Süddeutsche Zeitung

USA:Reiche und Firmen sollen Billionen zahlen

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Um die größte Sozialreform seit fast 90 Jahren zu finanzieren, wollen die Demokraten ein halbes Dutzend Steuern erhöhen. Doch nicht nur die Republikaner könnten das Projekt noch torpedieren.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Die Finanzierung der größten US-Sozialreform seit fast 90 Jahren steht - wenn auch erst einmal nur auf dem Papier. Wie aus Parlamentsunterlagen hervorgeht, planen die Demokraten im Repräsentantenhaus ein ganzes Bündel aus Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen, die über zehn Jahre Mehreinnahmen von insgesamt 3,5 Billionen Dollar (drei Billionen Euro) in die Staatskasse spülen sollen. Das entspricht exakt jener Summe, die Präsident Joe Biden im selben Zeitraum für eine bessere Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger, die Unterstützung von Familien und Mieter sowie für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben will. Um die Pläne durch den Kongress zu bringen, wird sich die demokratische Führung darum bemühen müssen, Abweichler in den eigenen Reihen einzubinden. Auf Hilfe der oppositionellen Republikaner jedenfalls kann sie nicht hoffen.

Laut Konzept müssen sich Spitzenverdiener und Firmen auf Steuererhöhungen im Umfang von je gut einer Billion Dollar einstellen. Eine effizientere Steuererhebung und die Betrugsbekämpfung sollen 120 Milliarden Dollar einbringen, weitere 700 Milliarden will die Regierung der Pharmaindustrie abhandeln. Die Firmen sollen die Arzneimittelpreise senken, die sie Medicare, der staatlichen Krankenversicherung für Rentner und Behinderte, in Rechnung stellen. Die verbleibende Summe von etwa 600 Milliarden Dollar wollen Biden und seine Partei über mehr Wirtschaftswachstum und höhere Steuereinnahmen hereinholen - eine gewagte Wette, denn nicht wenige Experten dürften bezweifeln, dass ein Steuererhöhungsprogramm tatsächlich die Konjunktur beflügelt.

Konkret muss sich die Wirtschaft darauf einstellen, dass die Körperschaftsteuer für große Unternehmen von heute 21 auf 26,5 Prozent steigt. Gleichzeitig sollen Konzerne ihre im Ausland erzielten Gewinne in Zukunft mit mindestens 16,6 statt wie bisher mit 10,5 Prozent versteuern müssen. Damit machen sich die Demokraten erstmals jenen Kompromiss zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für Firmen zunutze, auf den sich die großen Industriestaaten jüngst geeinigt hatten. Allerdings hatte Biden den Mindeststeuersatz ursprünglich auf 21 Prozent erhöhen wollen.

Reiche sollen noch einen Zuschlag auf die Einkommensteuer zahlen

Der Einkommensteuerspitzensatz soll den Plänen zufolge von 37 auf 39,6 Prozent steigen, betroffen sind Bürger und Ehepaare mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 400 000 beziehungsweise 450 000 Dollar. Auf Einkommen oberhalb von fünf Millionen Dollar soll künftig eine Art Reichenzuschlag von drei Prozentpunkten fällig werden. Kapitalgewinne und Dividenden wollen die Demokraten mit 25 statt mit 20 Prozent belasten. Nicht durchsetzen konnte sich Biden mit dem Plan, ein bei Reichen beliebtes Steuerschlupfloch zu schließen. Damit können Eltern auch weiterhin Wertpapiere an ihre Kinder vererben, ohne dass diese den Wertzuwachs, der vom Erwerb des Papiers bis zum Tod des Erblassers entstanden war, versteuern müssen. Dafür wollen die Demokraten umgekehrt Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftsteuer streichen.

Hinter den Steuerplänen steht einerseits politischer Wille, zugleich aber auch die Not, die immense Staatsverschuldung nach den Corona- und Konjunkturprogrammen der letzten 18 Monate nicht noch weiter ausufern zu lassen. Hintergrund ist, dass auch demokratische Ökonomen davor warnen, die Inflationsrate durch noch mehr Staatsausgaben weiter anzuheizen.

Die Sozialreform soll Familien, Rentner und Mieter spürbar entlasten

Mit den geplanten Mehreinnahmen will Biden eine Art Elternzeit, ein dauerhaftes Kindergeld und eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall finanzieren. Zudem sollen mit dem Gesetzespaket der Anstieg der Mietkosten begrenzt und die CO2-Emissionen der USA massiv gesenkt werden. Die Gebühren für den Besuch von Kindergärten und staatlichen Community Colleges sollen weitgehend entfallen, Rentner und Behinderte die Auslagen für Brillen und Zahnersatz künftig erstattet bekommen.

Weil dem Plan im Senat voraussichtlich kein einziges republikanisches Mitglied zustimmen wird und die Demokraten damit keine Chance auf die eigentlich notwendigen 60 Stimmen haben, bedienen sie sich eines Tricks: Sie wollen das Paket mithilfe eines speziellen Haushaltsverfahrens über die parlamentarischen Hürden hieven, das eine Mehrheit von nur 51 Stimmen erfordert. Das entspricht exakt der Zahl der demokratischen Senatoren, wenn man die bei einem Patt entscheidende Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris mitzählt. Mindestens zwei Senatoren aber haben bereits erklärt, die geplanten Mehrausgaben seien deutlich zu hoch. Auch im Repräsentantenhaus können sich die Demokraten nicht mehr als drei Abweichler leisten.

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