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Verbraucher:Pflegekräfte aus dem Ausland: Was helfen neue Richtlinien?

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Berlin (dpa/tmn) - Viele Menschen in Deutschland brauchen Unterstützung im häuslichen Alltag. Hunderttausendfach übernehmen das Betreuungskräfte aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa.

Doch es gibt Probleme in diesem Bereich der Pflegebranche: Schwarzarbeit, unklare Anstellungsverhältnisse, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und teils mangelndes Fachwissen. "Hier passiert viel Illegales", sagt Katrin Andruschow von der Stiftung Warentest, die sich schon jahrelang mit dieser Branche beschäftigt. "Es ist eine wichtige Säule im Pflege- und Betreuungssystem, die aber sehr wenig reguliert ist."

Ein neuer DIN-Standard soll hier nun Besserung bringen: Für unterstützungsbedürftige Menschen und ihre Angehörigen, aber auch für seriös arbeitende Vermittler und für die Betreuungskräfte. Doch er kann nicht alle Probleme lösen.

Worum geht es genau?

Die DIN SPEC 33454 ist ein Standard, keine Norm. Sie schafft Richtlinien für die "Betreuung unterstützungsbedürftiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungskräfte aus dem Ausland". Konkret werden Anforderungen an Vermittler, Dienstleister im Ausland und die Betreuungskräfte formuliert, aber auch an die Menschen, die deren Hilfe in Anspruch nehmen wollen.

Wer kann sich damit zertifizieren lassen?

Vermittlungsagenturen von ausländischen Pflegekräften. Das sind Firmen, die die Brücke schlagen zwischen den ausländischen Dienstleistern und den Familien hierzulande, die nach einer Betreuungskraft suchen. Mit Mecasa in Stuttgart gibt es bereits einen Anbieter, der nach dem neuen Standard zertifiziert ist - weitere dürften in den kommenden Monaten folgen.

Das Interesse in der Branche sei groß, heißt es von der Sachverständigenorganisation Dekra, die bisher als einzige Prüfgesellschaft den neuen Standard abnimmt. Verbraucher erkennen zertifizierte Anbieter daran, dass sie die DIN SPEC ausweisen - ebenso wie das Institut, das die Prüfung durchgeführt hat.

Was müssen die Agenturen nach dem neuen Standard leisten?

Wer nach dem neuen Standard arbeitet, dürfe sich nicht mehr auf die reine Vermittlung zurückziehen, sagt Warentesterin Andruschow. Das machen seriöse Anbieter schon jetzt nicht, doch es gibt eben auch andere.

Nach dem neuen Standard müssen zertifizierte Anbieter Familien beraten und deren Bedarf seriös und umfassend schriftlich erfassen. Eine examinierte Pflegefachkraft muss die Angaben dann in einem telefonischen oder persönlichen Gespräch prüfen.

Dabei wird geschaut, ob der Auftrag durch eine ausländische Betreuungskraft übernommen werden kann, oder nicht professionelle Pflege nötig ist. "Oder man sieht, dass die Familien überhaupt nicht die Voraussetzungen haben, um eine Betreuungskraft menschenwürdig bei sich unterzubringen", so Andruschow.

Die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern im Ausland wird ebenfalls genauer definiert. "Da ziehen sich einige Agenturen darauf zurück, dass die Verträge und Bezahlung deren Sache sei", erläutert Andruschow mit Blick auf die bisherige Praxis.

Die neue Richtlinie beseitigt hier nicht alle Unklarheiten, gibt allerdings mehr Sicherheit. Darin sei geregelt, so Andruschow, dass der Dienstleistungserbringer beispielsweise bei einer Entsendung mit der A1-Bescheinigung spätestens zum Auftragsbeginn nachweist, dass die Betreuungskraft im Ausland sozialversichert ist.

Es sei empfehlenswert, sich als Kunde die A1-Bescheinigung der Betreuungskraft zeigen zu lassen und diese zu kopieren. So könne man im Fall der Fälle vor dem Zoll nachweisen, dass man sich um eine reguläre und rechtskonforme Beschäftigung bemüht habe.

Welche Beschäftigungsformen gibt es?

