Vattenfall verklagt Regierung auf Entschädigung:Atomausstieg ja, aber bitte mit Kompensation

Der Energiekonzern Vattenfall beziffert seine Verluste durch die Energiewende auf etwa eine Million Euro - pro Tag. Das Unternehmen zieht nun vor ein internationales Schiedsgericht - und fordert eine Entschädigung in Milliardenhöhe.

Markus Balser

Der Streit zwischen der Bundesregierung und den größten Energiekonzernen Deutschlands um den Atomausstieg eskaliert. Der Energieriese Vattenfall hat in der Milliardenauseinandersetzung um das beschleunigte Abschalten deutscher Atomkraftwerke das internationale Schiedsgericht ICSID in den USA angerufen.

AKW Brunsbüttel

Das Atomkraftwerk in Brunsbüttel (Archivbild): Durch die Stilllegung dieser Anlage und des AKWs Krümmel entsteht Vattenfall nach eigenen Angaben ein Schaden von etwa einer Million Euro täglich.

(Foto: dpa)

Der viertgrößte Energiekonzern in Deutschland macht damit endgültig Ernst mit der Drohung, Schadenersatzforderungen mit allen juristischen Mitteln durchzufechten. In Deutschland sind bisher mehrere Klagen der anderen Konzerne Eon, RWE und EnBW anhängig. Nun muss sich die Bundesregierung erstmals auf eine internationale Klage einstellen.

Das in der US-Hauptstadt Washington ansässige ICSID ist eines der wichtigsten Schiedsgerichte weltweit. Es gehört zur Weltbank. Nach der von fast 50 Staaten ratifizierten und 1998 in Kraft getretenen Energiecharta genießen Unternehmen, die im Ausland investiert haben, Rechtsschutz gegen "völkerrechtswidrige Maßnahmen des Gastgeberlandes". Vattenfalls Zentrale sitzt im schwedischen Stockholm, der Konzern ist lediglich über Tochterunternehmen in Deutschland aktiv. Deshalb können die Schweden in Washington klagen. Vattenfall habe das ICSID gebeten, ein Gericht in der Causa einzurichten, bestätigte ein Sprecher des Konzerns am Montag.

Zur Begründung hieß es, dem Konzern sei ein erheblicher finanzieller Schaden durch die Novellierung des Atomrechts entstanden. Nach Angaben aus Branchenkreisen droht der Bundesregierung damit eine erneute Milliardenforderung: Vattenfall hatte in der Vergangenheit betont, etwa 700 Millionen Euro in die Kernkraftwerke investiert zu haben im Vertrauen darauf, dass die Anlagen weiterlaufen könnten.

Vattenfall pocht auf Schäden von einer Million Euro am Tag

Nach früheren Unternehmensangaben entsteht Vattenfall durch die Stilllegung der beiden norddeutschen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel etwa ein Schaden von einer Million Euro am Tag. Vattenfall respektiere die Entscheidung für den Atomausstieg, erwarte aber eine Entschädigung, bestätigte der Sprecher weiter.

Die Bundesregierung hatte den Betreibern der ehemals 17 deutschen Atomkraftwerke in ihrem Koalitionsvertrag eine Laufzeitverlängerung zugesagt. Diese wurde mit der Novelle des Atomgesetzes am 28. Oktober 2010 zunächst auch rechtlich gültig. Doch nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 zog die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung in einer beispiellosen politischen Kehrtwende wieder zurück. Acht ältere Atomkraftwerke, auch Krümmel und Brunsbüttel, mussten sofort vom Netz. Mit der im vergangenen Jahr verabschiedeten erneuten Novelle des Atomgesetzes setzte die Bundesregierung auch den übrigen Atomreaktoren ein festes Ausstiegsdatum. Die letzten Reaktoren müssen demnach Ende 2022 vom Netz.

Der Atomausstieg könnte für die Bundesregierung damit teuer werden. Beobachter halten eine internationale Klage für erfolgversprechender als die Klagen in Deutschland, weil das Verfahren des ICSID schneller zur Entscheidung führen kann als die langwierigen juristischen Auseinandersetzungen durch alle Instanzen in Deutschland.

Vattenfall hatte sich zuletzt bereits an das Gericht gewandt, als strenge Umweltauflagen drohten, das Konzern-Kohlekraftwerk in Hamburg unwirtschaftlich zu machen.

Für Ärger hatte in der schwedischen Vattenfall-Zentrale gesorgt, dass auch dem Atomkraftwerk Krümmel die Betriebserlaubnis entzogen wurde, obwohl das Atomkraftwerk östlich von Hamburg gar nicht zu den älteren Anlagen zählt. In Krümmel hatte es jedoch 2007 und 2009 Unfälle gegeben, die das Vertrauen in die Atomanlagen des Konzerns auch in der Politik erschütterten.

Verfassungsbeschwerde von Eon

Als erster deutscher AKW-Betreiber hatte der Düsseldorfer Energiekonzern Eon wegen der Stilllegung seiner Atomkraftwerke im vergangenen November eine Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Eon fordert Schadenersatz in hoher einstelliger Milliardenhöhe. Daneben gehen Eon, RWE und EnBW vor Gerichten gegen die Brennelementesteuer vor. Diese war 2010 als Teil des Sparpakets der Bundesregierung beschlossen worden. Sie sollte bis 2016 jährlich 2,3 Milliarden Euro in die Kasse des Fiskus spülen. Nach dem Atomausstieg allerdings dürften die Einnahmen auf etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr sinken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: