Veranstaltungs-Start-up:Und jetzt digital

Das Münchner Start-up Bits&Pretzels hat ein Veranstaltungsformat entwickelt und erfolgreich aufgebaut. Dann kam Corona, und es war klar: So kann es nicht weitergehen. Was dann geschah, veränderte das gesamte Unternehmen radikal.

Von Helmut Martin-Jung, München

Christoph Commes gibt es offen zu: "Wir hatten da vorher nie drüber nachgedacht". Und Andy Bruckschlögl ergänzt: "Der erste Anstoß war: Wir halten zusammen. Dann merkten wir, das passt ja, und erst der dritte Gedanke war, dass wir eine Plattform bauen." Eine Plattform für virtuelle Veranstaltungen, denn das war das Problem: Das Start-up Bits&Pretzels, zu dessen Führungsteam die beiden gehören, hatte in sechs Jahren harter und kontinuierlicher Arbeit ein Format entwickelt, das Start-up-Gründer, Prominente und Etablierte zusammenbrachte, gewürzt mit einer Prise Münchner Oktoberfest. Doch dann kam Corona.

Und damit war klar: Die Veranstaltung, so wie man sie kannte, mit Tausenden von Menschen, die sich auf engem Raum trafen, würde es in diesem Jahr nicht geben. Aber nicht nur das. Schnell erfasste das Team, dass sich wegen der Covid-19-Pandemie die Dinge auch langfristig verschieben würden. Von Konferenz zu Konferenz, von Termin zu Termin zu jetten, aus dem Koffer zu leben - muss das wirklich sein? Während der erzwungenen Virtualisierung von Treffen merkten viele, dass es auch anders geht. "Es wird künftig beides geben, physische und virtuelle Treffen", sagt auch Andy Bruckschlögl, "beides hat ja seine Vorteile". Persönliche Treffen hätten "eine andere Energie", virtuelle Treffen ersparten einem das Reisen.

Doch wie sollte man reagieren? Als das Team gemeinsam überlegte, mit dabei auch Bernd Storm van's Gravesande und Felix Haas, waren sich alle schnell einig: Eine Veranstaltung wie Bits&Pretzels lässt sich nicht einfach ins Netz transferieren. "Wir wollten neu denken", sagt van's Gravesande. Und Haas ergänzt: "Eine virtuelle Konferenz ist etwas ganz anderes, mit einem komplett anderen Nutzerverhalten". Das sei wie beim Übergang vom Internet auf Desktop-Computern zum Internet auf Mobilgeräten. "Die physische Erfahrung wird sich nicht eins zu eins übertragen lassen."

Also fragten sich die Veranstaltungsmacher: Was können physische Veranstaltungen gut, was nicht? Bei physischen Treffen sei es oft schwer, sich in Gruppen zu versammeln, um gemeinsam ein Problem zu besprechen", sagt Christoph Commes, "digital geht das sehr leicht". Aber auch bei der Kuratierung des Programms müsse man umdenken. Eine 30-minütige Panel-Diskussion wolle sich doch niemand gerne am Bildschirm ansehen, "besser ist das in nur sieben Minuten, kurz und knackig".

"Das muss zackig durchgehen"

Das sei eben der Unterschied zu physischen Veranstaltungen: "Wenn es mal langweilig ist, wird man trotzdem nicht gleich rausgehen", sagt Felix Haas, "aber bei einer virtuellen Konferenz ist das kleine Kreuz rechts oben in dem Bildschirmfenster schnell gefunden". Die Erfahrungen, die das Team bisher machte, waren eindeutig: "Das muss zackig durchgehen."

Diese Ideen und noch einige andere hat das Team in ihre neue Plattform einfließen lassen, genannt Mingle Cloud. Bits&Pretzels hat dazu ein Joint-Venture mit der Münchner Firma Mayflower gegründet, einem Software-Spezialisten. Denn anstatt Veranstaltungen zu organisieren, musste sich das Start-up zu einem Software-Unternehmen wandeln. "Wir haben uns neu erfunden", sagt Bernd Storm van's Gravesande, "das war eine Herausforderung , dass wir plötzlich zur Software-Firma werden mussten".

Aber nur so sei es möglich gewesen, binnen drei Monaten die Veranstaltungsplattform auf die Beine zu stellen. Zumindest als - wie das in der Start-up-Branche heißt - minimal viable product, als Produkt also, das nur die Mindestanforderungen erfüllt. "Das Team schwitzt jetzt jede Minute", sagt Felix Haas. An diesem Sonntag soll die diesjährige Bits&Pretzels erst mal komplett virtuell stattfinden. Sein Kollege van's Gravesande fügt hinzu: "Es wird nicht alles perfekt laufen", aber, so glaubt er, was man jetzt begonnen habe, werde für die nächsten Jahrzehnte Bedeutung haben.

Natürlich ist es ein Risiko für das Start-up, sich auf ein neues Terrain zu begeben, von der ursprünglichen auf eine neue Geschäftsidee zu wechseln. Doch was wäre gewesen, hätten sie es nicht getan? das hätte das junge Unternehmen wohl kaum überlebt. So aber gibt es eine gute Chance, ein Produkt zu lancieren, das auch anderen helfen kann. Denn das Problem haben derzeit nahezu alle Veranstalter. Und auch danach wird es aller Voraussicht nach kein Zurück mehr zu Messen und Veranstaltungen geben, wie man sie von früher kennt.

"Wir gehen das Risiko bewusst ein", sagt Felix Haas, "nur so können wir Außergewöhnliches schaffen". Es sind aber auch außergewöhnliche Zeiten. "Letztes Jahr, mit Barack Obama als Auftaktredner, das war schon eine coole Sache", sagt er, "ohne Corona hätten wir einfach weitergemacht wie bisher". Von diesem Sonntag an wird sich zeigen, ob die Plattform funktioniert, und ob das neue Konzept aufgeht.

Denn auch das ist ja nun anders als früher: Die Veranstaltung dauert sechs Tage, also bis Freitag, findet aber immer erst nachmittags statt. An Prominenz mangelt es auch diesmal nicht. Am Montag etwa ist Eric Schmidt zugeschaltet, der frühere Chef von Google. Weitere hochrangige Gäste wie der Slack-CEO Stewart Butterfield, die Publizistin Arianna Huffington oder Ex-Torwart-Titan Oliver Kahn und Ironman Jan Frodeno versprechen interessante Einblicke.

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