Zinspolitik:US-Notenbank leitet mit Zinserhöhung radikale Wende ein

Zinspolitik: Sogar Hummer ist inzwischen so teuer geworden, dass er in einigen Restaurants bereits von der Speisekarte verschwindet.

Sogar Hummer ist inzwischen so teuer geworden, dass er in einigen Restaurants bereits von der Speisekarte verschwindet.

(Foto: Robert F. Bukaty/AP)

Weil die Verbraucherpreise durch die Decke gehen, kündigen die Währungshüter weitere, unerwartet aggressive Schritte an.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Welche Ausmaße das Problem mittlerweile angenommen hat, konnte man in der vergangenen Woche im "The Salt Line" besichtigen, einem ebenso beliebten wie nett gelegenen Fischrestaurant im Süden der US-Hauptstadt Washington. Die Macher des Lokals verstehen sich als Botschafter der neuenglischen Küche, seit ein paar Tagen jedoch sucht man das Herzstück der Speisekarte vergeblich: die Lobster Roll. Der Preis für ein Kilo frisch gefangenen Hummer aus Maine sei mittlerweile so obszön, so die sinngemäße Begründung, dass man ihn selbst Besserverdienern nicht mehr zumuten wolle. Statt Hummer steckt nun günstigeres Krabbenfleisch im Hotdog-Brötchen.

Wahrscheinlich standen die Nöte amerikanischer Meeresfrüchteliebhaber nicht ganz oben auf der Themenliste, mit der sich der geldpolitische Ausschuss der US-Notenbank (Fed) bei seiner Routinesitzung am Mittwoch befasste - keine vier Kilometer Luftlinie vom "The Salt Line" entfernt. Und doch beschloss die Fed-Führung nach zweitägigen Beratungen, den ständig steigenden Inflationsdruck nicht länger tatenlos hinzunehmen und ihren wichtigsten Leitzins erstmals seit Ende 2018 wieder anzuheben: Die sogenannte Tagesgeldzielspanne liegt ab sofort bei 0,25 bis 0,5 Prozent, einen Viertelprozentpunkt höher als bisher. Und mehr noch: Bis Ende des Jahres rechnen die 18 Ausschussmitglieder im Schnitt mit einem weiteren Anstieg des Satzes auf fast zwei, bis Ende 2023 sogar auf fast drei Prozent. Kommt es tatsächlich dazu, würde die geldpolitische Kehrtwende also erheblich rascher und radikaler vollzogen als noch vor Wochen erwartet.

Die Explosion der Hummerpreise steht dabei exemplarisch für die Dimension des Problems, das die Währungshüter umtreibt: Wenn die Teuerungswelle selbst einen Bereich wie den Fang heimischer Schalentiere erfasst, der von der Corona-Pandemie und den anschließenden globalen Lieferengpässen vergleichsweise wenig beeinträchtigt wurde, so der Gedanke, dann ist tatsächlich Gefahr im Verzug. 7,9 Prozent betrug die allgemeine Inflationsrate im Februar, das ist viermal so viel wie von der Fed gewünscht und der höchste Wert seit 1981. In den kommenden Monaten ist angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und zahlloser weiterer wirtschaftlicher Störfaktoren sogar ein Anstieg auf mehr als zehn Prozent möglich.

Mit der Tagesgeldzielspanne steuert die Fed die Gebühren, die sich Geschäftsbankenbanken untereinander in Rechnung stellen, wenn sie sich für wenige Stunden gegenseitig Geld leihen. Entscheidender ist jedoch, dass die Notenbank damit auch Einfluss auf viele Zinssätze des Alltags nimmt, wie sie etwa beim Bau eines Hauses, beim Autokauf oder beim Überziehen des Kontos fällig werden: Die Kredite werden teurer, die Nachfrage sinkt, der Preisdruck lässt nach, so die Idee. Dabei hat eine Leitzinserhöhung um einen Viertelpunkt naturgemäß noch kaum direkte Auswirkungen auf die Inflations- und Wirtschaftslage, zumal solche Maßnahmen erst mit monatelanger Verzögerung wirken. Sie ist aber das klare Signal an Verbraucher, Unternehmen und Politik, dass die Notenbank die Inflationsgefahr nach monatelangem Zögern nun ernst nimmt und zu entschiedenen weiteren Schritten bereit ist.

