Vereinigte Staaten:Mit der Macht des Öls

Warum fällt der Ölpreis? Es gibt viele Theorien: Wird er gezielt gedrückt, um Iran gefügig zu machen? Oder Russland? Es gibt keine Belege dafür. Aber eines ist klar: In den USA wirkt der Preisverfall wie ein Konjunkturprogramm.

Von Hubert Wetzel

Öl ist Politik, denn Öl ist Macht. Die Kontrolle über Ölquellen und Transportrouten lässt sich direkt übersetzen in politisches Gewicht und Einfluss auf der Weltbühne. Ohne Öl funktioniert die Weltwirtschaft nicht, der schwarze, klebrige Rohstoff ist die strategische Ressource par exellence. Kein Hahn würde nach staubigen Wüstenstaaten wie Saudi-Arabien und Kuwait krähen, sprudelte dort nicht Öl aus der Erde, sobald man ein bisschen bohrt. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, Soldaten, Kampfjets oder Flugzeugträger in diese Regionen zu entsenden, um dort Kriege zu führen (oder führen zu lassen), gäbe es dort kein Öl. Ähnliches gilt für Staaten wie Nigeria oder Aserbaidschan, deren politischer Rang aus westlicher Sicht vor allem davon abhängt, dass sie Öl zu verkaufen haben.

Notfalls mit Waffengewalt

Insofern sind Veränderungen bei Angebot und Nachfrage von Öl und beim Ölpreis immer auch machtpolitisch von Bedeutung. Es ist bezeichnend, dass seit den Fünfzigerjahren gleich mehrere US-Präsidenten den freien Fluss des Öls aus dem Nahen Osten in den Westen zum vitalen Interesse der Vereinigten Staaten erklärt haben - ein Interesse, das notfalls mit Waffengewalt verteidigt werde. Westeuropa hat dieses Interesse stets geteilt, die Durchsetzung (und die damit verbundenen horrenden Kosten) aber immer gerne Amerika überlassen.

Vereinigte Staaten: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Ölpreisschwankungen, sogar starke Ausschläge. Neu ist heute aber, dass sich zumindest in einem Teil der Welt auch die Strukturen grundlegend verschoben haben: Die USA, einst führender Ölimporteur, haben wegen der boomenden heimischen Förderung von Schieferöl den Lieferanten Saudi-Arabien als weltweit führenden Ölproduzenten überholt. Das Auftreten eines großen neuen Produzenten war einer der wichtigsten Gründe für den derzeitigen Ölpreisverfall. Geopolitisch kommt diese neue Rolle der USA einer Revolution gleich, denn der außenpolitische Kompass Amerikas war wegen der Abhängigkeit von nahöstlichem Öl über Jahrzehnte auf diese Region ausgerichtet - mit allen blutigen Folgen. Diese fast absolute Fixierung auf den Nahen Osten lässt nun nach.

Verschwörung zwischen Riad und Washington?

Der sinkende Ölpreis berührt die machtpolitischen Interessen diverser Staaten. Da sind zum einen die Gewinner, zu denen an erster Stelle die USA gehören. Innenpolitisch wirkt der Preisverfall wie eine veritable Steuersenkung für die US-Bürger, die sich die Regierung andernfalls überhaupt nicht leisten könnte. Die positiven Effekte: Der Benzinpreis - der in Amerika dem ähnelt, was in ärmeren Staaten der Brotpreis ist - sinkt, das entlastet die Haushalte, die dadurch mehr Geld für andere Ausgaben übrig haben. Entsprechend sinken auch die Energie- und damit die Herstellungskosten der Unternehmen. Die Wirtschaft wächst, was sich - ob zu Recht oder nicht - praktisch automatisch in steigenden Zustimmungsraten für den Präsidenten niederschlägt.

Zwar schadet der fallende Ölpreis den etablierten heimischen Ölunternehmen in den USA erheblich. Die vergleichsweise teure Förderung von Schieferöl durch das Fracking-Verfahren lohnt sich ab einem bestimmten Barrelpreis nicht mehr. Wo diese Grenze genau liegt, ob bei 80, 60 oder erst 50 Dollar je Fass Öl, ist umstritten. Doch wenn Unternehmen wegen des Preiskrieges in Schwierigkeiten geraten, trifft es nicht die USA als Nation, in der - anders als in Saudi-Arabien, Russland oder Iran - es keine staatliche Ölindustrie gibt. Es trifft private Konzerne. US-Präsident Barack Obama, der ohnehin nicht als großer Freund der Ölindustrie gilt, kann also die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen des Preisverfalls für einige Firmen hinnehmen und trotzdem die politischen Früchte ernten.

