Utz Claassen veröffentlicht Roman:Grüne Energie im Überfluss

"Atomblut": Top-Manager Utz Claassen hat einen Roman über skrupellose Energie-Manager geschrieben. Die Handlung wirkt übertrieben - Ähnlichkeiten mit Claassens schillerndem Leben inbegriffen. Und doch könnte man sie als Abrechnung mit einer ganzen Branche verstehen.

Markus Balser

Das Unheil nimmt "frühmorgens um vier in Manila" seinen Lauf: "Ein verdreckter Jeep hält in den Slums nahe dem großen Flughafen Ninoy Aquino International. Die hintere Tür wird aufgestoßen: Eine Frau fällt heraus, Europäerin, die Haare verklebt, das blaue Business-Kostüm zerknittert und staubig. Sie richtet sich auf, sieht verwirrt um sich, während der Jeep mit quietschenden Reifen davonfährt." Ein mysteriöser Autounfall, ein toter Firmenboss und eine unerwartete Nachfolgerin, die bald merkt, dass "die Grenzen der Legalität bei den großen Deals ihrer Branche oft bedeutungslos" werden: So beginnt "Atomblut", ein gerade erschienener Wirtschafts-Roman, der in den Hinterzimmern der Macht spielt. Drei Städte, drei Verbrechen.

Utz Claassen schreibt Krimi über Strombranche

Top-Manager Utz Claassen hat "Atomblut", seinen ersten Roman, veröffentlicht.

(Foto: dpa)

Schon auf der ersten Seite wird klar, dass die Akteure des Plots die Moral über Bord geworfen haben. Es entwickelt sich ein Krimi, der kaum eine Volte auslässt. Eine Handlung, die man für übertrieben halten muss. Und doch kann man sie auch als Abrechnung mit einer ganzen Branche verstehen. Denn sie stammt aus der Feder eines ihrer prominentesten Insider.

Geschrieben hat den 381-Seiten-Schmöker Utz Claassen, 48, der Ex-Vorstandsvorsitzende des drittgrößten deutschen Energieversorgers EnBW und Kurzzeitchef der skandalumwitterten Solarkraftwerks-Firma Solar Millennium. Nach mehreren Sachbüchern ist es der Erstlingskrimi des Managers. Ende 2010 griff Claassen zum Laptop, um im Ein-Finger-System die ersten Zeilen zu tippen. Sein 74-Tage Engagement beim inzwischen insolventen Erlanger Unternehmen Solar Millennium, dessen Hintermänner sich inzwischen zum Teil Fragen von Ermittlern gefallen lassen müssen, liegt nur ein halbes Jahr zurück.

Die Atomkatastrophe von Fukushima bringt der Story im März 2011 eine neuen Wende. Er muss Teile des Buches umschreiben. Ende des vergangenen Jahres schließlich ist sein Manuskript fertig. Es soll den Lesern eine neue Welt öffnen, so hofft es der Autor. Zuerst aber hat es ihn selbst verändert.

Der Sanierer und Aufsteiger Claassen, der als Professor Studenten beibringt, wie Management funktioniert, musste als Autor selbst noch mal ganz von vorne anfangen. "Das Buch zu schreiben bedeutete, eine für mich bisher neue Welt zu betreten", sagt Claassen der Süddeutschen Zeitung. "Ich musste vieles lernen: eine Erzählperspektive zu schaffen, Figuren zu entwickeln und szenisch zu denken." Das strukturierte Leben eines Managers habe er getauscht gegen diesen "sehr spontanen, kreativen Prozess. Mal mit vielen, mal mit wenigen Ideen. Ich habe geschrieben, wenn sie da waren."

Claassen tippte im Flugzeug, am Schreibtisch oder im Garten. Manchmal ganze Tage am Stück. Claassen, der Polterer, die einstige Reizfigur der deutschen Wirtschaft, zieht sich zurück, um seine eigene literarische Welt zu schaffen. Im Zentrum: die Hauptfigur Fabienne Felsenstein. Die junge Frau macht rasant Karriere, steigt schnell in einem Beratungsunternehmen auf, wird wegen ihrer scharfen Analysen geschätzt. Bekannt aber wird sie vor allem als harte Saniererin - und so plötzlich zur Leiterin eines der ganz großen Energiekonzerne im Land, der feinen Ruhrstrom AG.

