Süddeutsche Zeitung

US-Wirtschaft:Konzerne geben sich netter als sie sind

Die amerikanischen Firmen Uber, Lyft und Chipotle heben die Preise an - um die Löhne bezahlen zu können, behaupten sie zumindest. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es kursiert derzeit ein Meme aus dem "Star Wars"-Universum im Internet, also ein immer leicht veränderter Witz, den jeder kennen sollte, der sich mit Firmen und deren Vermarktung beschäftigt. Anakin Skywalker, der Auserwählte, der später zum Bösewicht Darth Vader wird, erzählt seiner Geliebten Amidala gute Neuigkeiten. Sie stellt freudig grinsend eine harmlose Nachfrage, auf die Skywalker mit starrem Blick und Schweigen reagiert, und es ist klar, dass diese Neuigkeiten dann doch nicht ganz so toll sind, wie sie zunächst klingen. Aktuelles Beispiel: Die amerikanische Fast-Food-Kette Chipotle verkündete, ihre Preise um vier Prozent angehoben zu haben, um den Mitarbeitern ordentliche Löhne zu zahlen.

Klingt super. Gerade gegen Ende der Pandemie, in den USA werden Restriktionen gerade massiv gelockert aufgrund erfreulicher Inzidenz- und Impfzahlen. Alleine im Mai gab es laut Arbeitsministerium in der Gastronomie knapp 300 000 neue Jobs; fehlen noch etwa 2,5 Millionen zum präpandemischen Level, sieht aber dennoch gut aus. Chipotle hatte angekündigt, seinen Angestellten bis Ende Juni einen Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde zahlen zu wollen. Auch das prima, oder? Ja schon, nur tauchen nun andere Zahlen auf, die nicht so toll klingen; plötzlich wird es politisch, und plötzlich steht Chipotle symbolisch dafür, wie Konzerne die Pandemie für Eigen-PR nutzen.

Die Amidala-Nachfrage an Chipotle im Meme wäre: Ihr seid ordentlich durch die Pandemie gekommen, oder, angesichts dessen, dass sowohl Umsatz (um 300 Millionen auf 5,9 Milliarden Dollar) als auch Gewinn (um sechs Millionen auf 356 Millionen Dollar) im Vergleich zum Prä-Pandemie-Jahr 2019 gestiegen sind? Die Chefs haben ja sicherlich auch verzichtet, wie in so vielen Unternehmen? Starrer Blick von Anakin-Chipotle, denn: Die fünf Top-Manager des Unternehmens bekamen wegen, wie der Konzern es nannte, "Umstrukturierung" der Aktienpakete insgesamt 64,4 Millionen Dollar mehr; CEO Brian Niccol etwa bekam statt einer kleinen Kürzung (sein Gehalt wäre ohne diese Veränderungen von 16,1 auf 14,8 Millionen gesunken) eine saftige Erhöhung auf 38 Millionen Dollar.

Es soll nun nicht um Managergehälter gehen, sondern lediglich darum, dass Chipotle die Preiserhöhungen allein auf die Mindestgehälter zurückführte und nicht auf die Boni und Pakete der Manager - oder den Umzug des Firmensitzes von Denver ins kalifornische Newport Beach. Der war Teil der Vereinbarung mit Niccol, als Chipotle ihn im Jahr 2018 von Konkurrent Taco Bell abwarb. Niccol lebt mit seiner Familie in Newport Beach, die Kosten für den Umzug: 80 Millionen Dollar. Auch das soll keine Kritik an Niccol sein, er hat grandios verhandelt; es zeigt aber, dass es mehrere Faktoren für die Preiserhöhung geben dürfte.

In den USA entwickelt sich gerade eine politische Debatte

Es ist deshalb wichtig, weil sich in den USA eine politische Debatte auftut. Rechtspopulistische Nachrichtenseiten wie The Federalist missbrauchen solche Ankündigungen wie die von Chipotle zum Bashing von Mindestlohn und dem "American Rescue Plan" der neuen Regierung unter Präsident Joe Biden. "Alles, was ich will: die Chicken Bowl für 7,60 Dollar", hieß es kürzlich in einem Kommentar: "Die Bundesregierung jedoch hat die Preise für meine Bestellung nach oben getrieben."

