Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Opfer der eigenen Arroganz

Für den US-Präsidenten sind alle anderen schuld am Handelsdefizit. Trump kultiviert einen Opferstatus der USA, um Unzufriedene anzuziehen und ihre Wut zu kanalisieren.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Noch ist nicht völlig gewiss, ob das 21. Jahrhundert in der Rückschau einmal "das chinesische" genannt werden wird. Wer aber das letzte, das 20. Jahrhundert dominiert hat, ist unstrittig. Es war das Jahrhundert, in dem die Vereinigten Staaten nach zwei gewonnenen Weltkriegen zur politischen Supermacht aufstiegen, in dem sie den Kapitalismus als Weltwirtschaftsordnung etablierten, in dem sie den Kommunismus besiegten und Institutionen vom Internationalen Währungsfonds über die Nato bis zur Welthandelsorganisation schufen, mit denen sie ihre Anschauungen verbreiteten und die sie auch zur Durchsetzung eigener Ziele nutzten. Es war das Jahrhundert, in dem eine Regierung irgendwo auf dem Erdball allein deshalb stürzen konnte, weil sie Washington nicht genehm war. Und es war das Jahrhundert, in dem die USA den Dollar zur globalen Leitwährung erhoben und als mächtiges Instrument im Wirtschaftswettstreit zu nutzen lernten.

Vieles von dem, was die Amerikaner insbesondere zwischen 1917 und 1989 taten, war richtig, manches falsch. Entscheidend aber ist: Sie dominierten alles und jedes - bis zum Fall der Mauer im Westen, danach weltweit. Das ist wichtig zu wissen, um Donald Trumps Klage zu beurteilen, die USA seien wegen der Unfähigkeit früherer Präsidenten jahrzehntelang von Freund und Feind über den Tisch gezogen worden: wirtschaftlich, politisch und überhaupt. Vor allem in manch ärmeren Ländern, in denen die USA ihre Interessenlage mit wirtschaftlichem Druck und notfalls militärisch deutlich machten, muss Trumps Gejammer wie Hohn klingen.

Dabei sind einige der Probleme, die er benennt, durchaus real. Die Deutschen etwa haben lange Zeit zu wenig in ihre Sicherheit investiert und sich auf dem Gedanken ausgeruht, dass die USA schon auf sie achtgeben werden. Und es schadet in der Tat der Stabilität des Weltwirtschaftssystems, wenn Staaten wie China, die Bundesrepublik und Korea dauerhaft extrem hohe Exportüberschüsse aufweisen. Was Trump jedoch partout nicht erkennt, sind die historischen Zusammenhänge und das Maß an Verantwortung, das sein eigenes Land für die Zustände trägt.

Natürlich haben die USA Deutschland jahrzehntelang geschützt. Sie haben zugleich in Berlin und anderswo aber immer auch sich selbst verteidigt. Und das immense US-Handelsdefizit, das 2018 auf 621 Milliarden Dollar anstieg, hat zwar mit Exportlastigkeit und Investitionsschwäche in Partnerländern zu tun, es ist aber vor allem eine Folge jener arroganten Washingtoner Entscheidung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die vermeintlich altbackene Industrie künftig links liegen zu lassen und allein auf die Freuden des Finanzkapitalismus zu vertrauen. Nicht Japan und Korea haben die USA deindustrialisiert, nicht China ist daran schuld, dass die Amerikaner den Aufbau eines modernen 5G-Mobilfunknetzes allein nicht gestemmt bekommen - sie selbst waren es.

Nicht nur, aber auch in den USA hat es die Politik versäumt, den Globalisierungs-, Digitalisierungs- und Kapitalismusschub der letzten vier Jahrzehnte zu moderieren und abzufedern. Vor allem in manch ländlichen Regionen haben Millionen Menschen nicht nur wirtschaftlich den Anschluss verloren, sie können vielmehr auch politisch-kulturell immer weniger damit anfangen, was in den Metropolen diskutiert wird. Dass sich diese Menschen ausgerechnet dem so ruch- wie rücksichtslosen Ego-Kapitalisten Trump anvertrauen, ist eine dieser fiesen Pointen, die nur das Leben schreiben kann.

Das Tragische, ja Zynische ist, dass Trump nicht die Ursachen der Misere ins Visier nimmt, sondern sich nur die Symptome politisch zunutze macht. Er kultiviert den Opferkult, um Unzufriedene anzuziehen und ihre Wut zu kanalisieren. Hier finden ein Präsident und eine Wählerschaft zusammen, die beide auf ihre Art ein Minderwertigkeitsgefühl mit sich herumtragen, hier kombiniert ein rüpelhafter Gernegroß seine Attitüde mit dem Frust einer Bevölkerungsgruppe, die sich ihrer selbst, ihrer Meinungsführerschaft, ihres Landes nicht mehr sicher ist.

Trump und die Seinen sehen sich ernsthaft in einer Art Belagerungszustand und schlagen deshalb blind um sich. Und ja: Mit China gibt es erstmals seit Jahrzehnten wieder eine politische und wirtschaftliche Macht, die zumindest theoretisch das Zeug hat, den Vereinigten Staaten ihre Rolle in der Welt streitig zu machen. Wenn die Amerikaner in diesem Wettstreit bestehen wollen, dann müssen sie das Gejammer einstellen, die eigentlichen Probleme angehen, sich auf ihre Stärken besinnen und nach vorne blicken statt zurück. Das Heil der USA liegt im 21. Jahrhundert, nicht im 20. - dem amerikanischen.

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SZ vom 06.03.2019/hgn
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