Abitur mit 17, Promotion mit 25

So ähnlich hat es auch Utz Claassen erlebt. Abi mit 17 Jahren, Note 0,72. Fertig studiert mit 22, promoviert mit 25, danach Spitzenpositionen bei der Beratungsfirma McKinsey und im Ford-Konzern. Mit 29 führt er Mitarbeiter bei VW - der jüngste ist 47. Der Konzern schickt ihn nach Spanien, um die Tochter Seat zu sanieren. Ein paar Jahre später meldet sich der Energieriese EnBW und macht den Aufsteiger zum Chef von fast 40.000 Menschen. Claassen wird Stammgast in Talkshows und er berät Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berliner Energierunden. Völlig überraschend heuert Claassen Anfang 2010 dann bei dem kleinen Solarkraftwerksbauer Solar Millennium an. Er glaubt an dessen Idee, die Welt mit Energie aus riesigen Sonnenkraftwerken zu versorgen.

Die Hoffnung ist groß beim Wechsel zum einstigen Star der grünen Branche. Doch Claassen findet sich plötzlich selbst in einer wüsten Story wieder: Nach nur gut zwei Monaten gibt er auf. Er fühlt sich von Teilen des Aufsichtsrates über die Perspektiven der Firma getäuscht. Die Firma, die im Dezember Insolvenz anmelden musste, und der Aufsichtsrat von Solar Millennium, bestreiten die Vorwürfe und mögliche Unregelmäßigkeiten. Neun Millionen Euro Antrittsprämie nimmt Claassen noch mit - und steht in der breiten Öffentlichkeit plötzlich als Raffzahn da.

Dass Fabienne Felsenstein in kriminelle Machenschaften verwickelt wird, sei reine Fiktion, sagt Claassen. "Die Geschichte spielt in der Welt der Energiewirtschaft, die ich bekanntlich gut kenne. Ihre Handlung ist jedoch ebenso rein fiktiv wie die in ihr handelnden Personen. Fabienne Felsenstein jedenfalls hat gleich mehrere Anschläge zu überstehen. Mächtige Herren im Hintergrund wollen in Zukunft auch weiterhin viel Geld verdienen und sind bereit, dafür einiges zu tun. Drohanrufe sollen sie auf Kurs bringen. Felsenstein bleibt prinzipientreu.

Beim Energiegipfel im Kanzleramt ist sie die einzige, die Klartext spricht und davor warnt, dass der Beschluss zur Energiewende eine neue Welt nur vorgaukelt. "Wo bleibt die Wahrheit?", fragt die Hauptfigur des Romans.

Auch der Manager Claassen, der derzeit auf Mallorca als Miteigentümer den Erstliga-Fußballclub RCD saniert, macht sich so seine Gedanken über die Energiewende und hofft auf breite Resonanz. "Der Roman ist meines Erachtens für eine Verfilmung absolut geeignet", findet er. Es habe bereits Anfragen gegeben. Ob der Autor Claassen Gefallen an seiner neuen Arbeit gefunden hat? "Ein zweites Buch ist möglich", entgegnet der Manager. Darüber aber wolle er nun den Markt entscheiden lassen.

Seine Protagonistin sei ihm jedenfalls sehr ans Herz gewachsen, sagt Claassen. "Als Autor will ich vor allem unterhalten - aber auch zum Nachdenken anregen." Genug Licht, genug Energie, genug Hoffnung für alle - so darf seine Protagonistin ganz am Ende von einer solaren Welt träumen, in der grüne Quellen Energie im Überfluss liefern. Eine Welt, "die möglich sein kann, möglich sein muss und möglich sein wird", ist sich Fabienne Felsenstein ganz am Ende sicher. Und auch Autor Claassen sagt: "Ich bin überzeugt, dass die Zukunft der Energieerzeugung in der Solarenergie liegt. Wer sollte das beweisen, wenn nicht dieses Land."

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