USA:Sterben im Mittleren Westen

Der Waschmaschinenhersteller Maytag und das Ende des amerikanischen Traums: Auch in der größten Volkswirtschaft der Welt wandern Industriebetriebe in Billiglohnländer ab - zurück bleiben verlassene Städte und verbitterte Menschen.

Andreas Oldag

Vorsichtig streicht Leland Smith über das glänzend weiße Blech.

Maytag

Zentrale des Geräteherstellers Maytag: "das Ende des amerikanischen Traums"

(Foto: Foto: AP)

"Ja, die habe ich geliebt. Das ist die Maytag 160. Eine tolle Waschmaschine", sagt er. Smith hat kräftige, große Hände.

Es sind Hände, auf denen sich 30 Jahre Plackerei und Schufterei in der Fabrik abgezeichnet haben.

Der 72-jährige Pensionär spricht langsam und bedächtig.

Doch wenn er vor dem Modell 160 steht, das neben Dutzenden von anderen Maytag-Modellen im Stadtmuseum von Newton zu besichtigen ist, gerät er ins Schwärmen. "Ich habe dafür gesorgt, dass die Produktion reibungslos lief. Wir waren alle stolz darauf", sagt Smith.

Die Produktionsnummer 160 steht für die Boomzeit des amerikanischen Waschmaschinenherstellers Maytag in den achtziger und neunziger Jahren. Mehr als eine Million Stück habe Maytag pro Jahr von dem klobigen Gerät produziert, erzählt Smith. "Das war so etwas wie der Cadillac der Hausfrau. Mit allen Schikanen." Auf einer großen Tastatur, die von einer Chromleiste eingefasst ist, konnte man zwischen verschiedenen Waschgängen wählen - eine der ersten elektronisch gesteuerten Maschinen, die damals auf den Markt kamen.

1800 Jobs fallen weg

Doch das ist Vergangenheit. "Maytag findet bald nur noch im Museum statt", sagt Smith. Er bezeichnet sich selbst als "Ahnenhüter" des Unternehmens. Smith fährt mit seinem Ford-Pickup in der Nachbarschaft herum. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte Maytag-Maschinen aufzuspüren, um die Sammlung in Newtons Museum zu vervollständigen. Nun aber steht die 113 Jahre alte Traditionsfirma, die Generationen von amerikanischen Hausfrauen mit ihren Produkten belieferte, zumindest an ihrem Geburtsort vor dem Aus. Während Maytag an anderen Standorten vorerst weiter produzieren darf, soll Ende 2007 die letzte Waschmaschine aus Newton kommen.

Im vergangenen Jahr war das Unternehmen von dem US-Konzern Whirlpool für 1,5 Milliarden Dollar gekauft worden - einer der größten Haushaltsgeräte-Hersteller der Welt. Whirlpool, zu dem auch die deutsche Marke Bauknecht gehört, ist offenbar nur noch an dem Namen Maytag interessiert. Alles andere sei für die Konzernmanager, die Geräte auch in Billiglohnländern wie Mexiko und China produzieren lassen, nur noch Ballast, sagen die verbitterten Menschen in Newton.

Die Kleinstadt mit ihren 15.600 Einwohnern verliert ihren größten Arbeitgeber. 1800 Jobs fallen weg. Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist deshalb groß. Einige Bewohner wollen offenbar die Stadt schon verlassen. Immobilienmakler melden auffallend viele Verkäufe von Häusern in Newton. Die Zahl der Schüler, die subventionierte Mittagessen beantragen, sei deutlich gestiegen, berichtet das Lokalblatt Newton Daily News.

Der Facharbeiter im Blaumann ist eine aussterbende Spezies

Maytag und Newton sind ein Modellfall für den schleichenden Prozess der DeIndustrialisierung in der größten Volkswirtschaft der Welt. Der Facharbeiter im Blaumann, der bei Ford oder General Motors in Detroit am Band steht, eine Spinnereimaschine in einer Textilfabrik in North Carolina bedient oder aber Blechteile bei Maytag ausstanzt, ist eine aussterbende Spezies. Etwa drei Millionen Industriearbeitsplätze gingen in den vergangenen Jahren in den USA verloren.

