Süddeutsche Zeitung

USA:Stunde der Scharfmacher

Das Handelsdefizit der Amerikaner legt erneut kräftig zu. Präsident Donald Trump erhält damit Munition für weitere Strafzölle gegen ausländische Unternehmen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Wie meist im Leben, ist auch in diesem Fall alles eine Frage der Perspektive: Die Importe und Exporte amerikanischer Firmen sind im Jahr 2017 kräftig gestiegen - und wenn man wollte in Washington, könnte man die Zahlen als eindrucksvollen Beleg wiedergewonnener wirtschaftlicher Stärke verkaufen. Da sich unterm Strich aber erneut ein hohes Handelsdefizit ergab, meldeten sich stattdessen die Scharfmacher zu Wort: Präsident Donald Trump werde den Fehlbetrag mit entschlossenen Maßnahmen schon bald deutlich senken, kündigte etwa Wirtschaftsminister Wilbur Ross an und verwies auf die jüngsten Beschlüsse der Regierung, heimische Hersteller von Solarzellen und Waschmaschinen durch Verhängung von Strafzöllen gegen ausländische Konkurrenten zu schützen. Weitere Zölle dürften folgen.

Wer die Hauptbetroffenen solch künftiger Strafaktionen sein könnten, wird bei einem genaueren Blick auf die jetzt vorgelegte Handelsbilanz deutlich. Allein das Defizit der USA im Waren- und Dienstleistungsverkehr mit China stieg gegenüber 2016 um acht Prozent auf 375 Milliarden Dollar. Auf den Plätzen zwei bis vier folgen - mit weitem Abstand - Mexiko, Japan und Deutschland. Hier liegen die US-Fehlbeträge zwischen 64 und 71 Milliarden Dollar.

Allein das Defizit der USA mit China stieg 2017 um acht Prozent auf 375 Milliarden Dollar

Nimmt man alle Handelspartner zusammen, verbuchten die Amerikaner ein Defizit in Höhe von 566 Milliarden Dollar - ein Plus von zwölf Prozent und der größte Fehlbetrag seit neun Jahren. Das wird nicht nur die laufenden Verhandlungen über eine Reform des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta zusätzlich erschweren, sondern erhöht auch die Gefahr, dass Trump die Welt in einen Handelskrieg stürzt. Wie das aussehen kann, wurde bereits vergangene Woche deutlich: China kündigte als Reaktion auf die US-Solarzölle an, Dumpingvorwürfen heimischer Hersteller gegen US-Produzenten bestimmter Hirse-Sorten nachzugehen.

Obwohl Trump aus Sicht vieler Experten zu Recht Marktbarrieren etwa bei Geschäften mit China beklagt, ist das jüngste Handelsdefizit weniger Ausdruck einer amerikanischen Exportschwäche als vielmehr Beleg einer hohen Importnachfrage. Viele US-Unternehmen arbeiten bereits an der Kapazitätsgrenze und finden kaum zusätzliches Personal. Ihnen - wie auch den Verbrauchern - bleibt gar nichts anderes übrig, als jedweden zusätzlichen Bedarf im Ausland zu decken. Das Phänomen dürfte durch die gerade in Kraft getretene Steuerreform noch verschärft werden, die zusätzliche Kaufkraft generieren wird. Auch Firmen, die mit Blick auf die geringere Abgabenlast investieren wollen, werden einen Gutteil ihrer neuen Maschinen im Ausland kaufen - zum Beispiel in Deutschland.

Hinzu kommt: Das hohe Importvolumen von 2,9 Billionen Dollar ist auch der Tatsache geschuldet, dass viele US-Konzerne ihre Produkte ganz oder teilweise im Ausland fertigen lassen. Beispiele sind etwa der Smartphone-Hersteller Apple oder die großen Autobauer. Bringen sie die fertigen Produkte in die USA zurück, wird das als Import gezählt. Darüber hinaus wird die Leistungsbilanz von vielen anderen Faktoren beeinflusst, die mit dem physischen Warenverkehr gar nichts zu tun haben. Dazu zählen etwa die relative wirtschaftliche Stärke zweier Volkswirtschaften, der Wechselkurs ihrer Währungen, der Ölpreis sowie unterschiedliche Sparquoten. Die US-Bürger etwa sparen bei weitem nicht genug, um den enormen Investitionsbedarf ihres Landes zu decken. Die zusätzlichen Mittel müssen also aus dem Ausland kommen. Dass dies tatsächlich passiert, ist ein Beleg dafür, dass ausländische Kapitalanleger die USA weiterhin als attraktiven Wirtschaftsstandort ansehen.

"Viele Fabrikarbeiter haben den Versprechen Trumps vertraut, sie warten noch auf Ergebnisse."

Angesichts solcher Zusammenhänge gehen viele Experten davon aus, dass weitere Strafzölle, etwa auf Stahleinfuhren, das Minus in der Handelsbilanz gar nicht verringern würden. Zwar gingen womöglich, um beim Beispiel Stahl zu bleiben, die bilateralen Defizite gegenüber China und Deutschland minimal zurück. Zugleich würden aber wohl an anderer Stelle neue Löcher gerissen. Trumps ehemaliger Wirtschaftsberater Peter Navarro, heute Chef des bisher kaum in Erscheinung getretenen Nationalen Handelsrats im Weißen Haus, hatte dagegen im Wahlkampf erklärt, das Handelsdefizit lasse sich durch die richtige Politik "binnen ein, zwei Jahren" eliminieren.

Der Präsident selbst erklärte vergangene Woche in seiner ersten Rede zur Lage der Nation gewohnt martialisch, für die USA sei "die Ära der wirtschaftlichen Kapitulation vorbei". Derart angestachelt, nutzte der US-Industrieverband AAM die Bekanntgabe der Handelszahlen am Dienstag umgehend dazu, weitere Schutzmaßnahmen für heimische Betriebe einzufordern. "Viele Fabrikarbeiter haben auf das Versprechen des Präsidenten vertraut, dass die Handelspolitik reformiert wird", sagte AAM-Präsident Scott Paul. "Aber sie warten immer noch auf Ergebnisse."

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SZ vom 08.02.2018
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