Die Steuerfahnder leisten ganze Arbeit. Als im Frühjahr der Verdacht aufkommt, der Stahlkonzern Salzgitter könnte gegen Steuergesetze verstoßen haben, durchkämmen Dutzende Ermittler die Konzernzentrale. Schnell wird ihnen klar, dass der vorliegende Durchsuchungsbeschluss nicht ausreicht. Denn der schließt die IT-Dienstleistungstöchter aus. Sie holen die Genehmigung dafür noch ein und einige Wochen später auch eine für die Niederlassung der Stahlhandelstochter Salzgitter Mannesmann International in Düsseldorf. Und dort stießen sie auf eine Spur, die dem Stahlhersteller noch einigen Ärger bereiten könnte.
Recht rau muss es bei der Razzia zugegangen sein. Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann beschrieb das Vorgehen der Ermittler später so: Es sei doch unter zivilisierten Menschen immer noch gute Sitte, "dass man, bevor man jemandem die Tür eintritt, es vielleicht einmal mit Klingeln versucht".
Die Steuerfahnder dürften den Einsatz in der Konzernzentrale hingegen als Erfolg verbuchen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung kann Salzgitter zwar voraussichtlich den Ursprungsverdacht in Teilen ausräumen. Demzufolge soll der Konzern unzulässige finanzielle Vorsorge für Umweltaltlasten getroffen haben, die den Gewinn und damit die Steuerlast des Konzerns gemindert hätten.
Anhaltspunkte für Gesetzesbruch bei Geschäften mit Iran und Nigeria
Doch damit ist die Sache nicht erledigt. Denn nur wenige Wochen später, am 14. Mai 2014, entschlossen sich die Braunschweiger Ermittler zu der Durchsuchung in Düsseldorf. Dieses Mal nahmen sie sich laut Insidern neben den Büros in Salzgitter und der Niederlassung der Handelstochter Salzgitter Mannesmann International auch Privatwohnungen vor. Über die Tochtergesellschaft werden nicht nur Stahlprodukte, sondern auch Röhren, etwa für Öl-Pipelines, verkauft.
Die Steuerfahnder fanden laut Insidern Anhaltspunkte dafür, dass Salzgitter bei Geschäften mit dem Iran und Nigeria gegen Steuergesetze verstoßen haben könnte. Dabei geht es um den Verdacht, der Konzern könnte Beratern für die Anbahnung von Geschäften zwischen 2005 und 2009 Provisionen von insgesamt mehr als 100 Millionen Euro gezahlt haben und die Ausgaben zumindest teilweise in Steuererklärungen falsch deklariert haben.
Der Konzern habe jedenfalls Probleme, die Zahlungsströme in jedem Einzelfall zu erläutern und ihnen ein zugrunde liegendes Geschäft oder einen plausiblen Empfänger zuzuordnen, sagte ein Insider. Insbesondere die Geschäfte mit Nigeria brächten Salzgitter in Erklärungsnot, heißt es. Zurzeit mühen sich die Steuerfahnder dem Vernehmen nach, ausfindig zu machen, wer im Konzern Kontakt zu den Provisionsempfängern hatte.
Ein Salzgitter-Sprecher bestätigte die laufenden Ermittlungen, wies aber den Verdacht zurück, dass der Konzern die Provisionen in unzulässiger Weise als steuermindernde Betriebsausgaben verbucht habe. "Salzgitter vertritt die Auffassung, sämtliche Zahlungen zutreffend behandelt zu haben." Die externen Vermittler hätten übliche Provisionen für die Anbahnung der Geschäfte erhalten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig will sich zu dem Fall mit Hinweis auf das Steuergeheimnis nicht äußern.
Inzwischen ist auch der Salzgitter-Aufsichtsrat alarmiert. In einer Sitzung vor wenigen Tagen sei der Fall intensiv diskutiert worden, heißt es in informierten Kreisen. Aufsichtsratschef Rainer Thieme gab bereits eine öffentliche Ehrenerklärung für die Führungsspitze ab. Die Kontrolleure hätten keinen Anhaltspunkt, dem Vorstand zu misstrauen. "Wir sind überzeugt, dass er alles ordnungsgemäß gemacht hat", sagte Thieme der Braunschweiger Zeitung. Im Konzern wurden dem Vernehmen nach externe Anwälte hinzugezogen, um zu jedem einzelnen strittigen Punkt Gutachten zu erarbeiten.
Auch wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind - das Verfahren könnte für die Konzernbilanzen dennoch unangenehme Folgen haben. Falls sich der Verdacht konkretisiert und Steuernachzahlungen wahrscheinlicher werden, müsste der Konzern Rückstellungen bilden, die das Ergebnis belasten.
Im Aufsichtsrat und gleichzeitig Dienstherr der Steuerfahnder
Doch das ist nicht alles. Die Affäre zieht inzwischen auch in der Landespolitik Kreise. Denn Landesfinanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) füllt eine heikle Doppelrolle aus: Er war von 2003 bis 2013 Personalvorstand bei Salzgitter und sitzt jetzt im Konzernaufsichtsrat als Vertreter des Landes Niedersachsen. Das ist an dem Stahlkonzern mit 26,5 Prozent beteiligt. Die FDP-Opposition im Landtag fordert daher, Schneider müsse sein Mandat bei Salzgitter aufgeben, denn als Aufsichtsrat sei er über die Ermittlungen, die den Vorstand betreffen, voll im Bilde.
Die CDU sieht einen weiteren Interessenkonflikt, da Schneider als Finanzminister zugleich oberster Dienstherr der Steuerfahnder ist: "Die Steuerfahndung ist eine Behörde des Landes Niedersachsen, sie untersteht dem Finanzministerium", sagte Reinhold Hilbers, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, "der Fall ist sehr grenzwertig." Der Minister stehe unter genauer Beobachtung.
Finanzminister Schneider weist die Vorwürfe zurück, er verwahrt sich gegen Vorverurteilungen. Es sei verfassungsrechtlich geboten, die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten, lässt er mitteilen.
Manch einer meint allerdings, es könnte der Minister sein, der von diesen Ergebnissen als einer der Ersten erfährt.