Süddeutsche Zeitung

Verbraucherkredite:Immer mehr Deutsche leben auf Pump

  • 42 Prozent der deutschen Haushalte nutzen derzeit die Möglichkeit, Anschaffungen über Verbraucherkredite zu finanzieren.
  • Dass dieser Prozentsatz steigt, liegt unter anderem an den niedrigen Zinsen - aber auch an einer gesunkenen Hemmschwelle.

Von Felicitas Wilke

1300 Euro für ein neues Sofa sind eine Menge Geld. Vor allem dann, wenn sie auf einen Schlag vom Konto verschwinden. Da klingt es verlockend, wenn Monat für Monat nur ein kleinerer Betrag abgebucht wird. Bei Anne Maurer aus Thüringen war es eine Rate von gut 50 Euro, die ähnlich wie die Miete monatlich fällig wurde. Die 30-Jährige, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, schloss den Ratenkreditvertrag über 24 Monate im Möbelhaus ab. Weil sie eine sogenannte Null-Prozent-Finanzierung nutzte, musste sie keine Zinsen zahlen. "Für mich lief das ganz entspannt ab", sagt Maurer. "Ich musste mein Konto nicht extrem herunterfahren und hatte trotzdem ein neues Sofa."

Zwar gelten die Deutschen als sparsam. Doch die Niedrigzinspolitik der EZB lädt die Verbraucher in Europa momentan geradezu ein, ihr Geld auszugeben statt es zu sparen. Und so kommt es, dass immer mehr Menschen einen Kredit nutzen, um Konsumgüter wie Möbel oder einen Neuwagen zu finanzieren - so wie Anne Maurer. Seit 2013 steigt die Nachfrage. Bei sogenannten Verbraucherkrediten leihen sich die Menschen selten mehr als 25 000 Euro. Möbelhäuser und Elektronikhändler locken oft mit einer Null-Prozent-Finanzierung. Und auch die Banken, die beispielsweise Autokredite anbieten, werben mit günstigen Zinssätzen von gut drei Prozent.

42 Prozent der Haushalte nutzen derzeit eine Finanzierung

Die Deutschen müssen derzeit gut 225 Milliarden Euro zurückzahlen, um ihre Verbraucherkredite zu bedienen. Eine Studie der GfK zeigt, dass 42 Prozent der Haushalte in Deutschland eine Finanzierung nutzen. Dazu zählen auch Leasingverträge, den Großteil dürften aber Verbraucherkredite ausmachen. Als die Zinsen noch nicht so niedrig waren, in den Jahren vor 2010, lag der Wert bei 38 Prozent. Der am weitesten verbreitete Konsumentenkredit ist die Ratenzahlung, bei der die Verbraucher ihre Kosten auf eine längere Laufzeit verteilen. Allein im ersten Quartal 2016 ist das Volumen von Ratenkrediten im Vergleich zum Vorjahr um 5,5 Prozent gestiegen. "Das ist für deutsche Verhältnisse eine sehr hohe Wachstumsrate", sagt Peter Barkow, Geschäftsführer des Beratungs- und Analysehauses Barkow Consulting.

Für die Banken ist das ein gutes Geschäft. "Konsumentenkredite sind für sie längst nicht das Margen-arme Geschäft, für das man es halten könnte", sagt Barkow. Im Gegenteil: Barkow Consulting hat Zahlen aufbereitet, die zeigen, dass die Gewinnspannen in den vergangenen fünf Jahren sogar deutlich gestiegen sind. Die Finanzaufsicht Bafin prüft derzeit, ob die Banken die niedrigen Marktzinsen rechtzeitig an ihre Kunden weitergegeben haben. Die Institute profitieren sogar von der Null-Prozent-Finanzierung. Schließlich gewinnen sie so neue Kunden hinzu.