Pandemie, Politik-Versagen, Preisanstieg - das ist freilich ein Narrativ-Dreiklang, der sich ganz hervorragend dafür eignet, den Furor des Volkes zu schüren. Dabei könnte man auch fragen: Könnte es sein, dass diese Chicken Bowl bislang so günstig gewesen ist, weil Chipotle den Arbeitnehmern geringe Löhne bezahlt und auf Anreize wie Kranken- oder Rentenversicherung eher verzichtet hat? Das führt zur zweiten Symbolbranche der Pandemie: der sogenannten "Gig Economy" und Fahrdienstvermittlern.

Um 40 Prozent im landesweiten Schnitt sind die Preise für eine Fahrt mit Anbietern wie Uber und Lyft gegenüber der präpandemischen Zeit gestiegen, das zeigt eine Analyse von Rakuten Intelligence. Nun gibt es in den Apps häufig den Hinweis, dass die Nachfrage gerade extrem hoch sei und das Angebot an Fahrern niedrig - das führe, zehnte Klasse Wirtschaftsunterricht, zu höheren Preisen. Zudem hat Uber allein in New York 250 Millionen Dollar investiert, um Fahrer in die Autos zu locken, Konkurrent Lyft immerhin 100 Millionen. Klingt doch super, oder? Auch hier lautet das rechtskonservative Narrativ: Würde die Regierung nicht derart großzügig Gelder verteilen, würden längst mehr Leute hinter dem Steuer sitzen.

Auch wenn die Konzerne diese Leute als Selbständige betrachten, hat sie die Regierung unter den Schirm der "Pandemic Unemployment Assistance" genommen und zahlt ihnen Arbeitslosengeld. Gar nicht mal so wenige fragen sich nun, warum sie ohne Absicherung als Selbständige für geringes Einkommen ihre Gesundheit riskieren sollen - die Pandemie ist längst nicht vorbei. Das Magazin Ridester schrieb, dass der Hälfte der Fahrer nach Abzug der Kosten weniger als zehn Dollar pro Stunde bleiben.

"Wer attraktiv für Arbeiter sein will, der muss bessere Bezahlung und bessere Bedingungen bieten."

Sie bezahlen übrigens, das sollte man wissen, nichts in die Arbeitslosenversicherung ein, einer Studie der UC Berkeley zufolge wären das zwischen 2014 und 2019 allein in Kalifornien 413 Millionen Dollar gewesen. "Wenn Arbeitgeber behaupten, dass sie nicht genügend Arbeiter finden, sollte man stets anfügen: für die Löhne, die sie zu zahlen bereit sind", sagt Heidi Schierholz, beim Economic Policy Institute zuständig für Gesetzgebung: "Es ist nicht kompliziert: Wer attraktiv für Arbeiter sein will, der muss bessere Bezahlung und bessere Bedingungen bieten."

Transportexperte Bruce Schaller sagte der New York Times, dass er höhere Preise auch bei der Rückkehr des Angebots zum präpandemischen Level erwarte. Es sei möglich, dass Uber und Lyft - kürzlich am Flughafen von Los Angeles schwankte der Preis für eine Fahrt auf beiden Portalen innerhalb weniger Minuten zwischen 35 und 80 Dollar - über den Algorithmus die Bereitschaft der Leute testen, höhere Preise für bestimmte Fahrten zu bezahlen und sie dann langfristig so zu lassen. Nicht vergessen: Uber hat 2019, im Jahr vor der Pandemie, 8,5 Milliarden Dollar Verlust verzeichnet. Irgendwann muss der Konzern auch mal Gewinn einfahren.

Es wird, wie die Beispiele Chipotle, Lyft und Uber zeigen, zahlreiche Berichte der Konzerne geben, wie sie es durch die Pandemie geschafft haben, und was für tolle Sachen sie für die Zeit danach geplant haben. Es lohnt, diese Eigen-PR nicht nur begeistert hinzunehmen, sondern wirklich kritisch zu hinterfragen. Sehr häufig nämlich erntet man dann Schweigen.

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