Venezuela:Ein ganzes Land als Beute

A family observes the fire in the affected area after an explosion at Amuay oil refinery in Punto Fijo in the Peninsula of Paraguana

Hunderttausende Venezolaner flüchten vor der humanitären Krise in ihrem Land. Es fehlt an allem, an Grundnahrungsmitteln und Medikamenten, Klopapier, Kondomen oder Seife. Ähnlich ist die Lage sonst nur in Kriegsgebieten.

(Foto: Reuters)

Eine kleine Clique um Präsident Maduro hat sich jahrelang am Niedergang Venezuelas bereichert. Ein deutscher Banker hat dabei geholfen, Hunderte Millionen Dollar zu waschen. Nun steht er vor Gericht.

Von Boris Herrmann und Hannes Munzinger

Die Aufnahme ist entlarvend: "Nee, nicht, nicht. Nicht fragen", sagt Matthias Krull. Sein Kontaktmann will wissen, ob es bei ihren Geschäften um die Stiefsöhne des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro gehe. Eine ehrliche Antwort würde alle gefährden, die sie hören - vor allem aber Krulls Geschäft mit gewaschenen Petro-Dollars aus Venezuela. Der deutsche Banker in Diensten des Schweizer Geldhauses Julius Bär weiß, dass er vorsichtig sein muss. Aber er ist nicht vorsichtig genug.

Einst war Krull, 44, ein Held seiner Branche. Ein Macher, von Kollegen gefeiert für sein Geschick, neue Kunden zu gewinnen, die ihr Geld in seine Hände legten. Seit Ende Juli sitzt er in einem Gefängnis in Florida. Krull war zehn Jahre lang als "Senior Relationship Manager" für Julius Bär in Venezuela und Panama tätig. Er hat gestanden, seit 2014 gemeinsam mit Komplizen "hunderte Millionen US-Dollar" gewaschen zu haben. Die Anklage gegen ihn und sieben mutmaßliche Mittäter zeigt, dass es sich dabei vor allem um veruntreute Gelder des staatlichen venezolanischen Erdölkonzerns PDVSA handelte. Julius Bär hat eine interne Untersuchung angekündigt, man kooperiere mit den zuständigen Behörden, heißt es. Krulls Anwalt antwortete auf Anfragen der SZ nicht.

Vielleicht ahnt Krull schon zum Zeitpunkt jenes verhängnisvollen Gesprächs mit dem Kontaktmann, dass alles aufgezeichnet wird. Dass ihn das, was er gerade tut, irgendwann hinter Gitter bringen wird: dass er dabei hilft, einen ganzen Staat zu zerstören - und zwar den Staat mit den weltgrößten bekannten Erdölreserven. Im Zentrum dieses Verbrechens steht denn auch der Ölkonzern PDVSA. Er ist ein Synonym für die venezolanische Volkswirtschaft, weil das Land außer Erdöl praktisch nichts mehr produziert. Dem Wirtschaftsforscher José Guerra zufolge sind seit 1999, seit Hugo Chávez an die Macht kam, mindestens eine Billion Dollar aus dem Erdölexport ins Land geflossen. Wo das ganze Geld geblieben ist? Guerra sagt: "Misswirtschaft und Kapitalflucht, vor allem. Der Rest wurde veruntreut." Die Anklage gegen Krull und seine Komplizen geht zu den Vorwürfen ins Detail.

Wäre die Geschichte anders verlaufen, könnte Caracas heute wie Dubai aussehen, eine Stadt aus Wolkenkratzern der Superlative. Rekordverdächtig sind aber nur noch die Inflation, die Mordrate und die Zahl derjenigen, die schleunigst das Land verlassen. Hunderttausende flüchten gerade vor einer humanitären Krise, in der Grundnahrungsmittel und Medikamente, Klopapier, Kondome und Seife fehlen. Es ist eine Krise, die außerhalb von Kriegsgebieten beispiellos ist. Millionen Menschen wurden dabei bettelarm - einige wenige aber sehr, sehr reich. Das waren Krulls Kunden: die Geldelite der Bolivarischen Republik Venezuela, die sogenannte Bolibourgeoisie.

Die Gabe, auf wundersame Weise Geld zu vermehren, kostete Krull die Freiheit

Als Krull am Flughafen in Miami mit Handschellen empfangen wird, endet eine glänzende Laufbahn. Zehn Jahre lang hatte er als Kundenberater für Julius Bär in Lateinamerika gewirkt, und das sehr erfolgreich. Ein Branchenmagazin nannte ihn einen "Onboarding Superstar", er selbst pries seine "unkonventionelle Denkweise". Dazu gehörte wohl auch seine Gabe, auf wundersame Weise Geld vermehren zu können. Die kostete ihn nun seine Freiheit.

