Teuerungswelle:Die US-Notenbank steht vor einer Mission Impossible

Teuerungswelle: Die Fed, mächtigste Notenbank der Welt, macht klar, dass sie ein weiteres Anschwellen der Teuerungswelle nicht länger tolerieren will.

Die Fed, mächtigste Notenbank der Welt, macht klar, dass sie ein weiteres Anschwellen der Teuerungswelle nicht länger tolerieren will.

(Foto: Joshua Roberts/Reuters)

Die Erhöhung der Leitzinsen kommt spät - vielleicht zu spät. Dennoch kann die Welt wenig anderes tun, als zu hoffen, dass Fed-Chef Powell im Kampf gegen die Inflation Erfolg hat.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, Berlin

Wenn Jerome Powell bisher gedacht haben sollte, dass ihm eine schwere Aufgabe bevorsteht, dann weiß er spätestens jetzt, dass es eine beinahe unmögliche ist: Ausgerechnet in einer Zeit des Chaos, des Krieges und der Ungewissheit soll der Chef der US-Notenbank (Fed) mit einer Serie präziser und doch beherzter, zügiger und doch behutsamer Leitzinserhöhungen dafür sorgen, dass die Rekord-Inflationsrate in seinem Land endlich sinkt - und das alles, ohne die Wirtschaft zugleich in die Rezession zu schicken. Zentralbanker in aller Welt sind schon an einfacheren Problemstellungen gescheitert.

Am Mittwochabend haben Powell und seine Mitstreiter nun den Startknopf für ihre Mission Impossible gedrückt und den wichtigsten Leitsatz um einen Viertelprozentpunkt auf 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben. Der Beschluss hat zunächst einmal mehr Symbolcharakter als echte ökonomische Auswirkungen, ist in seiner Bedeutung aber dennoch nicht zu überschätzen: Die mächtigste Notenbank der Welt macht damit klar, dass sie ein weiteres Anschwellen der Teuerungswelle nicht länger tolerieren und einen alles mitreißenden Preis-Tsunami verhindern will. Die Zeit der Nullzinsen ist damit vorbei.

Endlich, muss man sagen, denn die Entscheidung kommt spät, vielleicht zu spät. Monatelang hatte sich die Fed auf das Argument zurückgezogen, dass die Preiserhöhungen nur die Folge coronabedingter Lieferprobleme seien, die sich irgendwann von allein erledigen würden und denen mit Mitteln der Geldpolitik ohnehin nicht beizukommen sei. Schließlich könne eine Notenbank weder selbst Öl fördern, noch Containerschiffe entladen oder Computerchips bauen.

Das war alles richtig - und doch falsch: Inflation nämlich entsteht nicht nur, wenn auf einem Markt die Nachfrage größer ist als das Angebot. Sie entsteht vor allem dadurch, dass Bürger, Manager und Börsenhändler glauben, dass die Preise weiter steigen werden - und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Dieser Gefahr, im Notenbankerdeutsch "Entankern der Inflationserwartungen" genannt, hätte die Fed sehr wohl viel früher entgegentreten können, indem sie verbal und schließlich durch eine Leitzinserhöhung Stoppzeichen setzt. Stattdessen hat sie versucht, sich selbst und die Welt mit Beschwichtigungsformeln einzulullen.

Die Frage ist nun, wie es weitergehen soll. Vor Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine waren die meisten Experten davon ausgegangen, dass der jetzt erfolgten ersten Zinserhöhung in diesem und im kommenden Jahr sechs, sieben weitere Schritte, vielleicht sogar noch mehr, folgen würden. Schon diese Strategie hätte permanent überprüft werden müssen, schließlich ist völlig ungewiss, welche Grausamkeiten etwa das Coronavirus noch für die Menschheit und ihre Volkswirtschaften bereithält.

Der Kampf um die Ukraine, der so vielen Tausend Unschuldigen ohne jeden Sinn das Leben nimmt, macht die Sache für die Fed nun noch komplizierter: Niemand außer dem Kriegsherrn im Kreml weiß, wie lange dieser unselige Feldzug weitergehen wird, welche menschlichen und ökonomischen Verheerungen er noch anrichtet und wie stark er die Inflation zusätzlich anheizen wird. Für die Fed-Führung, die gerade eilig auf einen deutlich aggressiveren Zinserhöhungskurs einschwenkt, bedeutet das, dass eine strategische Mittelfristplanung kaum möglich ist. Vielmehr wird sie ihren Weg alle sechs Wochen mit jeder neuen Sitzung komplett neu abstecken müssen.

Ein sehr kräftiger Tritt auf die Bremse ist gar nicht nötig

Das Gute ist: Powell kann das. Er ist kein Dogmatiker, sondern Pragmatiker, er korrigiert Fehleinschätzungen und widersteht politischem Druck, das alles hat er sowohl in der Corona-Pandemie als auch während der unsäglichen Attacken des früheren Präsidenten Donald Trump auf ihn bewiesen. Und gut ist auch: Die Zinsen steigen, anders als in früheren Zyklen, nicht von einem mittleren Wert aus, sondern von null. Das heißt: Selbst nach fünf, sechs Erhöhungen um jeweils einen Viertelprozentpunkt wären die Sätze im langjährigen Vergleich immer noch sehr niedrig und weit von einem Niveau entfernt, bei dem die Wirtschaftsentwicklung abgewürgt wird.

Zugleich ist ein sehr kräftiger Tritt auf die Bremse auch gar nicht nötig, weil ein nicht unerheblicher Teil des Preisdrucks ja tatsächlich auf Problemen beruht, die über die Zeit von allein wieder verschwinden sollten. Andere potenzielle Inflationstreiber dagegen, etwa der zunehmende Fachkräftemangel in vielen Industriestaaten, werden bleiben, was eine Normalisierung des unnatürlich niedrigen Zinsniveaus insbesondere in den USA und Europa nur umso dringlicher macht.

So oder so: Wer die Dinge von Deutschland aus betrachtet, kann dem Führungspersonal der Fed nur eine glückliche Hand wünschen. Denn ob die Bundesrepublik vor gedeihlichen oder doch eher vor schmerzhaften wirtschaftlichen Zeiten steht, hängt neben ganz vielen anderer Dingen auch maßgeblich davon ab, ob Powell und seinen Mitstreitern ihre überaus heikle Mission gelingt.

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