Neben den beschriebenen innenpolitischen sind das auch außenpolitische - und damit ist man bei den Verlierern. Der Ölpreisverfall schwächt unter anderem zwei Länder, die derzeit in machtpolitische Auseinandersetzungen mit den USA und dem Westen verwickelt sind: Russland und Iran. Beide Länder finanzieren ihre Haushalte zu einem wesentlichen Teil über den Export von Öl. In beiden Fällen hängt das politische Überleben des Regimes in nicht geringem Maße davon ab, dass genug Geld da ist, um die Unzufriedenheit mit der Regierung im Land durch Subventionen zu dämpfen. Und in beiden Fällen liegt der derzeitige Ölpreis weit unter dem, der nötig wäre, um die Staatsausgaben zu finanzieren.

Tiefe Rezession in Russland

Daher kommt der niedrige Ölpreis den USA außenpolitisch entgegen: Im Falle Irans verstärkt der Preisverfall den Druck auf Teheran, im Streit mit den USA und Europa um das Atomprogramm nachzugeben. Die deswegen verhängten Sanktionen haben den iranischen Ölexport ohnehin schwer getroffen, nun bringt auch das Öl, das noch verkauft werden kann, weniger ein. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft Irans sich in den vergangenen Jahren stets umgekehrt proportional zum Ölpreis verhalten hat: War eines hoch, war das andere gering. Allerdings wird Irans Atompolitik von vielen Faktoren bestimmt, der Leidensdruck durch Sanktionen und den hohen Ölpreis ist nur einer. Nur über den Ölpreis lässt sich das Problem also nicht lösen.

Im Falle Russlands ist das ähnlich. Der fallende Ölpreis (gekoppelt mit den wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen) wird Russland in eine tiefe Rezession stürzen. Welche Folgen das für das russische Verhalten in der Ukraine haben wird, ist freilich nicht abzusehen. Sicher ist aber sowohl bei Iran als auch bei Russland: Machtpolitisch gesehen, nimmt die relative Stärke beider Länder gegenüber dem Westen ab, die Stärke des Westens nimmt zu.

Riad zwischen den Fronten

Ein weiteres Land steht gewissermaßen zwischen den Fronten: Saudi-Arabien. Riad, Schutzmacht der Sunniten, liefert sich derzeit im Nahen Osten einen erbitterten Kampf um Vorherrschaft mit dem schiitischen Iran, besonders blutig in Syrien und Jemen. Jede Schwächung Teherans - zum Beispiel durch sinkende Öleinnahmen - spielt daher den Saudis in die Karten. Das dürfte ein Grund sein, warum Saudi-Arabien seine Ölförderung nicht drosselt, um den Preis dadurch zu stützten. Es gibt sogar die Theorie, dass sich Washington und Riad verabredet haben, den Ölmarkt durch unbegrenzte Förderung zu fluten, den Preis dadurch kollabieren zu lassen - und Iran so in die Knie zu zwingen. Belegen lässt sich eine solche Verschwörung nicht. Allerdings weiß man zum Beispiel, dass die Saudis Amerika 2003 vor der Irak-Invasion zugesagt haben, durch eine höhere Förderung den erwartbaren Anstieg des Ölpreises zu dämpfen. Die Ölförderung als außen- und machtpolitisches Instrument einzusetzen, ist also nicht neu.

Es gibt aber ebenso die Theorie, dass Riad auch deshalb so viel Öl fördert, weil es die neue amerikanische Konkurrenz aus dem Feld schlagen will. Das wäre der klassische Versuch eines ehemals marktbeherrschenden Konzerns, einen aufstrebenden Rivalen durch Dumpingpreise zu ruinieren. Und in der Tat sind einige amerikanische Ölunternehmen durch den Preisverfall schon in Schwierigkeiten geraten. Riad dürfte zu Recht darauf wetten, dass es einen Preiskrieg länger durchhält.

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