Als die Verschwörung 2014 beginnt, spitzt sich die Krise der venezolanischen Wirtschaft gerade dramatisch zu. Ein Jahr zuvor hatte Nicolás Maduro das Präsidentenamt von seinem verstorbenen Vorgänger Hugo Chávez geerbt. Maduro wird in der Anklage nicht namentlich genannt, es ist aber immer wieder von einem "Venezuelan Official 2" und seinen Stiefsöhnen die Rede. Aus dem Kontext wird deutlich, dass es sich dabei um die Familie Maduros handeln muss, was mehrere mit dem Fall vertraute Quellen auch zwei US-Medien bestätigt haben. Maduro hat drei erwachse Stiefsöhne aus früheren Beziehungen seiner Ehefrau Cilia Flores. Sie allein sollen knapp 160 Millionen Euro erhalten haben, abgezweigt aus dem Staatskonzern PDVSA und verschoben auf Konten einer europäischen Bank. Offenbar mit Krulls Hilfe.

Wie die wundersame Geldvermehrung funktioniert

Seit Jahren leidet Venezuela unter einer Inflationsrate, die weltweit ihresgleichen sucht: derzeit liegen die Prognosen bei einer Million Prozent im Jahr. So rasant verliert die Landeswährung Bolívar an Wert, dass die fünf Nullen, die die Regierung Maduro erst vergangene Woche von den Scheinen streichen ließ, schon in einem Jahr wieder dort stehen könnten. Die Bolibourgeoisie aber hat gelernt, mit diesem Irrsinn gute Geschäfte zu machen.

Die wundersame Geldvermehrung funktioniert seit der Amtsübernahme Maduros über den staatlich kontrollierten Wechselkurs: Nur engen Freunden, Verwandten und Günstlingen des Präsidenten - beispielsweise PDVSA-Funktionären - ist es gestattet, zu einem grotesk günstigen Wechselkurs US-Dollar vom Staat zu kaufen. Diese harten Devisen werden dann auf dem Schwarzmarkt in einheimische Bolívar zurückgetauscht. So ließ sich schon Ende 2014 ein Monatslohn verzehnfachen und mit der Inflation bald mehr als verhundertfachen. In der Anklage ist deshalb auch von "massiven Betrügereien" korrupter Regierungsbeamter mit dem Devisenhandelssystem die Rede: "Schätzungen des Betrugs reichen bis zu 20 Milliarden Dollar pro Jahr."

Kaum verwunderlich also, dass der sozialistische Staatschef und seine Entourage dringend Vermögensverwalter brauchten, die sich mit Kapitalflucht, Briefkastenfirmen und Schwarzgeldkonten auskennen. Experten wie Krull.

Der Deutsche und seine Komplizen fliegen am Ende aber nur deshalb auf, weil einer sie verrät: jener Kontaktmann, der Krull nach den Stiefsöhnen Maduros fragt. 2016 meldet er sich bei der Homeland Security Investigations in Miami, einer regionalen Einheit der amerikanischen Ministeriums für Innere Sicherheit. Die Ermittler machen ihn zum Kronzeugen, halten seine Identität geheim und richten eine Sondereinheit für eine verdeckte Ermittlung ein.

Anfangs, so sagt es der Informant aus, habe er die Geschäfte für gewöhnliche Spekulation auf Währungskurse gehalten. Ob er weiß, dass er mit Geldwäschern zusammenarbeitet, ist unklar. Als er aber im Jahr 2015 für die Gruppe rund 80 Millionen bei einer europäischen Bank parkt, muss er einen Vertrag vorlegen, eine legale Erklärung für die Überweisung. Doch seine Auftraggeber halten ihn hin, monatelang. Als er sich schließlich weigert, weiteres Geld zu verschieben, wird er zu einem Treffen nach Caracas einbestellt.

Weitere 200 Millionen mussten gewaschen werden - für einen "Kumpel"

Der mutmaßliche Kopf der Bande, ein Venezolaner namens Francisco Convit Guruceaga, empfängt ihn in seinem Büro. Während sie mit zwei weiteren Geldwäschern zusammensitzen, legt Guruceaga einen Revolver auf den Tisch. Neben dem späteren Kronzeugen sitzt ein Schäferhund mit Schockhalsband. Guruceaga hält die Fernbedienung für das Halsband in der Hand und sagt, er könne den Hund nicht immer kontrollieren. So jedenfalls schildert es der Informant den Ermittlern. Spätestens da bekommt er es wohl mit der Angst zu tun und wendet sich kurz darauf an die amerikanischen Behörden. Alle Treffen und Telefonate mit der Gruppe werden fortan abgehört.

So auch im Oktober 2016, als sich der Kronzeuge in Panama mit Krull trifft. Der Deutsche erklärt, dass er eine Bank suche, bei der er 600 Millionen Dollar parken könne. Das Geld stamme von PDVSA und liege auf Konten der russischen Gazprombank. Es gibt ein weiteres Treffen, Krull hat es offenbar eilig, er drängt den Kronzeugen laut Anklage, aktiv zu werden, weitere 200 Millionen müssten gewaschen werden, für einen "Kumpel".

Der ist kein Unbekannter für den Kronzeugen, er kennt ihn als Strohmann der Maduro-Stiefsöhne. Und auch Krull hat zugegeben, die Brüder getroffen zu haben. Er habe zugestimmt, für sie Geld zu waschen. Am 29. Oktober soll das Urteil gegen ihn verkündet werden.

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