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Vegetarische Fleisch-Imitate:Warum Fleischfirmen vom Vegetarier-Trend profitieren

Lesezeit: 4 min

Fleisch gern, aber bitte ohne Tier! Ersatzprodukte werden in Deutschland immer beliebter. Das Geld landet aber hauptsächlich in den Taschen der großen Fleischproduzenten.

Von Sophie Burfeind

Deutschland. Land der Wurstesser. Das war einmal. Zwar essen die Deutschen immer noch Wurst, zwar gibt es in Supermärkten immer noch meterlange Wurstregale, aber in denen sieht es jetzt anders aus. Dort liegen mehr und mehr Sorten fleischloser Salami, Lyoner mit Paprikastreifen und Leberwurst. Oder der fleischfreie Fleischsalat und die fleischfreie Currywurst. Die Deutschen, sie kaufen zwar noch gern Wurst, aber immer lieber die ohne Tier.

Das sieht man nicht nur in den Regalen, sondern auch an den Zahlen: Der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten ist in Deutschland 2015 um fast 26 Prozent auf 454 Millionen Euro gestiegen, hat das Institut für Handelsforschung ermittelt. Die Nachfrage nach Wurst und Fleisch dagegen sinkt - in den vergangenen fünf Jahren um fast zehn Prozent. Trotzdem verdienen die großen Fleischkonzerne an dieser Entwicklung, denn viele der Fleischersatzprodukte sind von ihnen. Rügenwalder Mühle machte vor anderthalb Jahren den Anfang - mittlerweile sind auch Wiesenhof, Gutfried, Ponnath, Herta oder Meica im Geschäft.

Man kann davon ausgehen, dass die Fleischkonzerne das nicht tun, weil sie auf einmal ihr Herz für Tiere entdeckt haben. Sie machen damit vor allem viel Geld - nirgendwo im Lebensmitteleinzelhandel geht das so gut wie mit veganen oder vegetarischen Produkten. Für ein gutes Gewissen zahlt ein Kunde ja gern ein bisschen mehr.

Für kleine Unternehmen ist immer weniger Platz

Während Fleischfabrikanten sich also über das wachsende Geschäft mit Fleischimitaten freuen, ärgern sich die Pioniere der Branche: Ihnen brechen die Einnahmen weg. Die neuen Konkurrenten haben mehr Geld für Werbung, sie haben mehr Geld, um Regalflächen in den Supermärkten zu mieten.

Für die kleinen, Unternehmen, die nur vegane oder vegetarische Produkte herstellen, ist immer weniger Platz. Einige von ihnen befürchten, ganz aus dem Markt gedrängt zu werden. So wie "Lord of Tofu" aus Lörrach in Baden-Württemberg. "Unsere Produkte waren bei Edeka und Tegut zu kaufen, im April sind wir rausgeflogen", sagt die Inhaberin Dörte Ulrich. Im Regal stehen an ihrer Stelle jetzt die Produkte der Fleischkonzerne.

Was Unternehmen wie das aus Lörrach ärgert, sind aber nicht die neuen Konkurrenten. Es ist der Vegetarierbund. Dieser unterstützt die Fleischfabrikanten, indem er viele ihrer Produkte mit dem V-Label auszeichnet - dem wichtigsten Siegel der Branche in Europa. In seinen Leitlinien schreibt der Verband, dass er sich für Naturschutz und das Tierwohl einsetzt. "Ich verstehe nicht, wie man da sagen kann, wir unterstützen die großen Fleischkonzerne", sagt Dörte Ulrich.

Das Vegetarier-Logo ziert nun Produkte der ganz großen Produzenten

Fakt ist: Die Konzerne steigern jedes Jahr ihre Fleischproduktion, 2015 waren es 8,22 Millionen Tonnen. So viel wie noch nie. Das Fleisch, zum größten Teil aus Massentierhaltung, wird zunehmend ins Ausland exportiert. Der Geflügelriese Wiesenhof etwa ist für viele Vegetarier der Inbegriff von Tierquälerei. Nun ziert das Vegetarismus-Logo einige seiner Produkte. Für die vegetarischen Fleischimitate verwenden die Firmen oft Hühnereiweiß, damit die Produkte aussehen und schmecken wie Fleisch. Die Eier kommen meist aus Bodenhaltung. "Lord of Tofu" ist deshalb aus dem Vegetarierbund ausgetreten.