Im Gegensatz zu vielen europäischen Staaten ist es den Vereinigten Staaten zwar besser gelungen, den Aderlass in der Industrie durch eine Expansion des Dienstleistungssektors abzumildern - die Arbeitslosigkeit liegt in den USA bei gerade 4,7 Prozent. Für die amerikanischen Arbeitnehmer bedeutet dies jedoch, dass sie durchweg mit schlechter bezahlten Jobs vorlieb nehmen müssen.

Es gibt zudem kaum soziale Absicherungen für die Rente, geschweige denn für Krankheitskosten. Die Zahl der Amerikaner, die keine Krankenversicherung haben, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen - auf inzwischen 46 Millionen Menschen.

Schlachtfeld Newton

Damit gerät ein Fundament des amerikanischen Gesellschaftsvertrags ins Wanken: Bei harter Arbeit sein Glück finden - dies galt für Amerikaner lang als realistisches Lebensziel. Doch der Konkurrenzdruck, unter dem die Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung stehen, hat einen sicheren Arbeitsplatz zur Mangelware gemacht. Maytag ist ein Opfer dieser Entwicklung - mit allen seinen Konsequenzen für eine Stadt, die bislang ihren Wohlstand einem Unternehmen verdankte.

An den 9. Mai 2006 kann sich Charles Allen genau erinnern. Um halb elf Uhr abends klingelte beim Bürgermeister von Newton das Telefon. "Ich bekam die Nachricht, dass die Maytag-Firmenzentrale geschlossen wird. Es war ein Schock für mich", sagt Allen. Alle nennen ihn "Chaz" hier. Der 35-Jährige ist ein jugendlicher, kumpelhafter Typ. Er hat ein kantiges Gesicht, breite Schultern und kurzgeschorenes Haar.

Allen wirkt wie ein Marine-Soldat der US-Armee, der auf dem Weg nach Irak oder Afghanistan ist. Doch für ihn ist das Schlachtfeld nicht Bagdad oder Kabul, sondern Newton - ein kleiner Punkt auf der Landkarte, in den Weiten des Mittleren Westens Amerikas.

Sterben im Mittleren Westen

Allen sitzt in seinem engen Büro in einem schmucklosen Betonbau in Downtown Newton. Auf seinem Schreibtisch ist eine ganze Galerie von Familien-Fotos aufgestellt, so wie amerikanische Manager gerne ihren Arbeitsplatz schmücken. Allen hat zwei kleine Töchter. Vor sechs Jahren ist er mit seiner Familie nach Newton gekommen. "Um etwas anzupacken. Der Job als Bürgermeister war eine Chance für mich", erzählt er.

Maytag, AP

Maytag-Mitarbeiter: 1800 Jobs sollen wegfallen.

(Foto: Foto: AP)

Hinter ihm hängt ein großes gerahmtes Bild des Western-Filmhelden John Wayne. Daneben ist ein Foto von US-Präsident George W. Bush platziert - Vorbild für einen Bürgermeister, der an die traditionellen Werte Amerikas glaubt: Fleiß, Pioniergeist und Erfolg. Doch auch für den bekennenden Republikaner Allen ist es nun schwieriger geworden, dieses schöne Image in einer Stadt hochzuhalten, in der bald die Arbeitslosen vor dem Sozialamt Schlange stehen werden.

Ein deutscher Einwanderer namens Maytag

"Ich muss das Beste daraus machen. Wir dürfen nicht aufgeben", spricht er sich selbst Mut zu. Doch der Bürgermeister weiß nur zu gut: Es wird kaum möglich sein, einen vollwertigen Ersatz für den Verlust der Industriearbeitsplätze in Newton zu finden. Die Stadt liegt im US-Bundesstaat Iowa im Windschatten der großen Verkehrsströme.

