Verbraucher in der Pleite:"Dann ist meine kleine Wirtschaft gekippt"

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Viele Haushalte sind verschuldet - das kann gut gehen, aber bei einem dramatischen Ereignis droht schnell die Insolvenz.

Christina Amann

Der erste Schritt in Richtung Pleite war einfach. Ein paar tausend Mark brauchte Carolin P.*, um die Monate zwischen dem Ende der Ausbildung und dem ersten vollen Gehalt zu überbrücken.

Kein großes Problem, dachte sie vor sieben Jahren. Der Kredit sollte ja schnell wieder zurückgezahlt werden können, sobald das erste richtige Gehalt auf dem Konto landet. Kein Problem, dachte auch die Citibank, bei der sie das Geld aufnahm.

Kein Problem auch beim nächsten und übernächsten Kredit. Doch inzwischen ist Carolin P. überschuldet. Sie kann ihre Schulden nicht mehr mit ihrem Einkommen abbezahlen.

Carolin P. arbeitet Teilzeit als Stewardess und jobbt nebenher als Snowboardlehrerin. In manchen Monaten kommen so nur ein paar hundert Euro zusammen. Die Kredite werden kaum abgestottert, das Konto bleibt im Minus, der Schuldenberg wuchs bisher auf mehr als 18.000 Euro. "Ich war das Superopfer für Kreditjäger", sagt sie.

Damit ist sie nicht allein. 3,1 Millionen und damit neun Prozent aller Haushalte waren 2002 überschuldet. In kaum einem anderen Industrieland ist die Quote so hoch.

Die Zahlen wurden zwar schon 2002 erhoben, seitdem sind sie aber eher gestiegen, schätzen Experten. Genaue Zahlen sind im nächsten Armutsbericht enthalten, der in zwei Jahren erscheinen soll. Details zur Ver- und Überschuldung enthält der Schuldenkompass der Wirtschaftsauskunftei Schufa, der an diesem Donnerstag vorgestellt wird.

Betroffene verstecken sich

Schulden beschämen. Carolin P. hat nicht einmal ihren Eltern die Wahrheit über ihre Situation erzählt. Sie selbst versuchte jahrelang, die Raten pünktlich zu zahlen - bis es nicht mehr ging.

Die junge Frau wurde schwanger, der Vater setzte sich ins Ausland ab. Als Schwangere kann sie nicht mehr arbeiten; für ihren Beruf ist sie häufig im Flugzeug unterwegs, das geht nun nicht mehr, auch als Snowboardlehrerin kann sie nicht mehr arbeiten. "Damit ist meine kleine Wirtschaft gekippt", sagt sie.

Das ist typisch. Meist wird aus einer Verschuldung eine Überschuldung, wenn ein dramatisches Ereignis eintritt: Der Verlust des Arbeitsplatzes, die Trennung vom Ehepartner. Viele kämen erst dann zur Beratungsstelle, wenn es fast zu spät sei; wenn kaum noch Vermögen vorhanden und ein Vergleich mit den Gläubigern unmöglich sei, sagt die Caritas-Schuldnerberaterin Juina Wessel.

Häufig steckten die Schuldner den Kopf in den Sand. Immer wieder kämen Leute, die geschlossene Briefe von der Bank dabei hätten und sich nicht trauen, sie selbst aufzumachen. Dann wird aus dem Schuldenberater, der sich um die finanziellen Details kümmern und helfen soll, einen Haushaltsplan aufzustellen, ein Seelsorger, der unterstützt, antreibt und Mut macht.

Die Schuldner sollen möglichst viel tun, sagt Wessel, also selbst mit Banken, Arbeitgeber oder Vermieter reden. Wenn sie das nicht können, telefonieren allerdings auch die Berater.

Schuldenberatung bieten Kommunen und Wohlfahrtseinrichtungen wie etwa die Caritas an, bei ihnen ist sie kostenlos. Dafür müssen die Schuldner sich zum Teil auf Wartezeiten von mehreren Monaten einstellen. Auch Rechtsanwälte und kommerzielle Schuldenregulierer bieten gegen Entgelt ihre Dienste an.

Für immer mehr Haushalte ist die Privatinsolvenz der letzte Ausweg. Auch Carolin P. wird vor den Insolvenzrichter gehen. Zuvor muss sie - das sieht das Verfahren vor - einen außergerichtlichen Vergleich mit der Bank anstreben.

Etwa bei einem Fünftel der Fälle sei ein solcher Vergleich möglich, schätzt Stephan Jender, Geschäftsführer des Inkasso-Unternehmens Seghorn. Das Verfahren sieht einen zweiten, gerichtlichen Vergleichsversuch vor.

Scheitert auch dieser, beginnt die sechsjährige Wohlverhaltensperiode, in der die pfändbaren Anteile des Einkommens über einen Treuhänder an die Gläubiger verteilt werden. Ledige dürfen knapp 1000 Euro behalten, müssen etwa Kinder unterstützt werden, ist es deutlich mehr. Nach dieser Zeit werden die übrigen Schulden erlassen.

Gesetzesänderung geplant

Mittellosen Schuldnern werden die Gerichtskosten von 2500 bis 3000 Euro gestundet. Genau deswegen ist das Verfahren in der Kritik. Die Länder bleiben auf den bisher aufgelaufenen Kosten von 22 Millionen Euro sitzen, sagt Jender.

Daher wird derzeit an einem Gesetzesentwurf gearbeitet, nach dem bei mittellosen Schuldnern nach acht Jahren die Schulden verjähren. Ohne Insolvenzverfahren beträgt diese Frist 30 Jahre. Während dieser Zeit können die Gläubiger vollstrecken, das heißt, das Gehalt pfänden und den Gerichtsvollzieher schicken.

Das kritisieren Schuldnerberater. "Gerade Arbeitslose haben bei der Suche nach einem neuen Job die Gläubiger im Nacken, so jemand bekommt in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage keinen Arbeitsplatz", sagt Erika Schilz bei der Schuldnerberatung der Stadt München.

Noch ist es aber nicht soweit. Carolin P. jedenfalls sieht mittlerweile deutlich positiver in die Zukunft als vor ihrem ersten Besuch bei der Schuldnerberatung. Ohne die Ratenzahlungen an die Bank bleibt ihr mehr zum Leben, sobald ihr Kind alt genug ist, will sie wieder fliegen. Der Schritt aus der Pleite ist nicht ganz so einfach. Aber er ist möglich.

* Name von der Redaktion geändert

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