"Die Löhne steigen so schnell wie seit Jahren nicht mehr"

Fed-Chef Jerome Powell sagte nach der Ausschusssitzung, die US-Wirtschaft seit trotz anhaltender Pandemie und des Ukraine-Kriegs in robustem Zustand. Das gelte insbesondere für den Arbeitsmarkt, wo in einigen Bereichen tatsächlich ein so gravierender Fachkräftemangel herrscht, dass Arbeitgeber sich mit Lohnerhöhungen, Bonuszahlungen und Einstellungsangeboten geradezu gegenseitig überbieten. "Die Löhne steigen so schnell wie seit Jahren nicht mehr", erklärte Powell. Er halte deshalb wenig von Expertenmeinungen, die für kommendes Jahr eine Rezession in den USA voraussagten. Dafür gebe es keine Anzeichen.

Es sei allerdings richtig, dass die Inflationsrate auch wegen des russischen Angriffs auf das Nachbarland später und sehr viel langsamer sinken werde als noch vor Monaten erwartet. Dies treffe vor allem Geringverdiener. Um diese Menschen zu unterstützen, "ist das Beste, was wir tun können, den gegenwärtigen Wirtschaftsaufschwung zu verlängern. Dafür bedarf es aber stabiler Preise", so der Fed-Chef.

Um das zu erreichen, sollen nach jetzigem Stand nicht nur die Leitzinsen deutlich aggressiver angehoben werden als bisher geplant. Vielmehr will die Notenbank auch ihren Bestand an Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren reduzieren, mit deren Kauf sie die langfristigen Kreditzinsen lange Zeit niedrig gehalten hatte. Ein detaillierter Plan dafür soll bei einer der nächsten Ausschusssitzungen beschlossen werden. Die Fed hatte über Jahre Wertpapiere im Gesamtwert von mehreren Billionen Dollar gekauft.

Das Problem für Powell und seine Mitstreiter ist, dass sie gleich von zwei Seiten unter Druck stehen. Da ist einmal die Rekordinflation, die die Lohnerhöhungen der Arbeitnehmer auffrisst und viele Alltagswaren und Dienstleistungen verteuert. Auf der anderen Seite sieht sich die Weltwirtschaft ständig neuen Problemen ausgesetzt: Dazu zählen neben dem Angriffskrieg Russlands etwa der Omikron-Ausbruch in China sowie die Dauerkonflikte zwischen Washington und Peking. All das befeuert einerseits den Preisauftrieb, gefährdet aber zugleich eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung und begrenzt damit den Zinserhöhungsspielraum der Fed.

Im schlechtesten Fall löst die Fed eine Rezession aus

Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen läuft die Notenbank Gefahr, dass ihre Beschlüsse verpuffen - oder gar das Gegenteil dessen erreichen, was eigentlich gewollt ist. Zieht sich etwa der Ukraine-Krieg monatelang hin oder die Börsen brechen noch einmal massiv ein, könnten die Notenbanker mit zu raschen Zinserhöhungen den Konjunkturmotor ausgerechnet in dem Moment abwürgen, da er ohnehin stottert. Oder aber sie gehen nicht konsequent genug vor und laufen den steigenden Preisen dauernd hinterher. Im schlechtesten Fall löst die Fed genau die Rezession aus, die sie eigentlich vermeiden will.

Es muss also schon eine Menge zusammenpassen, damit es den Notenbankern gelingt, durch eine ganze Reihe fein dosierter Zinserhöhungen Kredite so gezielt zu verteuern, dass die Konjunkturentwicklung sanft gebremst und der Inflationsdruck schrittweise gemildert wird. Experten sprechen von einem "soft landing", einer langsamen Rückführung der Wachstumsrate ohne Abrutschen in die Rezession. Ein Ziel, das die Fed in ihrer gut hundertjährigen Geschichte schon mehrfach verfolgt - und nicht selten verfehlt hat.

Angesichts der immer neuen Probleme und Störfaktoren in der zinspolitischen Debatte sah sich das US-Nachrichtenportal Axios dieser Tage bereits an den Mafiafilm-Klassiker "Der Pate III" erinnert: "Jedes Mal wenn du denkst, du hast den Ausstieg geschafft", so schrieb der Web-Dienst, "wirst du wieder reingezerrt."

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