Die blauen Batterien mit dem gelben Dreieck hängen an Supermarktkassen in zahllosen Ländern der Welt. Aus dem Schwäbischen kommen sie, vom Unternehmen Varta aus Ellwangen, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1887 reichen. Nach einer bewegten Geschichte, in der die Akkus der Firma mit Fridtjof Nansen an den Nordpol reisten und mit Neil Armstrong zum Mond, machte sich Varta auf zu einem der weltweit wichtigsten Hersteller für Handelsbatterien und zum Weltmarktführer für Hörgerätebatterien. Bis vor zwei Jahren liefen alle Airpods von Apple mit winzigen Varta-Akkus.
Nun aber sind die goldenen Zeiten in Ellwangen vorbei. Nur ganz knapp ist das Unternehmen an der Insolvenz vorbeigeschlittert. Varta hat Schulden in Höhe von 485 Millionen Euro angehäuft, die auf absehbare Zeit positive Geschäftsergebnisse unmöglich machen. Das gelbe Firmenlogo-Dreieck ist zum blinkenden Warndreieck geworden – besonders für alle, die eine Varta-Aktie besitzen.
Letzte Woche gab es zwar leise Entwarnung: Nach wochenlangem Ringen haben sich die Schuldscheingläubiger, also Banken und Hedgefonds, mit den Großaktionären auf eine Finanzierungslösung für Varta geeinigt. Das Unternehmen bekommt 60 Millionen Euro als Darlehen von den Gläubigern. Mit einem Schuldenschnitt wird es seine Verbindlichkeiten ungefähr halbieren. Damit verzichten die Schuldscheingeber – mit einer Viertelmilliarde Euro die größte Gläubigergruppe – auf viel Geld. Nicht alle Banken haben zugestimmt, der Varta-Vorstand geht aber davon aus, dass nichts mehr schiefgeht.
Michael Ostermann hatte im Mai den Chefposten in Ellwangen übernommen, wenn man so will als Notfallkapitän, der das Ruder noch herumreißen soll. Im Gespräch mit der SZ nennt er den Schuldenschnitt alternativlos und sagt, er glaube an die Perspektiven der Batteriefirma Varta in einer der wichtigsten Zukunftsbranchen. „Ich bin angetreten, um das Unternehmen wieder in bessere Zeiten zu führen.“
„Die beste der schlechten Möglichkeiten für Varta.“
Noch wütender als die großen Banken sind über Ostermanns Rettungsplan wohl die kleinen Aktionäre. Denn die Varta AG wird ihr Grundkapital auf null herabsetzen und sich 2025 von der Börse zurückziehen, wodurch alle Aktien wertlos werden. Alle heutigen Aktionäre scheiden ohne Kompensation aus. Auf der virtuellen Hauptversammlung am Montag können sie sich laut beschweren – mitzubestimmen haben sie nichts mehr. Anlegerschützer reagierten empört.
Anschließend werden wieder Aktien ausgegeben, aber nur an den österreichischen Milliardär Michael Tojner, dem bisher schon mehr als die Hälfte von Varta gehörte, und an den neu einsteigenden Sportwagenhersteller Porsche. Beide geben 30 Millionen Euro. Porsche stützt seinen schwäbischen Nachbarn auch aus Eigeninteresse: Denn Varta liefert Batterien für den neuen 911 GTS. Beide Firmen werden für die Batterieentwicklungen ein Gemeinschaftsunternehmen gründen. Wenn ein Konzern wie Porsche einsteigt, ist das natürlich auch gut für den Ruf des wankenden Akkuherstellers.
Ostermann hatte im August den letzten Notausgang gewählt, um eine Pleite abzuwenden: Er will die Firma mit dem StaRUG-Verfahren sanieren, das es seit drei Jahren gibt und das operativ lebensfähige Firmen vor der Insolvenz bewahren soll. „Das ist die beste der schlechten Möglichkeiten für Varta“, sagt der Vorstandschef. Klar verlieren die Gläubiger viel und die Anleger sogar alles. Aber wenn man kurz vor der Pleite stehe, sagt Ostermann, „kann man sich die Welt nicht malen, wie man will“. Allemal sei das besser, als den Laden dichtzumachen.
