Süddeutsche Zeitung

Verbraucherschutz:Die Politik kuscht vor den Konzernen

Lesezeit: 3 min

Verkehrsminister Dobrindt hat Sammelklagen gegen VW vorerst verhindert. Das ist gefährlich.

Kommentar von Stephan Radomsky

Gleich vier Ausrufezeichen, damit es nur ja niemand missversteht. "Lehnen wir ab!!! Komplett streichen!" Keine Frage: Verkehrsminister Alexander Dobrindt wollte eindeutig sein, als er den Gesetzesentwurf für mögliche Sammelklagen von Verbrauchern gegen Konzerne, allen voran Volkswagen, abschoss. Es ist schon bedenklich genug, dass er mit seiner satzzeichenreichen Anmerkung klingt wie einer dieser besorgten Bürger auf Facebook. Wirklich schlimm ist aber, dass Dobrindt damit das Wohl der Verbraucher hintanstellt, sobald er die Interessen einheimischer Unternehmen gefährdet sieht. Schlimm ist auch, dass Verbraucherschutzminister Heiko Maas ihn dabei einfach gewähren lässt. Beides ist extrem kurzsichtig.

Die Minister stehen damit für ein lange eingeübtes Muster: Egal, ob bei Autoabgasen, Finanzanlagen oder Lebensmittelkennzeichnung - Verbraucherschutz ist immer dann ein beliebtes Thema, wenn er zur Parole in Wahlkämpfen oder Freihandelsverhandlungen taugt, aber niemandem wirklich wehtut. Hauptsache, die Geschäftsmodelle der Konzerne werden nicht ernsthaft infrage gestellt. Kommt es doch einmal so weit, ist die Politik stets zur Stelle, um den wirklich informierten und wehrhaften, also den tatsächlich mündigen Verbraucher nicht zu stark werden zu lassen.

Verbraucherschutz ist nur dann ein beliebtes Thema, wenn er niemandem wehtut

Der sei ja ohnehin nur "ein schönes Ideal", eine unrealistische "Vorstellung", beklagte ausgerechnet Maas schon vor zweieinhalb Jahren und forderte: "Einfachheit ist gefragt. Informationen müssen kurz, verständlich und vergleichbar sein." Dass sie vorneweg erst einmal verfügbar und hinterher auch effizient einklagbar sein müssen, davon war keine Rede.

Es könnten Arbeitsplätze gefährdet werden, so wird diese Zauderei meist begründet. Und sicherlich: Wenn informierte Verbraucher ihren Konsum lenken und ihre Rechte durchsetzen könnten, es würde für Autohersteller, Finanzkonzerne oder Lebensmittelhersteller womöglich höchst unangenehm, weil teuer. Das Schutzdenken Dobrindts ist aber nicht nur falsch, sondern auch gefährlich - und zwar für die Politik genauso wie für die Wirtschaft.

Denn die Unternehmen profitieren am Ende keineswegs davon, wenn sie in Berlin oder Brüssel protegiert werden, im Gegenteil. Irgendwann fliegt der Schwindel doch auf. Bis es so weit ist, werden echte Innovationen und Verbesserungen zugunsten der einfachen Lösung vertagt, während die Konkurrenz anderswo mit ihren Ideen davonzieht. So hielt VW einfach weiter am Diesel fest, obwohl längst klar war, dass die vorgeblichen Fortschritte nur noch durch Tricksereien zu erzielen waren. Die E-Autos überließ man anderen, die heute einen großen Vorsprung haben. Ein bisschen mehr Respekt vor den Kunden und ihren juristischen Möglichkeiten hätte da vielleicht heilsam wirken können, bevor es zu spät war. So ist der Schaden aber ein doppelter.

Was wäre so schlimm daran, wenn sich ein Konzern auch in Deutschland vor seinen geprellten Kunden verantworten müsste? Sie haben schließlich nicht den Fehler gemacht. Und solch fantastische Schadenersatzsummen wie in den USA sind im hiesigen Rechtssystem nicht verbreitet. Das Risiko für die Wirtschaft wäre also kalkulierbar. Wenn den Firmen aber gar keine Strafe droht, werden sie auch künftig immer wieder in Versuchung geraten, Kunden und Öffentlichkeit zum Narren halten.

Das aber kümmert die Politik offenbar wenig, es wird nur an heute gedacht. So verspielen Dobrindt mit seinem vorauseilenden Gehorsam und Maas mit seiner Nachgiebigkeit noch mehr Verbrauchervertrauen. Der Konsument aber ist auch Wähler - und als solcher frustriert. Das Ergebnis sind Misstrauen und Totalverweigerung, wie sie sich in den Massenprotesten gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta offenbaren. Wenn da Zehntausende gegen jenen freien Handel protestieren, von dem das Land so enorm profitiert hat, äußert sich darin eine Angst, an der die Politik mitschuldig ist: Wenn der Staat schon vor Konzernen wie Volkswagen und der Telekom kuscht, die ihm zum Teil ja selbst gehören, wie soll er seine Bürger dann im Ernstfall vor multinationalen Konglomeraten aus Übersee schützen? Die vielen Vorteile, die solche Abkommen böten, fallen dagegen unter den Tisch.

Es mag deshalb sein, dass sich Dobrindt mit seinen Ausrufezeichen zeitweise durchgesetzt hat. Langfristig dürfte der Minister mit seiner markigen Intervention aber nur Populisten genutzt haben. Denen, die gegen Freihandel, EU und Euro sind. Denen, die vorgeben, sich ums Volk zu kümmern.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2016
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