Venezuela:Das teuerste billigste Land der Welt

Venezuela: Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro während einer Fernsehansprache in Caracas.

Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro während einer Fernsehansprache in Caracas.

(Foto: AFP)

Präsident Maduro muss um seine Parlamentsmehrheit fürchten - und verspricht ein Wunder.

Von Boris Herrmann

Es ist Wahlkampf in Venezuela. Am 6. Dezember wird in dem krisengeplagten Ölstaat in Südamerika über ein neues Parlament abgestimmt. Es sieht nicht gut aus für die sozialistische Regierungspartei von Präsident Nicolas Maduro, ihre Zustimmungswerte haben sich bei rund 20 Prozent eingependelt. Maduro hat zuletzt einiges versucht, vor allem indem er äußere Feinde präsentierte, um den inneren Zusammenhalt zu beschwören.

Er provozierte einen Grenzkonflikt mit dem östlichen Nachbarstaat Guyana, der wenig später von einem noch öffentlichkeitswirksameren Grenzkonflikt mit dem westlichen Nachbarn Kolumbien überlagert wurde. Es hat aber bislang alles nichts genützt, die Mehrheit des Volkes will sich partout nicht mehr mit den kümmerlichen Resten des Chavismus identifizieren.

Dieser Tage hat der Präsident also mit einem Strategiewechsel aufhorchen lassen. In der Fernsehsendung "In Kontakt mit Maduro" schlug er für seine Verhältnisse erstaunlich leise Töne an - und versuchte es mit Charme: "Helfen Sie uns, diese Wahlen zu gewinnen. Dann werden Sie ein klares Wirtschaftswunder erleben." Viele Venezolaner fragen sich seither, ob dass der echte Maduro war oder ein Komiker im Präsidenten-Kostüm.

Wie es um das Wirtschaftswunder in Venezuela bestellt ist, legt eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds nahe: Der IWF prognostiziert dem Land eine Rezession von zehn Prozent sowie eine Inflation von 158 Prozent bis Jahresende. 2016 dürfte die Teuerung dann die 200-Prozent-Marke durchbrechen. Die Regierung hat längt aufgehört, solche Statistiken zu publizieren. Eine der rasantesten Inflationen des Planeten und die trübseligsten Wachstumsaussichten (nach Jemen, Sierra Leone und Äquatorialguinea) - das passt nicht in die neue Wahlkampfstrategie.

816 Bolívares

Die realen Wechselkurse in Venezuela werden auf dem Schwarzmarkt ausgehandelt. Die meisten Venezolaner erfahren den tagesaktuellen Preis über den Twitter-Account "Dollar-today", der offenbar aus Miami gesteuert wird. Dort lag der Preis für einen Euro am Freitag bei 816 Bolívares, der staatlich kontrollierte Kurs beträgt dagegen nicht einmal mehr ein Hundertstel dessen. Damit hat Venezuela sogar Nordkorea überholt, was die Kursdifferenz zwischen Bank und Straße angeht.

Aber welcher Ausschnitt der Wirklichkeit könnte da überhaupt passen? Seit Maduro 2013 die Geschäfte von seinem verstorbenen Vorgänger Hugo Chávez übernahm, ist dieses ohnehin schwer begreifliche Land endgültig ein ökonomisches Irrenhaus geworden. Venezuela ist heute gleichzeitig in das teuerste und das billigste Land der Welt - je nachdem, zu welchem Kurs man seine Divisen eintauscht: Der offiziellste von mehreren staatlich kontrollierten Wechselkursen liegt immer noch bei sieben Bolívares für einen Euro. Auf dem Schwarzmarkt wurden in der zurückliegenden Woche aber gut 800 Bolívares pro Euro bezahlt. Die größte ausgegeben Banknote, der 100-Bolívares-Schein, hat also einen Gegenwert von gut 14 Euro. Oder von zwölf Cent.

Im aktuellen Big-Mac-Index des Wirtschaftsmagazins Economist liegt Venezuela auf dem letzten Platz, als billigstes Land noch hinter der Ukraine. Es ist ein stark vereinfachtes Modell, aber es veranschaulicht das venezolanische Chaos: Danach kostet der Big-Mac in Caracas umgerechnet gerade 67 US-Cent. Das stimmt aber nur dann, wenn man mit einem parallel existierenden Wechselkurs namens Simadi rechnet (197:1). Legte man den offiziellen Kurs Bolívar fuerte zu Grunde, dann wäre ein Hamburger etwa 21 Dollar wert. Dann wäre Venezuela plötzlich auf Platz eins der Liste - weit vor der Schweiz. Wer Zugang zu welchem Kurs hat, ist völlig intransparent.

Venezuela: Für die Menschen in dem südamerikanischen Land ist die wirtschaftliche Lage nicht einfach.

Für die Menschen in dem südamerikanischen Land ist die wirtschaftliche Lage nicht einfach.

(Foto: Imago)

Wie kann man in solch einem Land leben? So gut wie gar nicht, wenn man keinen Zugang zu Devisen hat. Die Regierung Maduro feierte sich dafür, dass sie vor einigen Monaten den Mindestlohn um 30 Prozent auf 7400 Bolívares erhöhte. Dass die Preise gleichzeitig um ein Vielfaches gestiegen sind, verschwieg sie dabei.

Der Monatslohn der meisten Venezolaner reicht daher heute gerade noch für eine Hotelübernachtung, für drei Abendessen in einem Restaurant, für eine Hose oder ein paar Schuhe - selten für beides. Für einen Familieneinkauf im Supermarkt reicht er auch nicht, es sei denn, man stellt sich bei den Regalen mit den subventionierten Waren an. Dann steht man allerdings ein paar Stunden. Mitunter auch ein paar Tage.

Es drängt sich die Frage auf, warum Nicolás Maduro nichts gegen diesen Wechselkurs-Wirrwarr unternimmt, der nichts anderes als eine Einladung zur Korruption ist. Darin verbirgt sich möglicherweise schon die Antwort: Wer 100 Bolívares zum streng reglementierten Bolívar-fuerte-Kurs eintauschen darf, erhält dafür gut 14 Euro. Wenn man die auf dem Schwarzmarkt zurücktaucht, gibt es etwa 11 600 Bolívares. Das System hat sich somit seine eigene Geldvermehrungsmaschine geschaffen. Es muss deshalb kein Zufall sein, dass die Führungsriege der Sozialistischen Partei mit zu den treuesten Kunden von Banken in der Schweiz und Andorra gehört.

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