Beim Vegetarierbund sieht man das alles anders. Die Sprecherin sagt: "Wir unterstützen den Weg der Unternehmen, dass sie Fleischprodukte zunehmend durch pflanzliche Alternativen ersetzen." Das Ziel des Verbands sei es, mehr vegetarische und vegane Produkte auf den Markt zu bringen und den Fleischkonsum langfristig zu senken.

Die kleinen Pionierfirmen hätten die Aufgabe, so die Sprecherin, "innovative Produkte auf den Markt zu bringen", die Branche weiterzuentwickeln. Außerdem hätten sie ohnehin eine andere Zielgruppe, findet sie - und hat damit offenbar auch recht. Denn wer vegan lebt, für den kommen Produkte mit Ei sowieso nicht infrage. Und wer ein überzeugter Vegetarier ist, unterstützt vermutlich ungern große Fleischkonzerne.

Nur: Nicht immer sieht man, wer hinter den vegetarischen Schnitzeln oder Würstchen steht. Etwa dann, wenn es sich um eine eigene vegetarische Marke handelt. Ein Beispiel ist "Vegetaria": Diese Produktlinie gehört zum Unternehmen Artland Convenience. Dass es sich um eine Fleischfirma handelt, kann der Kunde zunächst nicht erkennen.

Grundsätzlich sind die Hauptabnehmer der fleischfreien Produkte der Fleischkonzerne eine andere Gruppe von Verbrauchern: die "Flexitarier". "Das sind Konsumenten, die wenig Fleisch essen, aber nicht ganz darauf verzichten wollen", sagt Wolfgang Adlwarth, Marktforscher der Gesellschaft für Konsumforschung. Das Institut für Handelsforschung geht davon aus, dass 24 Prozent der Bürger Flexitarier sind. Aber auch Veganer und Vegetarier werden mehr. Die Zahlen schwanken je nach Studie zwischen vier und zehn Prozent der Bevölkerung.

Zu Fleischalternativen greifen Menschen in der Regel aus denselben Gründen: Sie wollen etwas für den Tierschutz, die Umwelt oder die eigene Gesundheit tun. Meistens seien das Käufer, die jünger sind als 40 und gut gebildet, sagt Adlwarth. "Der klassische Wurstmarkt wird zunehmend etwas für ältere Konsumenten."

Gesund sind die Produkte wegen der vielen Ersatzprodukte oft nicht

Ob diese Ziele wirklich erfüllt werden, müsse man aber bezweifeln, sagt Sophie Herr von der Verbraucherzentrale Bundesverband. "Da ist Eiklar drin, da ist Soja drin - dass da viel für den Klimaschutz und das Tierwohl getan wurde, darf man infrage stellen." Gesund seien die Produkte wegen der vielen Ersatzprodukte auch nicht.

Weil sich die Fleischersatzprodukte in den Supermärkten besonders gut verkaufen, räumen Rewe und Edeka dafür immer mehr Regale frei. Am beliebtesten sind die 1:1-Imitationen von Wurst und Fleisch bei den Deutschen, die dann in den Wurstregalen landen. Warum das so ist? Ein ganz praktischer Grund, sagt Marktforscher Adlwarth: "Die Leute haben bestimmte Rezepte und Riten gelernt. Für jemanden, der gerne Wurst gegessen hat, ist es am bequemsten, wenn er sich weiterhin eine Scheibe aufs Brot legen kann." Deswegen investieren die großen Konzerne weiter in neue fleischfreie Fleischprodukte - Rügenwalder Mühle hat sein vegetarisches Angebot im vergangenen Jahr um sieben Produkte erweitert. Darunter: Chickenburger, Hackfleisch und Cordon Bleu.

Bei "Lord of Tofu" versucht man sich nun mit veganen Steaks, veganem Ei und veganem Thunfisch.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2016
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