Verbraucherschutz:Einer klagt für alle

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Doch auch mit der Annäherung ist noch längst kein Kompromiss für die Verbandsklagerichtlinie gefunden. (Foto: Ralph Peters/imago images)

Vor Gericht geht jeder lieber für sich, auch wenn es um dieselbe Sache geht. Das sollte eigentlich längst anders sein. Nun gibt es wenigstens einen ersten Fortschritt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es geht wieder voran, im Gesetzgebungsverfahren um ein Klageinstrument von Verbraucherrechten. Ende 2020 hatte die Europäische Union mit der Verbandsklagerichtlinie einen wichtigen Schritt zur Stärkung des Verbraucherschutzes unternommen. Ein Klageinstrument zur kollektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten sollte geschaffen werden, das Schadensersatzansprüche gegen Unternehmen wirksam durchsetzt. Für Deutschland, das nicht gerade als Vorzeigeland beim kollektiven Rechtsschutz gilt, war das eigentlich eine gute Gelegenheit, einen mutigen Schritt hin zu einem moderneren Rechtsschutzsystem zu wagen, das auf die Kraft der Vielen setzt. Die gebündelte Klagepower könnte etwa bei Massenschäden wie im Dieselskandal den Weg zum Schadensausgleich erleichtern. Oder den Gang vors Gericht überhaupt erst sinnvoll erscheinen lassen. Zum Beispiel wenn es um unberechtigte Bankgebühren geht, also um Kleinbeträge, gegen die der Einzelne kaum je klagen würde. Womit die Verbandsklage zugleich eine disziplinierende Wirkung auf die Wirtschaft entfaltet könnte.

Doch dauerte es bis zum Herbst des vergangenen Jahres, bis Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) einen Referentenentwurf für eine solche "Abhilfeklage" vorlegte. Seither hakt es. Den Grünen war der Vorschlag des FDP-Ministers entschieden zu unternehmensfreundlich. Ende des vergangenen Jahres verstrich die Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie, dennoch wurde der Entwurf monatelang nicht in die Ressortabstimmung eingebracht, auch die übliche Anhörung der Verbände unterblieb.

Nun ist die Blockade wenigstens teilweise aufgelöst, das Gesetzgebungsverfahren wird fortgesetzt. Das hat der Rechtspolitiker Till Steffen (Grüne) der SZ mitgeteilt. In einem der umstrittenen Punkte sei eine Annäherung gelungen: Der Kreis der Verbände, die eine solche Klage erheben dürfen, sei deutlich erweitert worden. Der ursprüngliche Entwurf hatte hier hohe Hürden errichtet. Klageberechtigte Verbände sollten mindestens 350 Mitglieder haben und mindestens vier Jahre in der dafür maßgeblichen Liste eingetragen sein. Nach Steffens Worten ist Buschmann davon abgerückt. Nun sollen 75 Mitglieder genügen sowie ein Eintrag im Vereinsregister, der mindestens ein Jahr zurückliegt.

Das Klagerecht für kleine, junge Verbände macht das Instrument flexibler. Nun können sich Vereine bilden, die sich einzig der juristischen Aufarbeitung eines bestimmten Falls verschrieben haben - Produktfehler oder Gebührenabzocke zum Beispiel. Die etablierten Verbraucherverbände sind durch solche Klagen ohnehin stark belastet.

Noch klagt jeder lieber gleich für sich

Doch mit der zarten grün-gelben Annäherung ist noch längst kein Kompromiss gefunden. Die Einwände der Grünen, formuliert von Steffen sowie seiner Fraktionskollegin Linda Heitmann, lassen sich so zusammenfassen: In Buschmanns Version wird die Abhilfeklage zu unattraktiv ausfallen, weshalb zu wenige Betroffene zugreifen werden. Man konnte diesen Effekt in den vergangenen Jahren eindrucksvoll am Beispiel des Dieselskandals beobachten. Die Dieselfahrer zogen zu Abertausenden individuell vor Gericht. Die Justiz an den Standorten der Autofirmen meldeten dramatische Verfahrenszahlen. Und dies, obwohl seit 2018 die Musterfeststellungsklage existiert, also ein Verfahren zum kollektiven Rechtsschutz - allerdings ein unattraktives Instrument wegen des Nachteils, dass man allein durch ein Feststellungsurteil noch kein Geld zurückbekommt. Dann klagt jeder lieber gleich für sich.

Die Mängel der Abhilfeklage, so sehen es die Grünen, liegen zum einen im frühzeitigen Opt-in: Betroffene müssen sich frühzeitig verbindlich für ein Verfahren mit ungewissem Ausgang anmelden - vor dem ersten Verhandlungstag, also bevor das Gericht überhaupt eine erste rechtliche Einschätzung verlauten lässt. Die Verbraucher sollen also die Katze im Sack kaufen. Dabei könnte ein spätes Opt-in nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern nützen, sondern auch der Justiz, sagt die Rechtsprofessorin Caroline Meller-Hannich, anerkannte Expertin für kollektiven Rechtsschutz. Es würde die Verfahren erst einmal schlank halten.

Zweiter Kritikpunkt: die Verjährung. Laut Entwurf muss sich zum Klageregister anmelden, wer seine Ansprüche nicht verjähren lassen will. Steffen und Heitmann hingegen plädieren dafür, die Verjährung automatisch für alle "Betroffenen" zu unterbrechen, ob sie nun der Klage beigetreten sind oder nicht. Beim Dieselbeispiel wären das etwa die Fahrer von Autos eines bestimmten Motortyps. "Es muss für alle Geschädigten attraktiv sein, sich einem kollektiven Verfahren anzuschließen", fordert Steffen. Weil sonst eben - siehe Diesel - tausende Einzelkläger die Gerichte verstopfen.

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