amerikanische Wirtschaft ist im zweiten Quartal weiter gewachsen - immerhin um 1,7 Prozent und damit mehr, als die Experten erwartet hatten. Das war am Mittwoch die gute Nachricht aus dem US-Büro für Wirtschaftsanalyse (BEA). Viel interessanter war jedoch eine ganz andere Zahl: Das BEA hat seine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung grundlegend revidiert. Mit dem Ergebnis, dass die Amerikaner um 559,8 Milliarden Dollar reicher sind als zuvor gedacht. Im vergangenen Jahr ist die US-Wirtschaft demnach um 2,8 Prozent gewachsen - und nicht um 2,2 Prozent, wie zuvor prognostiziert. Und das alles nur dank der Statistik.

Die Revision ist vor allem eine Referenz an das Wissenszeitalter: Von jetzt an werden staatliche und private Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht mehr als "Kosten", sondern als "Investitionen" verbucht. Allein dies fügt dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) 397 Milliarden Dollar hinzu. Die Korrekturen sind keine nationale Angelegenheit der USA. Mit der Revision setzen sie nur als erste eine Richtlinie der Statistischen Kommission der Vereinten Nationen von 2008 um, das "System of National Accounts 2008" (SNA). Die Behörden der EU, also auch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, werden ihr System am 1. September 2014 umstellen.

Mit der neuen Richtlinie werden die internationalen Statistiken weniger konservativ - sie weisen Werte aus, von denen man noch gar nicht weiß, ob sie sich am Markt umsetzen lassen. Das ist durchaus nicht unumstritten. Das Statistische Bundesamt etwa wäre lieber bei den alten Vorschriften geblieben. "Wir bevorzugen den marktorientierten Ansatz", sagt Norbert Räth, zuständiger Gruppenleiter in der Behörde. Was allerdings "richtig" ist, kommt auf den Standpunkt an: Will man vermeiden, dass sich ein Land reich rechnet, wählt man den alten Ansatz. Will man das Potenzial einer Wirtschaft zeigen, ist der neue besser.

Bei der Revision zeigen sich die Tücken statistischer Methoden: Schon bisher wurden Ausgaben eines Unternehmens für eine neue Maschine als "Investitionen" verbucht, auch wenn niemand wissen konnte, ob diese Maschine je etwas Sinnvolles produziert. Jetzt wird dieser Ansatz, mit einer gewissen Logik, einfach ausgeweitet. Forschung ist wie eine immaterielle Maschine: Sie produziert Patente oder auch nur informelles Wissen, aus dem neue, bessere Produkte entstehen können. Das BEA hat zu dem Zweck eine neue Kategorie eingeführt: "Produkte intellektuellen Eigentums".

Dazu passt, dass das BEA künftig auch selbst erstellte Software und Ausgaben für die Produktion von Kunst als Investition wertet, was 74 Milliarden Dollar zum BIP hinzufügt. Wenn also Steven Spielberg einen Film dreht, erhöhen die Produktionskosten das BIP, auch wenn man noch nicht weiß, ob der Film ein Kassenschlager wird. Da die USA mehr Software, Filme und Fernsehserien produzieren als andere Länder, dürfte die Revision deren Position im internationalen Vergleich verbessern.

Schließlich werden nach dem neuen System Pensionspläne "periodengerecht" verbucht. Ansprüche auf Altersrente gehen dann in die Statistik ein, wenn der Arbeitgeber sie zusagt und nicht, wenn er zufällig gerade in die Kasse einzahlt. Die Änderung hat für die Statistik der USA weitreichende Folgen. Die Sparquote der privaten Haushalte, die bisher notorisch zu niedrig war, wird steigen - das Defizit in den Haushalten von Städten und Bundesstaaten ebenfalls. Richtig eingesetzt, müsste die Methode sichtbar machen, wo Regierungen ungedeckte Zusagen an ihre Mitarbeiter machen.

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