Süddeutsche Zeitung

Vaude:Nachhaltigkeit als Strategie

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Firmenchefin Antje von Dewitz führt den Outdoorausrüster Vaude auf besondere Weise. Und hätte dabei gern Nachahmer.

Von Dagmar Deckstein

Nicht nur in Tettnang am Bodensee, aber dort vor allem, schüttet es wie aus Kübeln an diesem Augustmorgen. Dennoch wartet am Empfangstresen des Outdoor-Ausrüsters Vaude eine völlig entspannte Firmenchefin auf ihre Besucherin, die in wenigen Minuten eintreffen wird. Mehr noch: Antje von Dewitz freut sich geradezu über den an diesem Tag nicht enden wollenden Regen: "Der ist gut für unser Geschäft." Wie das? Ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür schicken möchte, soll gut sein für einen Hersteller von Wanderbekleidung, Rucksäcken, Zelten und Schuhen für sportive Freizeitgestaltung in der Natur? "Na sicher", lacht Antje von Dewitz, "bei einem so regenreichen Sommer müssen sich die Menschen bei ihren Touren durch die Natur doch für jede Wetter-Eventualität ausrüsten." Ach so, klar: Mit mehr Regenjacken, mehr sonstiger wasserfester Ausrüstung. Und die natürlich gerne von Vaude.

Nicole Hoffmeister-Kraut indessen reicht an diesem Morgen ein Regenschirm, um einigermaßen trockenen Fußes vom Dienstwagen ins Firmenfoyer zu gelangen. Die erst seit Mai amtierende baden-württembergische CDU-Wirtschaftsministerin der grün-schwarzen Landesregierung besuchte im August Mittelständler in den sieben Regierungsbezirken, insbesondere solche, die Innovationskraft nicht nur unter technischen Aspekten, sondern auch unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit repräsentieren.

Dafür hat sie sich auch Vaude ausgesucht. Hat das Familienunternehmen vom Bodensee neben vielen weiteren bisherigen Auszeichnungen im vergangenen Dezember doch auch den "Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2015" eingeheimst. Eine begehrte Auszeichnung, die von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel vergeben wird. "In allen Wertschöpfungsstufen wird das Thema Nachhaltigkeit in den Vordergrund gestellt. So setzt Vaude Maßstäbe für nachhaltige Produkte mit dem Green-Shape-Label oder für faire Arbeitsbedingungen mit dem Leader Status der Fair Wear Foundation. Die Marke Vaude ist gleichzeitig bei allen Stakeholdern trotz der geringen Unternehmensgröße eine starke, erfolgreiche und vertrauenswürdige Marke", so die Begründung der Jury. "Vor lauter Freude über diese tolle Auszeichnung habe ich die ganze Nacht nach der Preisverleihung in Düsseldorf durchgetanzt", berichtet Antje von Dewitz verschmitzt.

Wenn man so will, war Vaude schon von Anbeginn an eine Art Nischenbesetzer. 1974 von Antjes Vater Albrecht von Dewitz gegründet, stellt Vaude - abgeleitet von den Initialen "v" und "D" - heute Funktionsbekleidung, Zelte, Schlafsäcke, Rucksäcke, Schuhe und Taschen vor allem für Berg- und Radsportliebhaber her. Albrecht von Dewitz war mit seiner Frau 1970 von Nordniedersachsen nach Tettnang gezogen, weil ihnen die Gegend am Bodensee so gut gefiel. Zumal Vater Albrecht seinen damaligen Arbeitgeber, einen Bergsteigerausrüster, nicht von seiner Idee überzeugen konnte, dass die beginnende Outdoor-Bewegung künftig einen interessanten Massenmarkt eröffnen könnte. Also begann von Dewitz damals, 1974, Bekleidung und Ausrüstung für sportlich-naturbegeisterte Freizeitgestalter selbst zu entwerfen.

"Unser System", sagt sie, "schaut doch nur auf Finanzkennzahlen."

Dieses anfängliche Nischengeschäft entwickelte sich bestens; heute macht die Branche nach Angaben der "European Outdoor Group" (EOG) einen Umsatz von mehr als zehn Milliarden Euro. 2009 übergab Albrecht von Dewitz dann die Firmenleitung an Tochter Antje, studierte Kulturwirtin und promovierte Ökonomin. Seither ist Vaude der Branche weit vorangeeilt: Wächst erstere nur noch mit ein bis zwei Prozent jährlich, legte Vaude im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent beim Umsatz zu. Und das hat wohl nicht zuletzt mit jener Nische zu tun, die Antje von Dewitz frühzeitig besetzte: Nachhaltigkeit.

Bis 2015, hatte sich die Jungunternehmerin vorgenommen, solle Vaude das nachhaltigste Unternehmen der Branche werden. "Ich habe mir gesagt: Machen wir's ganz oder gar nicht? So haben wir beschlossen, wir setzen komplett auf Nachhaltigkeit." Das heißt, der gesamte Produktionsprozess wird kontrolliert und möglichst zertifiziert von unabhängigen Institutionen wie etwa Fair Wear. Das gilt auch für die ausländischen Produktionsstätten in Vietnam und China, wo die Produzenten und ihre Zulieferer in Chemikalien- und Ressourcenmanagement geschult werden. "Wir lassen uns stets extern kontrollieren, akzeptieren die schärfsten Standards im Umwelt- wie im Sozialbereich und sind in allen Unternehmensprozessen vollkommen transparent", fügt Antje von Dewitz hinzu.

