Jetzt aber! Oder? Nein, es ist wieder nur das Ende der Musikschleife, und die Stimme im Telefon ist nicht die eines Kundendienst-Mitarbeiters. Sondern bloß die automatische Ansage. Kein Durchkommen. Es ist jetzt schon mehr als 40 Minuten her, dass der junge Mann aus der Nähe von München die Servicenummer von Deutschlands Vorzeige-Airline gewählt hat, und er fragt sich, wie viele Mitarbeiter bei der Lufthansa eigentlich noch im Kundenservice arbeiten.
Die Fluggesellschaft ist keine Ausnahme. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hat jetzt untersucht, wie es um den Service von Deutschlands Unternehmen steht. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Bei vielen Anbietern ist der Kontakt zur Serviceabteilung irgendwo auf der Website versteckt, die Unternehmen reagieren nicht auf Anfragen und Beschwerden, die Mitarbeiter sind inkompetent oder die Firmen halten die Kunden hin, bis die entweder entnervt aufgeben oder aber bis Fristen abgelaufen sind. Die Kunden erleiden dadurch oft finanzielle Nachteile.
Je 50 ausgewählte Beschwerden aus den drei Bereichen Energie, Digitales und Finanzen hat sich der VZBV genauer angesehen, es ist aber nur die Spitze des Eisbergs, wie Carola Elbrecht sagt, Referentin beim VZBV im Team Marktbeobachtung: "Wir wollten erst einmal vorfühlen, es wurden uns noch weit mehr Fälle gemeldet." Vor allem im Bereich Digitales gebe es hohe Fallzahlen, sagt sie, "die Dunkelziffer ist auf jeden Fall höher". Nicht jeder wende sich schließlich mit seinem Fall an die Verbraucherzentrale.
Wie viele Service-Anfragen und Beschwerden von Verbrauchern ungehört verhallen oder nicht zufriedenstellend abgewickelt werden, das können die Verbraucherschützer daher nicht quantifizieren. Ziel der Untersuchung des VZBV war es, zunächst die Bandbreite der Probleme zu zeigen, mit denen sich Verbraucher konfrontiert sehen. Die Verbraucherschützer wollen das Problem aber in Zukunft verstärkt im Auge behalten.
Dokumentierte Fälle sind oft haarsträubend
Sie nutzen dazu das Frühwarnsystem der einzelnen Verbraucherzentralen der Länder sowie des Bundesverbandes. Die Fälle, die dort landen, sind allesamt haarsträubend. So wie dieser: "Eine Verbraucherin verlangte sechs Monate lang wiederholt einen Rücksendeschein für eine Ware. Dann erklärte der Anbieter auf einmal, dass das Widerrufsrecht verwirkt und die Erstattung des Kaufpreises nun ausgeschlossen sei."
Oder dieser: "Ein Verbraucher betätigt den Button 'Kündigung vormerken' auf der Website eines Unternehmens. Die daraufhin angekündigte Mail mit einer Telefonnummer, unter der die Kündigung hätte bestätigt werden müssen, erhielt der Verbraucher erst nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist mit der Folge einer einjährigen Vertragsverlängerung." Die Verbraucher fühlen sich oft extrem hilflos, "wir sitzen jetzt hier seit über zwei Wochen ohne Warmwasser und ohne Hilfe", berichtete dem Verband etwa einer, dessen Wartungsvertrag nicht erfüllt wurde.
Warum viele Unternehmen einen derart schlechten Service bieten, dafür vermute man verschiedene Gründe, sagt Expertin Elbrecht. Entweder sie betrachteten den Kundenservice als nicht wichtig für ihr Geschäft. Oder aber der offenkundige Mangel an Service sei "bewusst kalkuliert". Das heißt also, das Geschäftsmodell des Unternehmens basiert darauf, die Rechte von Verbrauchern absichtlich zu missachten, um Kosten zu sparen.