Kredit-Hemmschwelle scheint deutlich gesunken zu sein

Dass ein Darlehen für immer mehr Menschen eine Option ist, beobachtet auch Stefanie Laag von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Die Hemmschwelle, einen Kredit aufzunehmen, ist gesunken", sagt sie. Für Laag liegt das auch an der Werbung, die den Menschen suggeriere, "dass es völlig normal ist, sich zu verschulden". Doch es dürfte noch andere Gründe geben. Zum einen die niedrigen Zinsen: Der günstige Ratenkredit macht's möglich, dass es auch mal der teurere Fernseher sein darf. Hinzu kommt, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt seit Jahren gut ist. Die Menschen sorgen sich weniger darum, ihren Job zu verlieren.

Doch wenn Verbraucher Geld ausgeben, das sie zum Zeitpunkt des Kaufs nicht haben, gehen sie immer ein Risiko ein. Keiner weiß das besser als Sylvia Pinsl. Sie arbeitet bei der Schuldnerberatung H-Team in München und betreut jede Woche ungefähr vier neue Klienten. "Etwa drei davon haben Probleme mit Ratenkrediten, Dispositionskrediten oder Kreditkarten", sagt Pinsl. Wer zu ihr kommt, weiß nicht mehr, wie er seine Schulden begleichen soll. Wenn Menschen unerwartet krank werden oder ihre Stelle verlieren, wird die monatliche Tilgungsrate oft zum Problem. Auch dann, wenn der Zinssatz noch so klein ist. "Manche Klienten lassen sich von einer schönen Küche locken und wägen mögliche Risiken nicht ausreichend ab", sagt die Schuldnerberaterin.

Pinsl findet aber auch, dass die Anbieter es den Menschen heute "sehr leicht machen", einen Kredit zu bekommen. Ein kurzes Gespräch beim Möbelhändler, ein paar Klicks im Internet, und schon halte man den Kreditvertrag in den Händen. Viele Kunden erhalten Pinsl zufolge am Ende gar nicht so günstige Zinsen, wie in der Werbung versprochen wurde. Nämlich dann, wenn sie ein vergleichsweise niedriges Monatsgehalt angeben. Je weniger Geld auf dem Konto liegt, desto höher ist das Ausfallrisiko - so rechnen viele Kreditbanken. Einige Klienten, die Pinsl schon seit der Zeit vor 2010 betreut, zahlen "zehn, elf Prozent", sagt sie. Bei dieser Zinslast wird es nicht leichter, die Schulden loszuwerden.

Mehr als 97 Prozent zahlen Kredite pünktlich zurück

Stephan Moll vom Bankenfachverband, der Vereinigung der Kreditbanken, verweist aber darauf, dass 97,6 Prozent der Schuldner ihren Ratenkredit pünktlich zurückzahlen. Das zeigen aktuelle Zahlen der Schufa. Die hohe Zahlungsmoral erkläre auch, warum die Banken so gut an den Krediten verdienen. "Solche Werte sind gut für Banken und Verbraucher", sagt Moll.

Um nicht zu den verbliebenen 2,4 Prozent zu gehören, empfiehlt Verbraucherschützerin Laag den Konsumenten, einen Haushaltsplan mit den monatlichen Einnahmen und Ausgaben zu erstellen. Dabei werde deutlich, wie viel im Monat übrig bleibe und ob das für die Rate reiche, ohne dass es allzu eng werde. Laag rät außerdem, ein Darlehen nicht über einen längeren Zeitraum als zwei Drittel der erwarteten Lebensdauer des Produkts abzuschließen. Denn je älter ein Auto oder Elektrogeräte werden, desto mehr zusätzliche Reparaturkosten können anfallen.

Von den Banken wünscht sich Laag mehr Aufklärung und Transparenz. "Zwölf Seiten Kleingedrucktes im Vertrag zu verstehen, das ist für Laien kaum zumutbar", sagt sie. Daher sollten Verbraucher den Vertrag immer mit nach Hause nehmen und in Ruhe durchgehen. Um sich klar zu machen, dass ein Kredit eben doch keine ganz normale Angelegenheit ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3081960
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.07.2016/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.