Verdacht auf Schmiergeld:Dunkle Geschäfte in Sankt Petersburg

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Der Hafen von St. Petersburg wird zum Nadelöhr: Am Zoll bilden sich lange Schlangen, einige Unternehmen sollen deshalb Alternativen gesucht haben.

(Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)
  • Die Bahn-Tochter Schenker und einer ihrer größten Kunden, der Autokonzern Ford, sollen jahrelang Schmiergeld gezahlt haben, um Container rascher durch den Zoll zu bringen.
  • Die mutmaßliche Korruption in Russland interessiert auch die US-Börsenaufsicht SEC.

Von Klaus Ott, Köln

Kilometerlange Warteschlangen vor der Zollstation am Hafen in St. Petersburg, Hunderte genervte Trucker, da brennen offenbar schon mal die Sicherungen durch. Vor Jahren soll ein Lkw-Fahrer des tagelangen Ausharrens überdrüssig gewesen sein und versucht haben, sich vorzudrängeln. Seine genauso genervten Kollegen hätten ihn aus dem Führerhaus gezogen und totgeprügelt. So hat es die Staatsanwaltschaft Köln geschildert bekommen; von einem Mitarbeiter des Transportunternehmens Schenker, einer Tochterfirma der Deutschen Bahn. Der Schenker-Mann war von den Ermittlern als Zeuge zu merkwürdigen Geschäften in Russland befragt worden. Die Bahn-Tochter und einer ihrer größten Kunden, der Autokonzern Ford, sollen jahrelang Schmiergeld gezahlt haben, eine Million Dollar pro Jahr, um Container mit wertvoller Fracht rascher durch den Zoll zu bringen. Warum also sein Leben riskieren, wenn es auch anders geht?

Die Kölner Strafverfolger ermitteln seit Langem. Inzwischen ist die mutmaßliche Korruption in Russland auch ein Fall für die US-Börsenaufsicht SEC aus New York. Die SEC hat sich per Rechtshilfe in das deutsche Verfahren eingeschaltet. Das richtete sich zuerst gegen acht Manager und Mitarbeiter von Schenker. Jetzt zählen zwei Ford-Beschäftigte ebenfalls zum Kreis der Verdächtigen. Ford soll gewusst haben, dass Schenker den Zoll in St. Petersburg bestochen habe, um ein Werk des Autokonzerns nahe der einstigen Zarenstadt zügig beliefern zu können. Im Auftrag von Ford hatte die Bahn-Tochter bis Ende 2014 Container übers Meer nach Russland transportiert und dafür gesorgt, dass die für die Produktion bei St. Petersburg nötigen Teile rasch ans Ziel kamen. Viele Indizien deuten nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung und WDR auf Korruption hin. So eine interne Mail bei Ford vom Januar 2007, in der Schmiergeld für Zöllner erwähnt wird. Dunkle Geschäfte in St. Petersburg; jener Stadt, die für ihre "weißen Nächte" bekannt ist, wenn im Sommer die Sonne nur kurz untergeht.

Auch die SEC will nun wissen, was da los war. Beamte der US-Börsenaufsicht sitzen mit am Tisch, wenn die Kölner Staatsanwaltschaft reihenweise Ford-Beschäftigte vernimmt. Die Ermittler in der Domstadt sind zuständig, weil dort die Europa-Zentrale des US-Konzerns ansässig ist, von der aus die Geschäfte bis Russland gesteuert werden. Die SEC ist zuständig, weil die Aktien von Ford an der New Yorker Börse gehandelt werden. Wer sich dort Kapital besorgt, unterwirft sich den strengen Regeln der US-Börsenaufsicht. Die geht weltweit jedem Verdacht von Korruption nach. Das war schon bei Siemens so gewesen, als die Münchner Staatsanwaltschaft ein Schmiergeld-System enthüllt hatte, mit dem der Konzern zu Großaufträgen für Kraftwerke und andere Projekte gekommen war. Siemens musste 600 Millionen Euro Bußgeld in München zahlen und noch einmal 800 Millionen Dollar an die SEC und das US-Justizministerium. Wegen der Börsen-Notierung in New York.

Eine Million Dollar pro Jahr sind via Schweiz und Zypern an eine Firma in der Karibik geflossen

Jetzt hat die SEC Ford im Fokus und schaltet sich intensiv in das deutsche Ermittlungsverfahren ein. Bei Siemens hatte die Münchner Staatsanwaltschaft Zeugen und Beschuldigte alleine verhört. Die Münchner Strafverfolger und die SEC agierten getrennt. In Köln ist das anders. Bei den Vernehmungen der Ford-Leute durch die deutschen Kriminaler waren wiederholt ein Mr. L. und ein Mr. Y. von der US-Börsenaufsicht zugegen, samt Dolmetscher. Die Beamten aus Übersee versicherten den Zeugen, die SEC könne deren Aussagen "nicht unmittelbar" gegen sie verwenden, solange sie die Wahrheit sagten. Das garantiere ein "Proffer Letter".