Aber spart man wirklich mit schlechtem Service? Matthias Göhler würde da widersprechen. Göhler ist verantwortlich für das Europageschäft von Zendesk, einem US-Unternehmen, das Software für den Kundenservice herstellt, etwa 100 000 Unternehmen nutzen sie. 80 Prozent der Konsumenten in Deutschland seien bereit, wieder bei dem Unternehmen zu kaufen, wenn ihnen bei einer Anfrage oder einem Problem schnell und unbürokratisch geholfen wurde, sagt er.
Auch er schließt nicht aus, dass es zum Geschäftsmodell gehören kann, für Kunden unerreichbar zu sein oder nicht auf Anfragen zu reagieren. In vielen Fällen aber fehle auch einfach das Verständnis für guten Service. Dazu gehört für ihn in erster Linie, den Service zu personalisieren. "Wenn ich bei einem Unternehmen etwas gekauft habe, erwarte ich auch eine personalisierte Ansprache", sagt er, "welches Produkt habe ich gekauft, wie würde ich gerne kommunizieren?" Was aber niemand wolle: sich dauernd wiederholen zu müssen, etwa wenn man weitergeleitet werde.
Aber nicht nur die Kunden leiden, wenn ein Unternehmen schlechten Service bietet, auch die Service-Mitarbeiter bekommen den Ärger ab, wenn etwa ein Kunde zum dritten Mal seine Geschichte erzählen muss. Einfache Fragen ließen sich oft mit automatisierten Systemen lösen. Trotzdem: Die Interaktion mit Menschen werde es immer geben, glaubt Göhler, aber Technik könne dabei helfen, die Serviceleistung zu verbessern. Zum Beispiel, indem sie den Servicemitarbeitern die Kundenhistorie anzeigt. Womöglich ist der Anrufer ja jemand, den man als Kunden keineswegs verlieren möchte?
Die meisten Anfragen kommen bei den Firmen als E-Mail an, Social-Media-Kanäle spielen dagegen eine kleine Rolle - noch. "Dort verzeichnen wir das größte Wachstum", sagt Göhler. Für die Servicekräfte stelle sich das bei Zendesk ohnehin gleich dar, die Mitarbeiter müssten dann bloß einen anderen Knopf drücken. Jedenfalls müsse man davon wegkommen, den Kundenservice als reinen Kostenfaktor zu sehen. "Es ist billiger, Kunden zu halten als neue zu akquirieren." Allmählich aber dächten die Unternehmen hier um.
Manchmal fließt das Feedback direkt in die Produktentwicklung ein
Guter Service und gute Kommunikation mit den Kunden kann sogar helfen, das Unternehmen nach vorne zu bringen. Das Münchner Start-up Personio zum Beispiel, ein Kunde von Zendesk, lässt das Feedback der Kunden direkt in die Produktentwicklung einfließen, unter anderem durch Heatmaps. Diese zeigen Bereiche an, in denen die Kunden auf Probleme stoßen.
Und was können Verbraucher tun, wenn sie auf Unternehmen treffen, die die Kommunikation verweigern? Verbraucherschützerin Elbrecht rät dazu, in solchen Fällen Briefe als Einschreiben mit Rückschein an die Adresse zu schicken, die im Impressum genannt ist. Die Kommunikationsversuche mit dem Unternehmen sollte man gut dokumentieren. Wenn man mit der renitenten Firma telefoniert, sollte man einen Zeugen hinzubitten. Weitere Tipps finden sich auf der Website des VZBV. Der Verband ermuntert die Verbraucher zudem, ihm Fälle von schlechtem Service zu melden.
Der junge Mann aus der Nähe von München hat nach mehr als 45 Minuten in der Warteschleife endlich jemanden bei der Lufthansa am Apparat. Er erzählt seine Geschichte, die Mitarbeiterin hört zu, stellt Zwischenfragen. Und am Ende sagt sie, der Fluggast möge doch bitte eine Mail an den Kundenservice schreiben - dort könne das besser bearbeitet werden.