Rings um sie herum erstrecken sich Maisfelder. Die schweren Trucks, die auf dem Wege zur Ost- oder Westküste der USA sind, brausen auf der Interstate 80 an Newton vorbei. Das sah vor mehr als hundert Jahren alles noch anders aus: 1893 ließ sich der deutschstämmige Einwanderer Frederick Louis Maytag in dem Provinznest nieder.

Mit einem Startkapital von 2400 Dollar gründete er eine kleine Fabrik für Landmaschinen. Als das Geschäft mit Kornschälern und Heuwendern nicht mehr recht lief, baute der Selfmade-Unternehmer seine erste Waschmaschine. "Pastime" nannte er sie - ein grob gehobelter Holzbottich, in dem die Wäsche mit Hilfe einer Handkurbel gedreht wurde. Später, noch bevor ein Elektromotor für Antrieb sorgte, ließ sich die Maschine durch einen Treibriemen bedienen, der an einen Traktor angeschlossen wurde.

Maytag expandierte, überstand die große Wirtschaftskrise von 1929 und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der größten Waschmaschinen-Hersteller der USA.

Die Schönheitskönigin hieß "Maytag-Queen"

Maytag war Newton. Und Newton war Maytag. Wer in dem Unternehmen arbeitete, konnte sicher sein, seinen Job bis zur Rente zu behalten. Es gab Zuschüsse für die Krankenversicherung ebenso wie für die Pension. Und sogar für Hypothekendarlehen gab der Arbeitgeber Zuschüsse, so dass sich die Angestellten kleine Häuser mit schmucken Vorgärten leisten konnten.

Die jährliche Kür der Schönheitskönigin - die "Maytag-Queen" - war das gesellschaftliche Ereignis in Newton. Im "Maytag Park" wurden im Sommer Gratis-Konzerte veranstaltet. Es war das heile Amerika. Ländernamen wie China und Indien waren zu dieser Zeit den meisten Bewohnern Newtons nur aus Schulbüchern bekannt, nicht aber als Synonym für Globalisierung und Inbegriff für die Bedrohung ihrer Arbeitsplätze.

1997 fing Doug Bishop bei Maytag an. "Zunächst hatte ich noch große Hoffnungen", sagt der 36-Jährige. Das Unternehmen gab ihm einen Arbeitsvertrag, der ihm nach einer 30-jährigen Betriebszugehörigkeit eine großzügige Pension gesichert hätte. Solche Leistungen habe die Gewerkschaft ausgehandelt. "Darauf habe ich gebaut wie Generationen meiner Kollegen vorher", meint Bishop.

"Newton muss umdenken"

Maytag schien ihm eine sichere Karte zu sein. Das Unternehmen brachte 1997 ein neues, energiesparendes Waschmaschinenmodell mit dem Namen "Neptune" auf den Markt. Doch dann klagte die Firmenleitung über zu hohe Lohnkosten, die die Maschine gegenüber Produkten aus China zu teuer mache. Der Niedergang des Unternehmens begann. Bishop war einer der ersten, die bereits 2003 in einer ersten Entlassungswelle bei Maytag ihren Job verloren. "Es ist eine Schande, was passiert ist", klagt er.

Im Amtsgebäude des Bürgermeisters treffen sich an einem heißen Sommertag die Stadtverordneten. Charles Allen leitet die Versammlung. Es geht um das Top-Thema: Die Zukunft der Stadt und die Neuansiedlung von Betrieben. "Newton muss umdenken. Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen", sagt das Stadtoberhaupt. Es sind Worte, wie sie Politiker immer dann wählen, wenn sie eigentlich hilflos sind. Die sechs Stadtverordneten, fünf Männer und eine Frau im mittleren Alter, nicken.

Und so klammert man sich vor allem an die guten Nachrichten: Eine Fabrik für die Produktion von Pflanzen-Dieselkraftstoff soll in Newton gebaut werden. Nahe der Stadt ist eine Speedway-Arena für Autorennen eingeweiht worden. 70 neue Arbeitsplätze sollen dadurch entstehen. Doch das alles kann 113 Jahre Maytag nicht wettmachen.

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