Was gerade an den weltweiten Finanzmärkten passiert, klingt schon dem Begriff nach wie ein Blockbuster aus dem Kino. Anlegerinnen und Anleger rund um den Globus warten auf nicht weniger als den "Tag X". Was wie der Titel eines Actionfilms klingt, ist in Wirklichkeit jedoch eine bedrohlich nahe Frist: Denn bereits Anfang Juni könnten die Vereinigten Staaten zumindest formell zahlungsunfähig werden. Und nun droht auch noch die Ratingagentur Fitch mit Konsequenzen.
Können sich US-Demokraten und Republikaner im Streit um die Schuldenobergrenze nicht einigen, drohen die Finanzexperten den USA mit einer Notensenkung. Bislang verleiht Fitch den Vereinigten Staaten die beste Finanznote AAA, den Ausblick für das Land haben die Experten nun aber gesenkt. "Wir glauben, dass die Risiken gestiegen sind", urteilt die Ratingagentur in ihrem Schreiben .
Wie einflussreich die Finanznoten der Ratingagenturen sind, ließ sich zuletzt 2011 beobachten. Auch damals steuerten die Vereinigten Staaten auf die Schuldenobergrenze zu, einigten sich jedoch in letzter Minute. Dann allerdings senkten die Ratingkollegen der ebenso einflussreichen Agentur S&P im Anschluss daran dennoch ihren Daumen, die Politiker hätten nach wie vor zu wenig gegen die Gesamtverschuldung unternommen. Die Folge war ein Ausverkauf am Aktienmarkt, am selben Tag sackte der US-Leitindex S&P 500 um mehr als sechs Prozent in die Tiefe.
Der Spielraum schwindet
Noch haben Demokraten und Republikaner genug Zeit, um die Schuldenobergrenze anzuheben. Aktuell liegt sie bei 31,4 Billionen Dollar, schon Mitte Januar wurde diese Marke durchbrochen, seitdem hält die US-Finanzministerin das Land mit Notmaßnahmen über Wasser. Am 1. Juni könnte jedoch auch dieser Spielraum aufgebraucht sein. Dann würde nicht mehr genug Geld für Zins- oder Gehaltszahlungen des Staates zur Verfügung stehen.
In den vergangenen Tagen zeigte sich gleich mehrfach, wie genau Anleger weltweit die Schuldendebatte inzwischen beobachten: Selbst hierzulande erreichte der deutsche Leitindex Dax sein Rekordhoch am vergangenen Freitag nur wegen positiver Verhandlungssignale im US-Schuldenstreit. Als weitere Gespräche Anfang dieser Woche jedoch kaum Fortschritt brachten, sackte das Leitbarometer der deutschen Börse am Mittwoch wieder um zwei Prozent ab.
Viel gravierender könnten die Folgen einer technischen Zahlungsunfähigkeit jedoch am Anleihemarkt sein. "Die Folge könnte ein kompletter Stillstand der Finanzmärkte und der Wirtschaft sein", meint Edgar Walk, Chefökonom bei Metzler Asset Management. Der Markt für US-Staatsanleihen gilt schließlich als wichtigster Winkel des Finanzsystems. Banken überall auf der Welt halten sie, parken kurzfristig Geld in diesen Papieren und akzeptieren sie als Sicherheiten.
Wichtige Orientierungsmarke
Im weltweiten Finanzsystem sind die Papiere so verbreitet, dass sie für Anlageprofis eine wichtige Orientierungsmarke darstellen: Wie viel Rendite lässt sich, zumindest unter normalen Umständen, mit verhältnismäßig wenig Risiko verdienen? "Viele Anlagen werden deswegen im direkten Vergleich mit US-Staatsanleihen bepreist", sagt Chefökonom Nikolaj Schmidt bei der Fondsgesellschaft T. Rowe Price. Steigen die Renditen der Staatspapiere, steigen also auch die Zinsen für Immobilienkredite oder Unternehmensanleihen - und schaden der sowieso bereits angeschlagenen US-Ökonomie.
Bereits jetzt haben viele Finanzprofis offenbar genau überprüft, ob sie jene spezifischen US-Staatstitel in ihren Depots halten, die genau am 1. Juni auslaufen. Rein vorsorglich trennten sich viele Anlegerinnen und Anleger von diesen Papieren, was die Kurse drückte. Spiegelbildlich kletterte die Rendite der Titel auf mehr als 7,6 Prozent empor, weil Anlageprofis sie jetzt billiger kaufen können. Solche Höhen erreichen sonst eher finanziell angekratzte Staaten. "Auf dem Spiel steht, ob die größte Wirtschaftsnation der Welt noch neue Schulden aufnehmen und ihre Rechnung bezahlen kann", sagt Börsenstratege Franck Dixmier von Allianz Global Investors.
Anleger sehen derzeit drei Möglichkeiten, wie sich das Schuldendrama in den USA entwickeln könnte. Am wahrscheinlichsten scheint vielen, dass sich die zerstrittenen Parteien in letzter Minute doch noch einigen, zumindest vorläufig. So könnten sie die Schuldengrenze zunächst ein klein wenig anheben und die komplizierten Verhandlungen anschließend fortführen.
Denkbar wäre jedoch auch, dass sich US-Präsident Joe Biden auf den 14. Zusatzartikel US-Verfassung beruft: "Die Gültigkeit der öffentlichen, gesetzlich autorisierten Schulden der Vereinigten Staaten darf nicht infrage gestellt werden", heißt es dort in einem Satz. Vor allem der linke Flügel der US-Demokraten fordert den Präsidenten seit Tagen auf, diese Karte auszuspielen.
Am unwahrscheinlichsten gilt unter Anlegerinnen und Anlegern unterdessen das Krisenszenario eines technischen Zahlungsausfalls: Dann würden die USA ihren Anlegern bestimmte Zinszahlungen nicht mehr leisten oder manche fälligen Anleihen vorerst insgesamt nicht zurückzahlen können. Doch dazu muss es nicht kommen, das Finanzministerium der USA könnte schließlich auch Soldaten, Beamten und Rentnern zunächst kein Geld überweisen und stattdessen die Anleiheverpflichtungen des Landes erfüllen. "Wir glauben, dass es für einen Zahlungsausfall nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,01 Prozent gibt", sagt Allianz-Stratege Dixmier.
Am Ende könnte der ganze Schuldenstreit also auch einfach nur ein guter Sommerthriller für gelangweilte Finanzprofis sein. Frei nach dem Motto: Am Ende wird schließlich immer alles gut. Zumindest in den meisten US-Blockbustern.