Wie genau will Michael Ostermann den Laden nun wieder flott machen? Auch mit einem Personalabbau: Insgesamt könnten 100 bis 150 Arbeitsplätze gestrichen werden, vor allem in der Verwaltung, erklärt der 58-Jährige. Dort hat das Unternehmen zwischen 2020 und 2022, als die Geschäfte blendend liefen, munter eingestellt. Zukünftig will der neue Chef die Kunden mehr für Neuentwicklungen zahlen lassen.
Insgesamt beschäftigt Varta heute um die 4000 Menschen, die natürlich verunsichert sind. Vorstand und Betriebsrat verhandeln darüber, wie die Stellen sozialverträglich reduziert werden können. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen. Oliver Milbich, Betriebsrat der Handelsbatteriesparte, sagt der SZ: „Es liegen Monate des Bangens und der Ungewissheit hinter uns. Aber wir sehen die Chance, wieder erfolgreich zu sein.“ Dafür sprächen Kunden wie Porsche und Apple, die weiter sehr interessiert an den Batterien seien.
Das Unternehmen lebt in zwei verschiedenen Welten
Varta lebt gerade in zwei gegensätzlichen Welten: Da sind die Millionenschulden, klar. Aber da sind auch neue, lukrative Aufträge. Zum Beispiel hat Apple wieder in großem Stil Akkus für seine kabellosen Kopfhörer bestellt. Deswegen sollen nicht nur Leute entlassen, sondern auch neue eingestellt werden: Varta sucht Produktionsmitarbeiter für seine Batteriezellenfertigung in Ellwangen, Dischingen und Nördlingen und auch in Rumänien und Indonesien, wo die Batteriepacks zusammengebastelt werden. Unternehmenschef Ostermann sagt, er wolle die Schlüsseltechnologie der Zukunft nicht kampflos chinesischen Massenherstellern wie Huawei und CATL überlassen.
Bleibt noch die Frage, wie es eigentlich zur Fast-Pleite kommen konnte. Nur drei Jahre, nachdem die Ellwanger völlig berauscht vom Umsatzrekord (903 Millionen Euro) waren und viel zu großzügige Dividenden auszahlten – womit der erste Fehler schon genannt wäre. Unter Ex-Vorstandschef Herbert Schein hat sich der Batteriehersteller jahrelang mit einem aggressiven Expansionskurs verzockt und Marktentwicklungen falsch eingeschätzt. Der Corona-Boom für Headset-Akkus währte nicht lange. Und als Apple begann, seine Airpod-Akkus nicht mehr nur in Ellwangen zu ordern, blieb Varta auf Kapazitäten sitzen. Auch der Einstieg als Batteriehersteller in die Autobranche war ein Minusgeschäft. 2022 verlor Schein den Chefposten, und der Österreicher Markus Hackstein übernahm, hielt sich aber auch nur zwei Jahre. Vor sieben Monaten traf Varta dann auch noch ein Hackerangriff und legte mancherorts die Produktion für drei Monate lahm. Inzwischen geht es wieder, doch noch immer laufen nicht alle Prozesse rund.
Ob Michael Ostermann die schwäbische Traditionsmarke retten kann? Der gebürtige Düsseldorfer beschäftigt sich laut eigener Aussage schon seit Jahrzehnten damit, schlingernde Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Er genießt es auch ein bisschen, endlich im Fokus der Medien zu stehen, kommuniziert offensiv, wo andere Geschäftsführer herumdrucksen würden. Früher arbeitete er in leitender Position beim Batteriekonzerns Exide, der, wenngleich umsatztechnisch viel größer als Varta, hierzulande relativ unbekannt ist.
Vartas Bestseller, die Alkalibatterien mit dem gelben Dreieck, stecken in unzähligen Fernbedienungen oder Stirnlampen, mit ihnen verdienen die Ellwanger das meiste Geld. Den Schlachtplan, um wieder profitabel zu werden, formuliert Michael Ostermann so: „Wir saßen auf einem volllaufenden, sinkenden Schiff. Die Mitarbeiter laufen aber nicht alle zu den Rettungsbooten, sondern helfen, das Schiff leerzupumpen.“ Ziel ist es, die Traditionsmarke bis Ende 2027 wieder gesund und kreditfähig zu machen. Der selbst ernannte Kapitän muss zeigen, was er kann, damit in Ellwangen nicht bald die Akkus alle sind.