Um eine osteuropäische Betreuungskraft zu beauftragen, stehen unterschiedliche Beschäftigungsmodelle zur Verfügung, wie Markus Küffel erläutert. Er ist Geschäftsführer der Vermittlungsagentur "Pflege zu Hause Küffel" und examinierte Pflegefachkraft.

Bei der Beschäftigung einer entsandten Kraft werden im Regelfall die Sozialabgaben im Herkunftsland abgeführt, was zu deutlich geringeren Kosten für die Verbraucher führe, als eine direkte Anstellung in Deutschland, so der Experte.

Eine andere Variante ist, die Betreuungskraft direkt anzustellen. Dazu schließt man einen Arbeitsvertrag mit ihr ab. Der Vorteil sei, dass man dann gegenüber ihr weisungsbefugt ist und man Arbeitsabläufe direkt mit ihr klären kann, erläutert die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die im Internet unter " Pflegewegweiser-nrw.de" umfassende Infos zum Thema bereitstellt. Der Nachteil der Direktanstellung ist aber: Fällt die Betreuungskraft aus, muss man sich selbst um Ersatz kümmern, so die Verbraucherschützer.

Es sei auch möglich, eine ausländische Betreuungskraft als Selbstständige zu beschäftigen. In diesem Fall schließt man keinen Arbeitsvertrag, sondern einen Dienstleistungsvertrag ab. Hier bestehe allerdings schnell die Gefahr der Scheinselbstständigkeit, warnt die Verbraucherzentrale. Die könne mit hohen Bußgeldern bestraft werden - auch für den Auftraggeber.

Was müssen Betreuungskräfte leisten - und was nicht?

Es müssen keine professionellen Pflegekräfte sein. Die neue Richtlinie stellt aber gewisse Anforderungen an sie - zum Beispiel müssen sie ausreichende Deutschkenntnisse haben und Grundlagenwissen in den Bereichen Hauswirtschaft und Pflege. Zudem müssen sie die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs nachweisen.

Der Standard solle die Betreuungskraft allerdings auch vor ausbeuterischem Verhalten der Kunden schützen, erläutert Küffel, der an der DIN SPEC mitgearbeitet hat. Das gilt für ihre Unterbringung und ihre Arbeitszeiten.

Ausländische Betreuungskräfte sind nicht wie Leibeigene - für sie gelten, sofern sie nicht selbstständig sind, der Mindestlohn und das deutsche Arbeitszeitgesetz. "Das bedeutet: 40-Stunden-Woche, ein freier Tag pro Woche, elf Stunden Ruhezeit zwischen der Arbeit, Feiertagsausgleich", zählt Küffel auf. Viele Anbieter würden eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung verkaufen, kritisiert er. Doch der Begriff 24-Stunden-Pflege sei irreführend.

Wer einen stark pflegebedürftigen Angehörigen hat, müsse entweder mehrere Pflegekräfte beschäftigen, oder eben andere Akteure einbinden - Pflegedienst, Familie oder Freunde. "Und ab einem gewissen Grad muss auch ganz klar die Frage gestellt werden, ob die Versorgung in diesem Modell richtig ist oder der Pflegebedürftige gegebenenfalls stationär versorgt werden sollte."

Was wird der neue DIN-Standard ändern?

Nach Einschätzung des Verbands für häusliche Pflege und Betreuung (VHBP): Kaum etwas. "Der Standard wird nichts an der überragenden Bedeutung der Illegalität ändern", sagt Frederic Seebohm, der Geschäftsführer des Branchenverbandes. Der VHBP schätzt, dass in Deutschland nur zehn Prozent der Betreuungskräfte, die vor allem aus Osteuropa kommen, legal tätig sind.

Die Betreuungspersonen müssten endlich als arbeitnehmerähnliche Personen mit Sozialversicherungsschutz anerkannt werden, fordert Seebohm. So lange aber würden viele Pflegebedürftige und Familien in die Illegalität gelockt. "Man kann morsches Holz umlackieren", sagt Seebohm mit Blick auf den Effekt des neuen DIN-Standards. "Aber danach bleibt es immer noch morsch."

© dpa-infocom, dpa:210211-99-402162/2

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