Der schützt Zeugen aber nicht vor späterer Strafverfolgung, falls neue, belastende Erkenntnisse hinzukommen. Namhafte deutsche Strafverteidiger halten dieses Vorgehen für fragwürdig, doch den Ford-Leuten bleibt wohl keine Wahl. Zu groß ist der Druck. Also erzählen die Zeugen aus dem Autokonzern den deutschen und den amerikanischen Beamten, was sie über die Praxis in Russland wissen. Das ist eine ganze Menge. Hinzu kommen zahlreiche beschlagnahmte Dokumente, die das Bild abrunden.

Russische Firma beauftragt

Ford hatte Schenker mit der Belieferung des Werkes in St. Petersburg beauftragt. Und Schenker wiederum beauftragte für eine Million Dollar im Jahr eine russische Firma, für eine schnelle Abwicklung der Transporte im Hafen zu sorgen. Die russische Firma war offenbar von Ford empfohlen worden. Der Autokonzern äußert sich dazu nicht. Die Dollar-Million wurde von Schenker auf Konten in der Schweiz und in Zypern überwiesen, ehedem klassische Geldwäsche-Staaten. Die Konten gehörten einer Finanz-Holding der russischen Firma mit Sitz in der Karibik, einem Paradies für Schmiergeldempfänger.

Ein Logistik-Ingenieur von Ford berichtete den Ermittlern, früher habe es im Hafen von St. Petersburg "unendlich lange Schlangen" von Lkws gegeben. Später sei das besser geworden. In Russland würden die Dinge anders geregelt als in anderen Ländern, sagte der Zeuge vieldeutig. Frage der Staatsanwaltschaft: möglicherweise mit Bestechung? Antwort des Ford-Mannes: Ja. Bei Treffen mit anderen westlichen Unternehmen, die ebenso unter den langen Wartezeiten in St. Petersburg gelitten hätten, sei darüber gesprochen worden. Niemand habe Korruption offen zugegeben, aber angedeutet hätten es viele. Möbelhändler etwa, oder Baumarktketten.

Ford sagt, man fühle sich besonders verpflichtet, ethische Prinzipien einzuhalten

In Ford-Dokumenten ist die Rede von "speziellen Übereinkünften" mit Polizei und Hafenbehörde in St. Petersburg; von "inoffiziellen Wegen", wie man die Abfertigung beschleunigen könne; von einem "Grünen Korridor", einer speziellen Spur für die Lkws mit der wertvollen, im russischen Werk so dringend benötigten Autofracht. Und von einer Sondergebühr für eine Vorzugsbehandlung, einer "National Container Service Fee", die über Schenker und deren russischen Subunternehmer abgewickelt wurde. Eine Umschreibung für Schmiergeld? So sieht es die Kölner Staatsanwaltschaft, und dazu passen Zeugenaussagen von Ford-Beschäftigten. Ein Logistik-Manager des Autokonzerns berichtete den Ermittlern, man habe der Transportgesellschaft Schenker klargemacht, "dass wir als Ford nicht an irgendwelchem Schmiergeld beteiligt sein sollten". So läuft das oft bei solchen Geschäften. Die Schmutzarbeit wird ausgelagert.

War das auch bei Ford so? Die Kölner Europa-Zentrale des US-Konzerns antwortet nicht auf Fragen, sondern schickt nur eine allgemeine Stellungnahme. Ford fühle sich besonders verpflichtet, Gesetze und ethische Prinzipien bei allen Transaktionen weltweit einzuhalten. Man unterstütze behördliche Untersuchungen, kommentiere laufende Verfahren aber nicht. Die Deutsche Bahn ist auskunftsfreudiger. Bei eigenen Untersuchungen habe "nicht zweifelsfrei aufgeklärt" werden können, welche Gegenleistung der russische Subunternehmer von Schenker für die gezahlte Sondergebühr erbracht habe. Die Bahn-Tochter arbeite seit Jahren mit der russischen Firma nicht mehr zusammen, der Vertrag mit Ford sei Ende 2014 ausgelaufen.

Die Kölner Staatsanwaltschaft steht vor dem Problem, die mutmaßlichen Schmiergeldempfänger zu benennen. Rechtshilfe in Russland? Aussichtslos. Aber da gibt es noch das Delikt der Veruntreuung von Unternehmensvermögen, wenn bei Ford und der Bahn-Tochter Schenker für die jahrelang gezahlte, in dunklen Kanälen versickerte Dollar-Million keine legale Gegenleistung nachweisbar ist. Bei Siemens sind am Ende viele Manager von der deutschen Justiz wegen Untreue belangt worden, und die US-Börsenaufsicht SEC hat ebenfalls kräftig durchgegriffen.

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