Verbraucherschutz:EU plant Sammelklagen fast wie in den USA

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Eine Sammelklage wegen Nutella kostete Ferrero in den USA drei Millionen Dollar. (Foto: REUTERS)

Einer für alle, alle gegen einen: Damit Verbraucher besser Schadenersatz fordern können, will die EU-Kommission Sammelklagen erleichtern. Die Wirtschaftslobby ist entsetzt - obwohl die EU ihr entgegenkommt.

Von Andreas Jalsovec

Ein Fall wie der von Athena Hohenberg ist der Albtraum deutscher Unternehmen. Im Jahr 2011 verklagte die Amerikanerin den US-Ableger der Firma Ferrero. Der hatte in der Werbung versprochen, sein Brotaufstrich Nutella sei ein "Beispiel für ein ausgewogenes Frühstück". Athena Hohenberg hielt das für irreführend und zog vor Gericht. Am Ende einigte sich das Unternehmen mit der streitlustigen Dame außergerichtlich auf Zahlung von drei Millionen Dollar.

Von der Einigung profitieren auch andere Nutella-Käufer: Für jedes Glas, das seit 2008 in den USA verkauft worden war, bekamen sie bis zu vier Dollar zurück. Möglich war das, weil Hohenberg eine Sammelklage angestrengt hatte. Jeder, der sich von der Nutella-Werbung ebenfalls getäuscht sah, konnte sich im Nachhinein dem Vergleich anschließen.

Ganz so einfach wie in den USA werden es Verbraucher in Europa künftig nicht haben. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen Sammelklagen aber zumindest deutlich leichter als bisher gemeinsam gegen überhöhte Preise wegen Kartellabsprachen, zu Unrecht stornierte Flugreisen oder teure Gebühren bei der Geldanlage vorgehen können.

Am Dienstag stellte die Kommission Leitlinien vor, wie Verbraucher mithilfe von Sammelklagen ihr Recht gegen Unternehmen durchsetzen können. Vertreten werden können sie dabei von Verbraucherschutzverbänden. Die Empfehlungen sind für die Staaten zwar nicht verpflichtend. Sie stellen aber eine Aufforderung dar, in den nächsten Jahren sogenannte Kollektivklagen zuzulassen.

Damit nimmt nun doch noch ein Vorhaben Gestalt an, das die EU-Kommission schon seit Jahren umsetzen will. Bereits 2007 stand die Einführung europäischer Sammelklagen auf ihrem Plan. Gescheitert ist sie damit bislang stets am Widerstand aus der Wirtschaft - vor allem in Deutschland und Frankreich. Die Unternehmen fürchten, dass dadurch künftig ähnlich hohe Schadensersatzforderungen auf sie zukommen könnten, wie sie in den Vereinigten Staaten schon lange gang und gäbe sind. Die EU-Pläne könnten "in Europa zu völlig neuen Missbrauchsrisiken führen", heißt es etwa beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Tatsächlich sind Sammelklagen - die sogenannten class actions - bei Firmen in den USA gefürchtet. Nicht nur Lebensmittelunternehmen wie Ferrero wurden mit deren Hilfe schon mit Millionenansprüchen konfrontiert. Auch Autokonzerne und die Tabakindustrie sehen sich deshalb immer wieder vor hohen Schadensersatzforderungen. Am meisten, so der Bundesverband der Deutschen Industrie, profitierten davon aber nicht die Verbraucher, sondern Interessenverbände und Anwaltskanzleien. Eine regelrechte Klageindustrie sei in den USA so entstanden.

"Dass es so etwas nun auch in Europa geben wird, kann ich mir nicht vorstellen", sagt dagegen Jutta Gurkmann. Die Referentin für Wirtschaftsrecht beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hält es für "unbedingt notwendig", dass die Rechte der Verbraucher mit der Möglichkeit zur Sammelklage gestärkt würden.

Zwar gibt es im deutschen Recht bereits Wege, wie etwa Verbraucherzentralen stellvertretend für mehrere Kläger ein Verfahren führen können. Dies sei jedoch sehr aufwendig. Verbraucher als Einzelne hingegen schreckten vor dem Risiko eines langen Gerichtsprozesses meist zurück. "Sie trauen sich nicht, ihren Schaden einzuklagen", berichtet Gurkmann.

Ein sehr großer Teil der Ansprüche der Geschädigten bleibe daher auf der Strecke - selbst wenn es einige wenige wagten, gegen das betreffende Unternehmen vorzugehen, meint auch der Münchner Anlegeranwalt Peter Mattil. So habe es etwa im Fall der pleitegegangenen Investmentbank Lehman Brothers rund 50.000 geschädigte Anleger gegeben. Kaum 2000 jedoch zogen deswegen vor Gericht. "Wir brauchen unbedingt die Möglichkeit zur Sammelklage", fordert Mattil daher.

Um dabei amerikanische Verhältnisse zu vermeiden, gibt die Kommission den EU-Staaten nun einige Ratschläge mit auf den Weg, die den Missbrauch der Kollektivklagen verhindern sollen. So dürfe es dabei keine erfolgsabhängigen Honorare geben. Diese könnten für Anwälte ein Anreiz sein, möglichst viele Prozesse anzustrengen. Außerdem sollen nur diejenigen von einem Erfolg profitieren, die der Klage aktiv beitreten. Betroffene, die - wie im Nutella-Fall in den USA -, im Nachhinein automatisch Geld bekommen, gäbe es dann nicht.

Zwei Jahre gibt die Kommission den Staaten Zeit, um die Empfehlungen umzusetzen. Nach weiteren zwei Jahren will sie nach eigener Aussage die Ergebnisse "überprüfen und entscheiden, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind". Soll heißen: Erst dann könnte aus der Empfehlung eine Pflicht werden.

© SZ vom 12.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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