Verbraucher:Mehr Macht für Kunden

Eine neue Klageoption soll Verbraucher davor schützen, sich im Alleingang durch alle Instanzen kämpfen zu müssen. Das neue Klagerecht könnte auch VW-Opfern helfen - dafür müsste sich die Koalition allerdings beeilen.

Von Markus Balser und Robert Roßmann, Berlin

Das Papier, das für Millionen Deutsche Recht schaffen soll, ist 30 Seiten lang. "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage" lautet der sperrige Titel des Papiers. In elf Artikeln legt der Entwurf dar, was Experten als ziemlich bedeutende Innovation für das deutsche Rechtssystem beschreiben. Denn angelehnt an Sammelklagen, sollen Verbraucher künftig deutlich bessere Chancen bekommen, sich im Streit mit großen Konzernen durchzusetzen und vor Gericht Schadenersatz einzufordern.

"Musterfeststellungsklage" heißt das zentrale Vorhaben der großen Koalition, das Verbraucherschützer loben und Manager heftig kritisieren. Durch die neue Regelung sollen in Deutschland geschädigte Verbraucher erstmals gemeinsam vor Gericht auftreten können. Dazu wollen Union und SPD zwar keine Sammelklage nach US-Vorbild einführen, die praktisch jede Kanzlei einreichen kann. Immerhin aber sollen in Deutschland bestimmte Verbände künftig das Recht zu einer Klage im Namen der Geschädigten bekommen.

Bislang liegen die Hürden für Verbraucher hoch, die gegen Firmen vorgehen wollen

Bislang liegen die Hürden für Verbraucher hoch. Kaum jemand ziehe bisher wegen eines Handyvertrags oder zu hohen Bankgebühren allein gegen ein Unternehmen vor Gericht, sagt Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Müller weiß, wie schwer es ist, Verbrauchern im großen Stil zu ihrem Recht zu verhelfen. "Wenn wir über viele Instanzen für fünf oder zehn Verbraucher kämpfen und nach einigen Jahren ein Urteil erwirken, bleiben Tausende andere auf ihrem Schaden sitzen." Denn in der Zwischenzeit verjähren deren Ansprüche. Der Schaden, der so für Verbraucher entstehe, sei riesengroß - selbst wenn sie im Recht seien, klagt Müller.

Mit der neuen Klageoption soll sich das ändern. Die Zeiten wären endgültig vorbei, in denen sich Verbraucher im Alleingang durch alle Instanzen kämpfen müssen. Verbände könnten beispielhaft für einige Kunden klagen. Viele andere könnten sich gegen geringe Gebühr in ein Register aufnehmen lassen und vom Urteil profitieren. Denn ein solches Urteil soll laut Gesetzentwurf nicht nur "Bindungswirkung für nachstehende Klagen entfalten". Die Regierung hofft auch, dass schon die Möglichkeit einer abgeschwächten Form der Sammelklage in Streitfällen dazu führt, dass Autohersteller, Banken oder Telekomfirmen schneller freiwillige Entschädigungen für Kunden zahlen als bisher.

Der Wirtschaft schwant offenbar jedenfalls, was da auf sie zukommt. Über Wochen hätten sich Verbände und Unternehmen intensiv gegen das Projekt gewehrt, heißt es in Regierungskreisen. Nur ungern verlieren Konzerne die starke Machtposition gegenüber den eigenen Kunden. Am Ziel sind Verbraucherschützer aber auch deshalb noch immer nicht, weil die große Koalition bis zuletzt über einzelne Details der Klage diskutiert. Dabei stehen Union und SPD unter extremem Zeitdruck.

Klaus Müller, Verbraucherschützer

"Wenn das neue Gesetz auch für die Millionen betroffenen VW-Kunden gelten soll, muss es ... möglichst noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden."

Denn von dem Instrument könnten auch Hunderttausende getäuschter VW-Kunden profitieren. Allerdings nur dann, wenn sich die Regierung spätestens Anfang Mai auf einen gemeinsamen Entwurf verständigt. "Ende 2018 verjähren die Ansprüche", warnt Verbraucherschützer Müller. "Wenn das neue Gesetz auch für die Millionen betroffenen VW-Kunden gelten soll, muss es im Mai vom Kabinett und möglichst noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden. Nur so könnte es zum 1. November starten und damit alle für VW-Kunden wichtigen Fristen noch erfüllen.

In der SPD hofft man, das Gesetz nun spätestens am 9. Mai per Kabinettsbeschluss auf den Weg zu bringen. Die wesentlichen Punkte seien geklärt, sagt der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. "Wir sind wieder im Zeitplan", glaubt er. Um Geschäftemacher auszuschließen und Bedenken der Union zu zerstreuen, soll es härtere Kriterien für die Kläger geben, als ursprünglich geplant. So darf sich ein Verband nicht nur für eine Klage gründen. Er muss vier Jahre bestehen, 350 Mitglieder oder als Dachverband zehn Mitgliedsverbände haben. Am Ende könnten etwa 20 Verbände wie Verbraucherzentralen oder der ADAC übrig bleiben. Der Eintrag ins Klageregister soll Verbraucher etwa 30 Euro kosten, heißt es weiter.

Doch noch immer wird diskutiert. Das für die CDU federführende Wirtschaftsministerium hat offenkundig keine Einwände mehr. Die für die SPD verhandelnde Justizministerin Katarina Barley treibt das SPD-Prestigeprojekt, das im Koalitionsvertrag einen prominenten Platz bekommen hatte, ohnehin voran. Doch das für die CSU verantwortliche Bundesinnenministerium von Horst Seehofer sei mit der Lösung noch nicht vollends zufrieden, heißt es in Regierungskreisen. Gerungen werde etwa noch darum, welche Transparenzregeln bei der eigenen Finanzierung klageberechtigte Verbände erfüllen müssen. Verbraucherverbände hoffen, dass das Vorhaben nun nicht doch noch im Sinne der Industrie verschleppt wird. Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Politik, warnt Müller und sagt: "Die Zeit drängt".

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