USA:Pfizer untersagt Nutzung seiner Substanzen für Hinrichtungen

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Hinrichtungs-Liege im Gefängnis von St. Quentin, Kalifornien (Bild aus dem Jahr 2010). (Foto: AP)
  • Pfizer verspricht, die Nutzung von sieben seiner Produkte bei Hinrichtungen in den USA zu verhindern.
  • Damit folgt der US-Konzern 24 anderen Herstellern.
  • Wegen des Boykotts sind US-Gefängnisse von der Versorgung mit zugelassenen Substanzen für den "Giftspritzen-Cocktail" abgeschnitten.
  • Bundesstaaten wie Texas haben bereits dubiose Alternativen entwickelt.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Langsam, sehr langsam stirbt die Todesstrafe in den USA - und jetzt leistet auch Pfizer Beihilfe. Der Pharmakonzern hat angekündigt, künftig dafür zu sorgen, dass keines seiner Produkte mehr für die staatliche Tötung durch Injektionen verwendet wird.

Laut der Anti-Hinrichtungs-Organisation Reprieve blockieren damit alle 25 Pharmafirmen, deren Substanzen in den USA zur staatlichen Tötung verwendet werden, den Verkauf zu diesem Zweck. Damit ist kein von der US-Gesundheitsbehörde Federal Drug Administration (FDA) zugelassenes Mittel mehr auf dem Markt erhältlich, um Hinrichtungen durchzuführen. Vor Pfizer hatten bereits zahlreiche andere Pharmakonzerne Verkaufsstopps verkündet, die EU verhängte 2011 ein Exportverbot.

Konkret geht es im Fall Pfizer um Produkte des Pharmaherstellers Hospira, den das Unternehmen vergangenes Jahr für 17 Milliarden US-Dollar gekauft hatte. Die Firma aus Illinois spielt bei der Debatte um chemische Hinrichtungen eine wichtige Rolle.

Bis 2009 hatte Hospira den Stoff Natrium-Thiopental produziert, eine von drei Substanzen, die in den USA traditionell für staatliche Tötungen verwendet wird. Auf öffentlichen Druck stoppte Hospira die Herstellung, hatte aber zuletzt sieben andere Substanzen im Portfolio, die in den Giftcocktails verwendet werden können.

Pfizer will Weiterverkauf kontrollieren

Zwar hatte Hospira die Produkte nicht mehr direkt an Gefängniskrankenhäuser abgegeben, konnte aber nach eigenen Angaben den Weiterverkauf durch Zwischenhändler nicht kontrollieren. Neu-Eigentümer Pfizer hat nun versprochen, diese Lücke zu schließen, nachdem Aktivisten und institutionelle Anleger dies gefordert hatten.

31 US-Bundesstaaten erlauben die Todesstrafe, etwa die Hälfte davon führt sie noch durch. Seit dem Produktionsstopp von Natrium-Thiopental und dem Quasi-Boykott der Pharmabranche mussten jedoch immer wieder Hinrichtungen verschoben werden, weil die notwendigen Substanzen fehlten oder das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.

Menschenrechte
:Amnesty: Drastischer Anstieg von Hinrichtungen weltweit

2015 wurden mehr Menschen hingerichtet als in jedem der vergangenen 25 Jahre. China liegt bei den vollstreckten Todesurteilen wieder an der Spitze.

Die Meldungen über qualvoll lange Hinrichtungen hängen ebenfalls damit zusammen: Gefängniskrankenhäuser greifen auf andere Substanzen zurück, deren Anwendung zu langen Todeskämpfen und Symptomen wie dem Gefühl, lebendig zu verbrennen, führt. Oklahoma verwendete eine - auch von Hospira hergestellte - Substanz, mit der sonst Tiere eingeschläfert werden. 2014 kämpfte der verurteilte Mörder Clayton Lockett nach der Injektion 43 Minuten mit dem Tod, bis er schließlich starb - an einem Herzinfarkt.

Problematische Tricks der Bundesstaaten

Die Bundesstaaten wenden inzwischen problematische Praktiken an, um an die Substanzen zu kommen. Texas lässt seine Hinrichtungsdrogen in "Compounding Pharmacies" herstellen. Diese Apotheken sind umstritten, weil sie praktisch unreguliert sind und die Arzneimittelzulassung umgehen können.

Der Staat im Süden hat ein Gesetz verabschiedet, das Gefängnisse dazu verpflichtet, Herkunft und Zusammensetzung der Giftspritzen-Mischung geheim zu halten. Zum Schutz der beteiligten Apotheken, so das Argument. Um Fragen zur Sorgfaltspflicht zu entgehen, sagen Kritiker. In Staaten wie Virginia finden sich dankbare Abnehmer für die texanischen Mischungen.

Wie bizarr zuweilen die Suche nach den Tötungsstoffen verläuft, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2011. Damals beschlagnahmte die FDA die Natrium-Thiopental-Reserven des US-Bundesstaates Georgia. Es war bekannt geworden, dass Behördenvertreter die Substanz in einer Londoner Apotheke gekauft hatten, die ihr Geschäft im Büro einer Fahrschule betrieb.

Das Märchen von der "medizinischen Hinrichtung"

Wenn der Weg zu zugelassenen Pharmaprodukten versperrt ist, wird es für die US-Bundesstaaten schwierig, sich bei Hinrichtungen mit der Todesspritze zumindest noch im rechtlichen Graubereich zu bewegen. Der Oberste Gerichtshof lehnte zwar 2015 eine Klage gegen Oklahomas Giftmischung ab, dort verschiebt sich jedoch gerade die Mehrheit: Mit dem Ultrakonservativen Antonin Scalia starb jüngst der stärkste Todesstrafen-Befürworter des Gerichts.

Allerdings denken verschiedene US-Bundesstaaten für den Fall eines Verbots über Alternativen jenseits der Todesspritze nach, von Erschießungen (Mississippi, Oklahoma, bereits jetzt in Utah erlaubt) über den elektrischen Stuhl (Tennessee) bis hin zur Gaskammer (Wyoming).

Die Giftspritze wurde bei der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 als vergleichsweise humane, beinahe medizinisch anmutende Alternative zum elektrischen Stuhl wahrgenommen. Die Zustimmung zur Todesstrafe stieg in den Jahren darauf auf Rekordwerte von 80 Prozent. Heute sind noch knapp zwei Drittel der Amerikaner für Hinrichtungen, die Billigung nimmt konstant (wenn auch langsam) ab. Immerhin sechs Bundesstaaten schafften die Todesstrafe seit Beginn des Jahrtausends ab.

Vor allem aber werden inzwischen weniger Todesurteile gesprochen und vollstreckt, die durchschnittliche Wartezeit auf der "Death Row" beträgt inzwischen 16 Jahre. Manche Staatsanwälte schrecken inzwischen auch wegen der hohen Kosten vor der Maximalforderung zurück - Berechnungen zufolge etwa eine Million US-Dollar pro Vollstreckung.

Die Pfizer-Ankündigung ist nur ein weiterer Schritt, aber deshalb historisch, weil die geschlossene Blockade der Pharma-Hersteller ein deutliches Signal sendet: Die Darstellung der Hinrichtung per Giftspritze als beinahe "medizinischer Akt" ist nicht haltbar.

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