Das scheint sich für Vaude in vielerlei Hinsicht auszuzahlen, seit das Thema Nachhaltigkeit seine Nischenexistenz verlassen hat und zum relevanten Entscheidungskriterium für Kunden und potenzielle Mitarbeiter geworden ist. Gerade Kunden, die gerne in der Natur wandern, radeln, klettern oder Kanu fahren seien wohl am Schutz dieser Natur besonders interessiert. Befindet auch die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Beide Frauen finden auf Anhieb einen guten Draht zueinander; sind doch beide 43 Jahre alt, beide haben Kinder im Alter von acht, zehn und 14 Jahren, wobei Antje Dewitz noch eine weitere, bald 16-jährige Tochter hat.

Hoffmeister-Kraut ist sichtlich beeindruckt vom Rundgang durch das für sieben Millionen Euro nach allen Regeln der ökologischen Baukunst frischrenovierte Firmengebäude im Ortsteil Obereisesheim bei Tettnang, von den Hiesigen auch gerne "Vaude-City" genannt. "Vaude stellt nicht nur Kleidung für das Erlebnis in der Natur her, sondern setzt sich zugleich konsequent dafür ein, die Natur für den Menschen zu erhalten." Für Antje von Dewitz und Vaude ist dies ein enormer Aufwand. Doch der Einsatz lohnt sich. "Deutschland muss Vorreiter auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit sein", meint die Ministerin. Spricht's und lässt sich auch gleich den Vaude-Nachhaltigkeitsbericht mailen, an dem sie vor allem die "10 Eckpunkte der Gemeinwohl-Ökonomie" interessieren. Der hat sich die studierte Ökonomin Antje von Dewitz ebenfalls verschrieben.

"Unser System", sagt sie, "schaut doch nur auf Finanzkennzahlen. Wir aber denken und handeln nach den Maßstäben der Gemeinwohl-Ökonomie. Das meint den Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle. Die Kraft unserer Marke und die Wertigkeit unserer Produkte sind unser höchstes Gut. Deshalb orientieren wir uns bei Vaude bereichsübergreifend an unseren definierten Werten - und nicht an kurzfristigen Gewinnmaximierungen."

Über Umsatz- und Gewinnzahlen spricht Antje von Dewitz bei aller Liebe zur Transparenz nicht. Allerdings verrät sie, dass es sich mit einer Eigenkapitalquote von 40 Prozent gut wirtschaften lasse, zumal der Aufwand für die Nachhaltigkeits-Strategie auch mit höheren Kosten verbunden ist. Aber auch in dieser Hinsicht sei der "Return on Investment" groß: In der von Metropolen fernen Bodenseeregion muss sich Vaude nicht mit Nachwuchssorgen herumschlagen, obwohl dort auch Platzhirsche wie der Autozulieferer ZF Friedrichshafen oder der Großmotorenhersteller Tognum um Mitarbeiter buhlen. Vaude habe damit kein Problem: "Unsere Nachhaltigkeitsstrategie zahlt sich auch bei der Rekrutierung aus. Sie ist eine Trumpfkarte für die sogenannte Generation Y, die auf Sinnhaftigkeit ihres Tuns, auf Work-Live-Balance großen Wert legt."

50 neue Mitarbeiter stellt Vaude dieses Jahr ein, zusätzlich zu den 500, die in "Vaude-City" Obereisenbach beschäftigt sind. Die gewinne man über die Angebote auf der Website, für die sich Aspiranten schon wegen der guten Reputation Vaudes interessierten. "Wir haben uns in den letzten zehn Jahren den Ruf erarbeitet, dass wir ein guter, mitarbeiterorientierter und familienfreundlicher Arbeitgeber sind und dass wir nachhaltig wirtschaften", so Antje von Dewitz.

Zur Mitarbeiterorientierung gehört auch das Kinderhaus gleich neben der Firmenzentrale. 24 Knirpse werden hier zur Zeit ganztägig betreut, die Eltern können in Ruhe nebenan - und das in unterschiedlichsten Teilzeitmodellen - ihrer Arbeit nachgehen. Zu einer nachhaltigen Gemeinwohlökonomie gehöre auch das Vertrauen in die Mitarbeiter und die bestmögliche Förderung der Mitarbeiter, meint Antje von Dewitz. Schon in diesem kleinen Obereisenbacher Kosmos lässt sich indes ermessen, dass sich diese Philosophie auch demografisch vorteilhaft auswirken kann. "Im Durchschnitt kommen auf 1000 Einwohner in Deutschland acht Babys; bei uns zählen wir auf 500 'Mitarbeiter-Einwohner' 24 Babys. Das entspricht also der sechsfachen Quote."

Es schüttet immer noch. Eine sichtlich beeindruckte Wirtschaftsministerin eilt jetzt zum nächsten Besuchstermin, Antje von Dewitz aber eilt heute, an ihrem letzten Arbeitstag vor den Ferien, nirgendwo mehr hin. Sie packt nur noch ein paar Ausrüstungsutensilien aus eigener Produktion zusammen. Am nächsten Morgen wird die sechsköpfige Dewitz-Familie mit dem VW-Bus gen Travemünde zur Fähre nach Trelleborg starten: Kanufahren in Schweden steht auf dem dreiwöchigen Freizeitprogramm. Outdoor also, was sonst?

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Quelle:
SZ vom 06.10.2016
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