Geldpolitik in den USA:Versager mit Erfolgsaussicht

Geldpolitik in den USA: Claus Hulverscheidt ärgert es, dass viele Männer sich einfach dumm stellen. Illustration: Bernd Schifferdecker

Claus Hulverscheidt ärgert es, dass viele Männer sich einfach dumm stellen. Illustration: Bernd Schifferdecker

Präsident Joe Biden und Notenbankchef Jerome Powell haben die Inflationsgefahr in ihrem Land lange unterschätzt. Dennoch könnten die USA am Ende besser dastehen als Europa.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Es ist dieser Tage ein Leichtes, sich über die führenden wirtschaftspolitischen Akteure der USA das Maul zu zerreißen. Da ist Präsident Joe Biden, der mit seinen billionenschweren Hilfs- und Reformpaketen die Wirtschaft, vor allem aber auch die Inflation kräftig angeheizt hat. Da ist Finanzministerin Janet Yellen, die ihm eine willige Helferin war, obwohl sie als Ex-Chefin der Notenbank Fed das Unheil hätte kommen sehen müssen. Und da ist Jerome Powell, Yellens Nachfolger im Amt des Zentralbankgouverneurs, der jetzt eine atemberaubende Leitzinswende hingelegt hat, weil er die Teuerungswelle selbst dann noch selig schlummernd unterschätzte, als die Preise die Vier-, die Fünf- und schließlich die Sechs-Prozent-Marke knackten.

Mit einem Durchschnittsalter von genau 74 Jahren, das darf man so sagen, gehören alle drei Politiker zu den erfahrensten Konjunkturkennern des Landes. Und dennoch möchte man in den Chor der republikanischen Kritiker einstimmen und ihnen zurufen: Sechs, setzen!

Wie so oft im Leben jedoch, erweist sich die Sache bei einem zweiten, genaueren Blick als weit weniger eindeutig. Biden etwa hatte gute Gründe, so zu handeln, wie er gehandelt hat. Er ist ein Kind der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009, die in den USA in Anlehnung an die "Große Depression" der Dreißigerjahre die "Große Rezession" genannt wird. Biden war damals Vizepräsident unter dem neuen Staatschef Barack Obama und erlebte mit, wie sich Demokraten und Republikaner in der Krise politische Scharmützel lieferten, statt Bürger und Unternehmen entschlossen zu unterstützen. Die Staatshilfen fielen deshalb deutlich zu niedrig und viel zu kurzlebig aus, das Ergebnis war ein Jahrzehnt anämischen Wachstums und einer Arbeitsmarkterholung im Zeitlupentempo.

Soziale Fragen spielen für die Notenbank heute eine größere Rolle

Diesen Fehler hat Biden in der Corona-Pandemie vermieden, ja, man könnte sogar sagen, er hat angesichts der damaligen Versäumnisse diesmal zu viel des Guten getan. Die Hilfen etwa für Menschen, die in der Krise ihren Job verloren, waren teilweise so hoch, dass sie nicht nur den Konsum und die Preise anheizten, sondern den Betroffenen auch den Anreiz nahmen, sich eine neue Stelle zu suchen. Allerdings hat man auch hier leicht reden, wenn man die Dinge von Deutschland aus betrachtet: Wer nämlich in den USA entlassen wird, fällt nicht ins soziale Netz, sondern oft ins Bodenlose. Dass dem Präsidenten das - anders als manch zynischem Republikaner - nicht egal ist, spricht nicht gegen, sondern für ihn.

Diese soziale Dimension ist auch einer der Gründe, warum Powell so lange zögerte, die Nullzinsphase zu beenden. Die US-Notenbank ist qua Gesetz verpflichtet, außer für stabile Preise auch für ein Höchstmaß an Beschäftigung zu sorgen. Letzteres geht am besten, indem sie die Zinsen niedrig hält oder die Konjunktur auf andere Weise stützt. Nun kann man argumentieren, dass die USA mit einer Arbeitslosenquote von 4,2 Prozent vom Ziel der Vollbeschäftigung nicht mehr allzu weit entfernt sind. Es ist jedoch Powells Verdienst, dass die Fed heute nicht mehr nur auf die eigentliche Quote achtet, sondern auch darauf, ob und wie die Erholung bei jenen Gruppen ankommt, die aufgrund etwa ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Hier nämlich sehen die Zahlen deutlich schlechter aus. Wer meint, das ignorieren zu können, redete einer Geldpolitik des 20. Jahrhunderts das Wort.

Richtig ist, dass Powell die Inflationsdynamik unterschätzt hat. Dass er zu lange hoffte, die weltweiten Lieferengpässe würden sich rasch auflösen. Dass er sich auf den akademischen Gedanken zurückzog, dass selbst die höchsten Leitzinsen nicht dabei helfen können, die Container zu entladen, die sich in den Häfen von Shanghai und Los Angeles stapeln. Dafür darf man ihn sehr wohl kritisieren. Man kann ihm aber auch Respekt dafür zollen, dass er seine Fehleinschätzung eingestanden hat und sich nun eindeutig zu möglichen Zinserhöhungen bekennt, während die Europäische Zentralbank weiter vor sich hindöst. Durchaus denkbar, dass sich der amerikanische Weg aus üppiger Krisenhilfe und anschließender leichter Bremsung durch die Fed am Ende sogar als erfolgreich erweisen wird - erfolgreicher vielleicht als der europäische.

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